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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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was dies thun werde, um der Verwirrung ein Eude zu macheu, erhält man
leider keine klare Antwort. Aber wenn die Herren nicht im Besitz eines Ge¬
heimmittels sind, ließe sich der Verlauf der Dinge nicht allzu schwer voraus-
sagen. Freie Wahlen werden stets eine tschechische Mehrheit für den böh¬
mischen Landtag und eine deutschfeindliche Mehrheit im Reichsrat ergeben. Um
diese abzuwehren, müßte zu den altbekannten Mitteln gegriffen werden: sanfter
Druck auf Kreise, die es mit dem Hofe nicht verderben wollen, in andern
Schichten stärkerer durch die Beamtenschaft; in Galizien würde möglicherweise
trotz allem, was dort in den letzten Jahrzehnten verdorben worden ist, noch
der Schutz gegen polnische Wahlkünste genügen, um eine der Bevölkerungs-
ziffer entsprechende Anzahl Urtheilen in die Vertretungen zu bringen und sie
wieder regierungsfreundlich zu stimmen. Dann könnte die Festsetzung der
Grenzen zwischen deutsch und tschechisch durchgeführt, und vor allem dnrch
Erklärung des Deutschen zur Staatssprache weitern Übergriffen des Tschechen-
tums ein Ziel gesetzt werden. Infolge dessen vermutlich wieder parlamen¬
tarische Arbeitseinstellung der Tschechen, die als unvermeidlich mit Ruhe
hingenommen werden müßte, nud die nur dann längere Dauer haben würde,
wenn die Tschechen meinten, Zweifel in den vollen Ernst der Regierung setzen
zu dürfen.

Denkbar wäre wohl, daß die deutsche Regierung versuchte, den Bund
der Alt- und Jungtschechen zu sprengen und jene durch Zugeständnisse zu
kirren. Der Versuch könnte sehr weit führen: hat doch der liberale Deutsche
Stremeyr als Justizminister die deutsche Sache in Böhmen mehr geschädigt
als der slawenfrenndliche Schönborn. Dann würde das Ministerium von seiner
eignen Partei gestürzt werden.

Endlich wäre ein dritter Weg möglich. Die Tschechen rufen fortwährend
die Schlacht am Weißen Berge an: damit sagen sie selbst, daß Böhmen noch
jetzt als erobertes Land angesehen werden soll, und der ungebärdigen Bevölke¬
rung eines solchen wird man am besten Herr durch die Diktatur. Dabei wäre
die Negierung in der angenehmen Lage, nicht die Gutgesinnten mit den Bös¬
willigen leiden zu lassen, denn die Deutschbvhmen stellen sich ja nicht auf deren
Standpunkt.

Den dritten Weg könnten die Deutsch-Liberalen nicht wählen, dn sie mit
doktrinärer Zähigkeit an der Fiktion vom parlamentarischen Regiment fest¬
halten, und dies wenigstens zum Schein wahren würden. Das betrübende
Ziel des zweiten Weges liegt aber gar zu deutlich vor Augen. Mithin bliebe der
erste. Aber weshalb sollte die auf diesem Wege liegende Arbeit nicht ebenso gut
vom Grafen Taaffe mit einem Kreise tüchtiger, charakterfester Beamten verrichtet
werden können? Weil er sich zu seinem Irrtum bekennen müßte? Er ist kein
Doktrinär, und einen Irrtum eingestehen und wieder gut machen, bringt keine
Schande. An Mitarbeitern würde es ihm nicht fehlen, und wenn auch viele


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was dies thun werde, um der Verwirrung ein Eude zu macheu, erhält man
leider keine klare Antwort. Aber wenn die Herren nicht im Besitz eines Ge¬
heimmittels sind, ließe sich der Verlauf der Dinge nicht allzu schwer voraus-
sagen. Freie Wahlen werden stets eine tschechische Mehrheit für den böh¬
mischen Landtag und eine deutschfeindliche Mehrheit im Reichsrat ergeben. Um
diese abzuwehren, müßte zu den altbekannten Mitteln gegriffen werden: sanfter
Druck auf Kreise, die es mit dem Hofe nicht verderben wollen, in andern
Schichten stärkerer durch die Beamtenschaft; in Galizien würde möglicherweise
trotz allem, was dort in den letzten Jahrzehnten verdorben worden ist, noch
der Schutz gegen polnische Wahlkünste genügen, um eine der Bevölkerungs-
ziffer entsprechende Anzahl Urtheilen in die Vertretungen zu bringen und sie
wieder regierungsfreundlich zu stimmen. Dann könnte die Festsetzung der
Grenzen zwischen deutsch und tschechisch durchgeführt, und vor allem dnrch
Erklärung des Deutschen zur Staatssprache weitern Übergriffen des Tschechen-
tums ein Ziel gesetzt werden. Infolge dessen vermutlich wieder parlamen¬
tarische Arbeitseinstellung der Tschechen, die als unvermeidlich mit Ruhe
hingenommen werden müßte, nud die nur dann längere Dauer haben würde,
wenn die Tschechen meinten, Zweifel in den vollen Ernst der Regierung setzen
zu dürfen.

Denkbar wäre wohl, daß die deutsche Regierung versuchte, den Bund
der Alt- und Jungtschechen zu sprengen und jene durch Zugeständnisse zu
kirren. Der Versuch könnte sehr weit führen: hat doch der liberale Deutsche
Stremeyr als Justizminister die deutsche Sache in Böhmen mehr geschädigt
als der slawenfrenndliche Schönborn. Dann würde das Ministerium von seiner
eignen Partei gestürzt werden.

Endlich wäre ein dritter Weg möglich. Die Tschechen rufen fortwährend
die Schlacht am Weißen Berge an: damit sagen sie selbst, daß Böhmen noch
jetzt als erobertes Land angesehen werden soll, und der ungebärdigen Bevölke¬
rung eines solchen wird man am besten Herr durch die Diktatur. Dabei wäre
die Negierung in der angenehmen Lage, nicht die Gutgesinnten mit den Bös¬
willigen leiden zu lassen, denn die Deutschbvhmen stellen sich ja nicht auf deren
Standpunkt.

Den dritten Weg könnten die Deutsch-Liberalen nicht wählen, dn sie mit
doktrinärer Zähigkeit an der Fiktion vom parlamentarischen Regiment fest¬
halten, und dies wenigstens zum Schein wahren würden. Das betrübende
Ziel des zweiten Weges liegt aber gar zu deutlich vor Augen. Mithin bliebe der
erste. Aber weshalb sollte die auf diesem Wege liegende Arbeit nicht ebenso gut
vom Grafen Taaffe mit einem Kreise tüchtiger, charakterfester Beamten verrichtet
werden können? Weil er sich zu seinem Irrtum bekennen müßte? Er ist kein
Doktrinär, und einen Irrtum eingestehen und wieder gut machen, bringt keine
Schande. An Mitarbeitern würde es ihm nicht fehlen, und wenn auch viele


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[0300] Line brennende Ghrfeige was dies thun werde, um der Verwirrung ein Eude zu macheu, erhält man leider keine klare Antwort. Aber wenn die Herren nicht im Besitz eines Ge¬ heimmittels sind, ließe sich der Verlauf der Dinge nicht allzu schwer voraus- sagen. Freie Wahlen werden stets eine tschechische Mehrheit für den böh¬ mischen Landtag und eine deutschfeindliche Mehrheit im Reichsrat ergeben. Um diese abzuwehren, müßte zu den altbekannten Mitteln gegriffen werden: sanfter Druck auf Kreise, die es mit dem Hofe nicht verderben wollen, in andern Schichten stärkerer durch die Beamtenschaft; in Galizien würde möglicherweise trotz allem, was dort in den letzten Jahrzehnten verdorben worden ist, noch der Schutz gegen polnische Wahlkünste genügen, um eine der Bevölkerungs- ziffer entsprechende Anzahl Urtheilen in die Vertretungen zu bringen und sie wieder regierungsfreundlich zu stimmen. Dann könnte die Festsetzung der Grenzen zwischen deutsch und tschechisch durchgeführt, und vor allem dnrch Erklärung des Deutschen zur Staatssprache weitern Übergriffen des Tschechen- tums ein Ziel gesetzt werden. Infolge dessen vermutlich wieder parlamen¬ tarische Arbeitseinstellung der Tschechen, die als unvermeidlich mit Ruhe hingenommen werden müßte, nud die nur dann längere Dauer haben würde, wenn die Tschechen meinten, Zweifel in den vollen Ernst der Regierung setzen zu dürfen. Denkbar wäre wohl, daß die deutsche Regierung versuchte, den Bund der Alt- und Jungtschechen zu sprengen und jene durch Zugeständnisse zu kirren. Der Versuch könnte sehr weit führen: hat doch der liberale Deutsche Stremeyr als Justizminister die deutsche Sache in Böhmen mehr geschädigt als der slawenfrenndliche Schönborn. Dann würde das Ministerium von seiner eignen Partei gestürzt werden. Endlich wäre ein dritter Weg möglich. Die Tschechen rufen fortwährend die Schlacht am Weißen Berge an: damit sagen sie selbst, daß Böhmen noch jetzt als erobertes Land angesehen werden soll, und der ungebärdigen Bevölke¬ rung eines solchen wird man am besten Herr durch die Diktatur. Dabei wäre die Negierung in der angenehmen Lage, nicht die Gutgesinnten mit den Bös¬ willigen leiden zu lassen, denn die Deutschbvhmen stellen sich ja nicht auf deren Standpunkt. Den dritten Weg könnten die Deutsch-Liberalen nicht wählen, dn sie mit doktrinärer Zähigkeit an der Fiktion vom parlamentarischen Regiment fest¬ halten, und dies wenigstens zum Schein wahren würden. Das betrübende Ziel des zweiten Weges liegt aber gar zu deutlich vor Augen. Mithin bliebe der erste. Aber weshalb sollte die auf diesem Wege liegende Arbeit nicht ebenso gut vom Grafen Taaffe mit einem Kreise tüchtiger, charakterfester Beamten verrichtet werden können? Weil er sich zu seinem Irrtum bekennen müßte? Er ist kein Doktrinär, und einen Irrtum eingestehen und wieder gut machen, bringt keine Schande. An Mitarbeitern würde es ihm nicht fehlen, und wenn auch viele

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/300>, abgerufen am 12.05.2024.