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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die neuen Gewerbegerichte

Zahl der Fabrikanten stets die der Werkmeister und Handwerker übersteigt.
Mit der Sprache der Sozialdemokratie zu reden, sind also diese französisch-
rheinischen Gewerbegerichte nichts andres, als eine Einrichtung zu Gunsten
der Bourgeoisie. In Gewerbesachen spricht diese sich selbst Recht. Damit
soll nur freilich nicht gesagt sein, daß die so gebildeten Gerichte unerträg¬
liche Entscheidungen geben müßten. Sitzen verständige Männer darin, so
müssen sie schon aus Klugheit sich davor hüten, völlig einseitig zu Werke zu
gehen. Daß aber im allgemeinen diese Gerichte sich in erster Linie berufen
fühlen werden, die Interessen der Arbeitgeber zu wahren, das liegt doch in der
Natur der Sache. Dem entspricht es auch, daß die Industriellen allein die
Kosten dieser Gerichte tragen. Die Richter selbst beziehen freilich keine Ver¬
gütung. Nur der Gerichtsschreiber, der die zum Staatsdienst befähigenden
Eigenschaften haben muß und der eine Hauptperson bei diesen Gerichten bildet,
darf bestimmte Sporteln oder auch eine Besoldung beziehen. Das einzige
Volkstümliche dieser Gerichte besteht darin, daß sie die Justiz umsonst geben.
Und dieser Umstand wiegt so schwer, daß er much bei den Arbeitern ihnen eine
gewisse Beliebtheit verschaffen mochte.

Als bei der neuen Justizorganisation im Jahre 1877 der unglaubliche
Fetischismus, deu die Rheinländer mit ihren Rechtsinstitntivnen treiben, in der
deutschen Zivilprozeßordnung seinen Triumph feierte, wurden natürlich anch
diese Gewerbegerichte aufrecht erhalten, umsomehr, als man inzwischen schon
mehrfach bemüht gewesen war, auch für das übrige Deutschland besondre Ge¬
werbegerichte zu schassen.

Schon die Gewerbeordnung (§ 108) hatte bestimmt, daß in Gewerbesnchen
zunächst die Gemeindebehörde eine Entscheidung abgeben solle, gegen die freilich
den Beteiligten "die Berufung auf deu Rechtsweg" vorbehalte" blieb, daß ferner
durch Orlsstatnt gewerbliche Schiedsgerichte geschaffen werden können. Hier
tritt nun auch zuerst der Satz auf, daß diese Schiedsgerichte durch die Ge¬
meindebehörden "unter gleichmäßiger Zuziehung von Arbeitgebern und Arbeit¬
nehmern" zu bilden seien. Die Vorschriften der Gewerbeordnung erwiesen sich
aber als unpraktisch, und namentlich wurde von der Befugnis, gewerbliche
Schiedsgerichte zu schaffen, nnr äußerst selten Gebrauch gemacht. Im Jahre
1873 wurde dem Reichstage ein Gesetzentwurf vorgelegt, wonach durch die
Zentralbehörden besondre Gewerbegerichte für gewerbliche Streitigkeiten sollte"
geschaffen werde" können. Der Entwurf kam wegen Schluß des Reichstages
nicht mehr zur Verhandlung. Abermals wurde dem Reichstage ein Gesetz¬
entwurf dieser Art im Jahre 1878 vorgelegt. Er kam zwar zur Verhandlung,
scheiterte aber daran, daß für deu Paragraphen, der die Zusammensetzung des
Gerichts bestimmte, sich keine Mehrheit zusammenfand.

Nun ist endlich dein gegenwärtigen Reichstage ein neuer Entwurf vor¬
gelegt worden und dieser hat mit wenigen Änderungen die Zustimmung gefunden.


Die neuen Gewerbegerichte

Zahl der Fabrikanten stets die der Werkmeister und Handwerker übersteigt.
Mit der Sprache der Sozialdemokratie zu reden, sind also diese französisch-
rheinischen Gewerbegerichte nichts andres, als eine Einrichtung zu Gunsten
der Bourgeoisie. In Gewerbesachen spricht diese sich selbst Recht. Damit
soll nur freilich nicht gesagt sein, daß die so gebildeten Gerichte unerträg¬
liche Entscheidungen geben müßten. Sitzen verständige Männer darin, so
müssen sie schon aus Klugheit sich davor hüten, völlig einseitig zu Werke zu
gehen. Daß aber im allgemeinen diese Gerichte sich in erster Linie berufen
fühlen werden, die Interessen der Arbeitgeber zu wahren, das liegt doch in der
Natur der Sache. Dem entspricht es auch, daß die Industriellen allein die
Kosten dieser Gerichte tragen. Die Richter selbst beziehen freilich keine Ver¬
gütung. Nur der Gerichtsschreiber, der die zum Staatsdienst befähigenden
Eigenschaften haben muß und der eine Hauptperson bei diesen Gerichten bildet,
darf bestimmte Sporteln oder auch eine Besoldung beziehen. Das einzige
Volkstümliche dieser Gerichte besteht darin, daß sie die Justiz umsonst geben.
Und dieser Umstand wiegt so schwer, daß er much bei den Arbeitern ihnen eine
gewisse Beliebtheit verschaffen mochte.

Als bei der neuen Justizorganisation im Jahre 1877 der unglaubliche
Fetischismus, deu die Rheinländer mit ihren Rechtsinstitntivnen treiben, in der
deutschen Zivilprozeßordnung seinen Triumph feierte, wurden natürlich anch
diese Gewerbegerichte aufrecht erhalten, umsomehr, als man inzwischen schon
mehrfach bemüht gewesen war, auch für das übrige Deutschland besondre Ge¬
werbegerichte zu schassen.

Schon die Gewerbeordnung (§ 108) hatte bestimmt, daß in Gewerbesnchen
zunächst die Gemeindebehörde eine Entscheidung abgeben solle, gegen die freilich
den Beteiligten „die Berufung auf deu Rechtsweg" vorbehalte» blieb, daß ferner
durch Orlsstatnt gewerbliche Schiedsgerichte geschaffen werden können. Hier
tritt nun auch zuerst der Satz auf, daß diese Schiedsgerichte durch die Ge¬
meindebehörden „unter gleichmäßiger Zuziehung von Arbeitgebern und Arbeit¬
nehmern" zu bilden seien. Die Vorschriften der Gewerbeordnung erwiesen sich
aber als unpraktisch, und namentlich wurde von der Befugnis, gewerbliche
Schiedsgerichte zu schaffen, nnr äußerst selten Gebrauch gemacht. Im Jahre
1873 wurde dem Reichstage ein Gesetzentwurf vorgelegt, wonach durch die
Zentralbehörden besondre Gewerbegerichte für gewerbliche Streitigkeiten sollte»
geschaffen werde» können. Der Entwurf kam wegen Schluß des Reichstages
nicht mehr zur Verhandlung. Abermals wurde dem Reichstage ein Gesetz¬
entwurf dieser Art im Jahre 1878 vorgelegt. Er kam zwar zur Verhandlung,
scheiterte aber daran, daß für deu Paragraphen, der die Zusammensetzung des
Gerichts bestimmte, sich keine Mehrheit zusammenfand.

Nun ist endlich dein gegenwärtigen Reichstage ein neuer Entwurf vor¬
gelegt worden und dieser hat mit wenigen Änderungen die Zustimmung gefunden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/202>, abgerufen am 13.05.2024.