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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die Wissenschaft im Lichte der sozialen Idee

Zeitungen jammern würden, die Bevölkerung brächte sicherlich im Staatsdienst
erprobten Männern größeres Vertrauen entgegen als unversuchten Parlaments¬
rednern oder gar schon versuchten. Die Jahre 1868 bis 1870 und 1871
bis 1879 haben schwerlich jemand auf eine Wiederholung lüstern gemacht.
Und schließlich könnten die Liberalen ja nur dankbar sein, wenn die notwendige,
mühevolle und verantwortliche Aufgabe uicht Männern ihrer Partei aufge¬
bürdet würde. Vielleicht hätte sogar einer oder der andre von diesen den
Mut, sich der Unpopnlarität auszusetzen, der Mitglieder einer nichtvarlamcn-
tarischcn, nichtliberalen Regierung verfallen. Sie ist nicht so gefährlich: der¬
selbe Herr von Czedik, der jenes Schicksal einst erfuhr, ist längst wieder zu
Gnaden angenommen, obgleich er das Eisenbahnwesen unter dem Grafen
Taaffe leitet.




Die Wissenschaft im Ächte der sozialen Idee
v L. König on

icero erzählt einmal von Phthagoras, daß er die Welt mit einem
Markte verglichen habe, auf dem einige kaufen, andre verkaufen,
noch andre aber dem Treiben der übrigen zuschauen und ohne In¬
teresse an den Dingen selbst sich lediglich der Betrachtung hingeben;
diese Beschäftigung sei die edelste, und die sich ihr widmen, seien
die Weisheitsfreunde, oder wie wir jetzt sagen würden, die Gelehrten.
Diese Auffassung von der Stellung des Forschers in der Gesellschaft, nach der
er das Wesen des Aristokraten und des Asketen in sich vereinigt, hat sich ihrem,
allgemeinen Sinne nach bis in die Gegenwart erhalten, indem nur bald mehr
die asketische, bald mehr die aristokratische Seite betont worden ist. Das
Mittelalter kannte nur den geistlichen Gelehrten, der abgeschieden in den Kloster-
mauern lebt und sinnt, in der neuern Zeit hat sich der Begriff einer geistigen
Aristokratie ausgebildet, für die mannichfache Vorrechte beansprucht worden
sind; und jedenfalls erfreut sich auch in der Gegenwart der Grundsatz eines
weitverbreiteten Beifalls, daß die Wissenschaft nur um ihrer selbst willen zu
betreiben sei, und daß insofern wenigstens der Denker eine Ausnahmestellung
in der Gesellschaft einnehme und einnehmen müsse, als er unberührt von den
um materielle Güter sich bewegenden Sorgen und Bestrebungen der übrigen
Menschheit nur ans den Erwerb wissenschaftlicher Wahrheiten auszugehen habe;


Die Wissenschaft im Lichte der sozialen Idee

Zeitungen jammern würden, die Bevölkerung brächte sicherlich im Staatsdienst
erprobten Männern größeres Vertrauen entgegen als unversuchten Parlaments¬
rednern oder gar schon versuchten. Die Jahre 1868 bis 1870 und 1871
bis 1879 haben schwerlich jemand auf eine Wiederholung lüstern gemacht.
Und schließlich könnten die Liberalen ja nur dankbar sein, wenn die notwendige,
mühevolle und verantwortliche Aufgabe uicht Männern ihrer Partei aufge¬
bürdet würde. Vielleicht hätte sogar einer oder der andre von diesen den
Mut, sich der Unpopnlarität auszusetzen, der Mitglieder einer nichtvarlamcn-
tarischcn, nichtliberalen Regierung verfallen. Sie ist nicht so gefährlich: der¬
selbe Herr von Czedik, der jenes Schicksal einst erfuhr, ist längst wieder zu
Gnaden angenommen, obgleich er das Eisenbahnwesen unter dem Grafen
Taaffe leitet.




Die Wissenschaft im Ächte der sozialen Idee
v L. König on

icero erzählt einmal von Phthagoras, daß er die Welt mit einem
Markte verglichen habe, auf dem einige kaufen, andre verkaufen,
noch andre aber dem Treiben der übrigen zuschauen und ohne In¬
teresse an den Dingen selbst sich lediglich der Betrachtung hingeben;
diese Beschäftigung sei die edelste, und die sich ihr widmen, seien
die Weisheitsfreunde, oder wie wir jetzt sagen würden, die Gelehrten.
Diese Auffassung von der Stellung des Forschers in der Gesellschaft, nach der
er das Wesen des Aristokraten und des Asketen in sich vereinigt, hat sich ihrem,
allgemeinen Sinne nach bis in die Gegenwart erhalten, indem nur bald mehr
die asketische, bald mehr die aristokratische Seite betont worden ist. Das
Mittelalter kannte nur den geistlichen Gelehrten, der abgeschieden in den Kloster-
mauern lebt und sinnt, in der neuern Zeit hat sich der Begriff einer geistigen
Aristokratie ausgebildet, für die mannichfache Vorrechte beansprucht worden
sind; und jedenfalls erfreut sich auch in der Gegenwart der Grundsatz eines
weitverbreiteten Beifalls, daß die Wissenschaft nur um ihrer selbst willen zu
betreiben sei, und daß insofern wenigstens der Denker eine Ausnahmestellung
in der Gesellschaft einnehme und einnehmen müsse, als er unberührt von den
um materielle Güter sich bewegenden Sorgen und Bestrebungen der übrigen
Menschheit nur ans den Erwerb wissenschaftlicher Wahrheiten auszugehen habe;


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[0301] Die Wissenschaft im Lichte der sozialen Idee Zeitungen jammern würden, die Bevölkerung brächte sicherlich im Staatsdienst erprobten Männern größeres Vertrauen entgegen als unversuchten Parlaments¬ rednern oder gar schon versuchten. Die Jahre 1868 bis 1870 und 1871 bis 1879 haben schwerlich jemand auf eine Wiederholung lüstern gemacht. Und schließlich könnten die Liberalen ja nur dankbar sein, wenn die notwendige, mühevolle und verantwortliche Aufgabe uicht Männern ihrer Partei aufge¬ bürdet würde. Vielleicht hätte sogar einer oder der andre von diesen den Mut, sich der Unpopnlarität auszusetzen, der Mitglieder einer nichtvarlamcn- tarischcn, nichtliberalen Regierung verfallen. Sie ist nicht so gefährlich: der¬ selbe Herr von Czedik, der jenes Schicksal einst erfuhr, ist längst wieder zu Gnaden angenommen, obgleich er das Eisenbahnwesen unter dem Grafen Taaffe leitet. Die Wissenschaft im Ächte der sozialen Idee v L. König on icero erzählt einmal von Phthagoras, daß er die Welt mit einem Markte verglichen habe, auf dem einige kaufen, andre verkaufen, noch andre aber dem Treiben der übrigen zuschauen und ohne In¬ teresse an den Dingen selbst sich lediglich der Betrachtung hingeben; diese Beschäftigung sei die edelste, und die sich ihr widmen, seien die Weisheitsfreunde, oder wie wir jetzt sagen würden, die Gelehrten. Diese Auffassung von der Stellung des Forschers in der Gesellschaft, nach der er das Wesen des Aristokraten und des Asketen in sich vereinigt, hat sich ihrem, allgemeinen Sinne nach bis in die Gegenwart erhalten, indem nur bald mehr die asketische, bald mehr die aristokratische Seite betont worden ist. Das Mittelalter kannte nur den geistlichen Gelehrten, der abgeschieden in den Kloster- mauern lebt und sinnt, in der neuern Zeit hat sich der Begriff einer geistigen Aristokratie ausgebildet, für die mannichfache Vorrechte beansprucht worden sind; und jedenfalls erfreut sich auch in der Gegenwart der Grundsatz eines weitverbreiteten Beifalls, daß die Wissenschaft nur um ihrer selbst willen zu betreiben sei, und daß insofern wenigstens der Denker eine Ausnahmestellung in der Gesellschaft einnehme und einnehmen müsse, als er unberührt von den um materielle Güter sich bewegenden Sorgen und Bestrebungen der übrigen Menschheit nur ans den Erwerb wissenschaftlicher Wahrheiten auszugehen habe;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/301>, abgerufen am 27.04.2024.