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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Öffentliche Unsicherheit

le Neue Preußische Zeitung brachte kürzlich aus Hagen in West¬
falen folgenden Artikel:

Hagen, den 3. Juni. > Verrohung der Sitten, j Im rheinisch¬
westfälischen Jndustricbezirke läßt die allgemeine Sicherheit sehr zu
Wünschen übrig. Überall hört man laute Klagen über die Ver¬
rohung der Sitten n. s. w. Ein Menschenleben wird nichts geachtet, und schändliche
Mordthaten, schwere Einbrüche n. s. w. sind wieder an der Tagesordnung. Wir
gehen wohl nicht fehl, wenn wir als Ursache dieser Verwilderung der arbeitenden
Bevölkerung einmal das Umsichgreifen der Sozialdemokratie, beziehungsweise der
Gottlosigkeit und serner die bessern "Lohnverhältnisse" hinstellen. In den siebziger
Jahren, als die Arbeiter viel verdienten, waren sie auch auf dem Wege der Moral
in starken Defekt gekommen, und heute geben sie dasselbe Bild. Kann man sich
wundern, wenn in der morgen Hierselbst beginnenden Schwurgerichtsperiode von
sechs Fällen vier Sittlichkeitverbrechen, ein Meineid und ein Todschlng vorliege"?
Wohin werden wir gelangen, wenn da nicht bald Mittel und Wege gefunden werden,
die dem bösen Treiben Einhalt gebieten! Erst vorgestern wurde in Oberhansen am
hellen Tage ein friedlicher Arbeiter in einer Arena vor den Angen zahlreicher
Zuschauer von drei Arbeitern überfallen und in gräßlicher Weise niedergestochen.
Die Feder sträubt sich, alle die Schandthaten, die täglich verübt werden, nieder¬
zuschreiben.

Ähnliche Klagen sind mehrfach in der Kölnischen Zeitung erhoben worden;
auch liegt uns eine Zusammenstellung der in wenigen Jahren in dem west¬
fälischen Jndustriebezirke vorgekommenen Morde in der Schrift: ,.Die bestehende
Organisation und die erforderliche Reorganisation der preußischen Polizei¬
verwaltung" (Berlin, Friedrich Luckhardt) vor, aus der folgendes hervor¬
geht. Es wurden ermordet: 30. Dezember 1878 Lisette Kost, 5. Juli 1879
Elise Riemenschneider, 7. August 1879 Lisette Schälken, 30. Juli 1880 Minna
Pott, 1. November 1880 Hebamme Becker, 27. Juli 1881 Christine Rümel-
mann, 11. April 1881 Dienstmagd Ostermann und 27. Mai 1882 Dienstmagd
Elise Gantenberg. Aus alledem ist zu schließen, daß es um die öffentliche
Sicherheit schlecht bestellt ist und auf eine Besserung hingearbeitet werden muß.

Obgleich nun eine gründliche Abhilfe nur durch bessere Erziehung und höhere
Kultur zu bewirken ist, so wird doch eine Maßregel nicht vermieden werden
können, die augenblicklich den nötigen Schutz gewahrt. Es ist dies eine
schleunige Vermehrung und ordentliche Organisirung der Polizeikräfte. Wenn




Öffentliche Unsicherheit

le Neue Preußische Zeitung brachte kürzlich aus Hagen in West¬
falen folgenden Artikel:

Hagen, den 3. Juni. > Verrohung der Sitten, j Im rheinisch¬
westfälischen Jndustricbezirke läßt die allgemeine Sicherheit sehr zu
Wünschen übrig. Überall hört man laute Klagen über die Ver¬
rohung der Sitten n. s. w. Ein Menschenleben wird nichts geachtet, und schändliche
Mordthaten, schwere Einbrüche n. s. w. sind wieder an der Tagesordnung. Wir
gehen wohl nicht fehl, wenn wir als Ursache dieser Verwilderung der arbeitenden
Bevölkerung einmal das Umsichgreifen der Sozialdemokratie, beziehungsweise der
Gottlosigkeit und serner die bessern „Lohnverhältnisse" hinstellen. In den siebziger
Jahren, als die Arbeiter viel verdienten, waren sie auch auf dem Wege der Moral
in starken Defekt gekommen, und heute geben sie dasselbe Bild. Kann man sich
wundern, wenn in der morgen Hierselbst beginnenden Schwurgerichtsperiode von
sechs Fällen vier Sittlichkeitverbrechen, ein Meineid und ein Todschlng vorliege»?
Wohin werden wir gelangen, wenn da nicht bald Mittel und Wege gefunden werden,
die dem bösen Treiben Einhalt gebieten! Erst vorgestern wurde in Oberhansen am
hellen Tage ein friedlicher Arbeiter in einer Arena vor den Angen zahlreicher
Zuschauer von drei Arbeitern überfallen und in gräßlicher Weise niedergestochen.
Die Feder sträubt sich, alle die Schandthaten, die täglich verübt werden, nieder¬
zuschreiben.

Ähnliche Klagen sind mehrfach in der Kölnischen Zeitung erhoben worden;
auch liegt uns eine Zusammenstellung der in wenigen Jahren in dem west¬
fälischen Jndustriebezirke vorgekommenen Morde in der Schrift: ,.Die bestehende
Organisation und die erforderliche Reorganisation der preußischen Polizei¬
verwaltung" (Berlin, Friedrich Luckhardt) vor, aus der folgendes hervor¬
geht. Es wurden ermordet: 30. Dezember 1878 Lisette Kost, 5. Juli 1879
Elise Riemenschneider, 7. August 1879 Lisette Schälken, 30. Juli 1880 Minna
Pott, 1. November 1880 Hebamme Becker, 27. Juli 1881 Christine Rümel-
mann, 11. April 1881 Dienstmagd Ostermann und 27. Mai 1882 Dienstmagd
Elise Gantenberg. Aus alledem ist zu schließen, daß es um die öffentliche
Sicherheit schlecht bestellt ist und auf eine Besserung hingearbeitet werden muß.

Obgleich nun eine gründliche Abhilfe nur durch bessere Erziehung und höhere
Kultur zu bewirken ist, so wird doch eine Maßregel nicht vermieden werden
können, die augenblicklich den nötigen Schutz gewahrt. Es ist dies eine
schleunige Vermehrung und ordentliche Organisirung der Polizeikräfte. Wenn


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[0398] [Abbildung] Öffentliche Unsicherheit le Neue Preußische Zeitung brachte kürzlich aus Hagen in West¬ falen folgenden Artikel: Hagen, den 3. Juni. > Verrohung der Sitten, j Im rheinisch¬ westfälischen Jndustricbezirke läßt die allgemeine Sicherheit sehr zu Wünschen übrig. Überall hört man laute Klagen über die Ver¬ rohung der Sitten n. s. w. Ein Menschenleben wird nichts geachtet, und schändliche Mordthaten, schwere Einbrüche n. s. w. sind wieder an der Tagesordnung. Wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir als Ursache dieser Verwilderung der arbeitenden Bevölkerung einmal das Umsichgreifen der Sozialdemokratie, beziehungsweise der Gottlosigkeit und serner die bessern „Lohnverhältnisse" hinstellen. In den siebziger Jahren, als die Arbeiter viel verdienten, waren sie auch auf dem Wege der Moral in starken Defekt gekommen, und heute geben sie dasselbe Bild. Kann man sich wundern, wenn in der morgen Hierselbst beginnenden Schwurgerichtsperiode von sechs Fällen vier Sittlichkeitverbrechen, ein Meineid und ein Todschlng vorliege»? Wohin werden wir gelangen, wenn da nicht bald Mittel und Wege gefunden werden, die dem bösen Treiben Einhalt gebieten! Erst vorgestern wurde in Oberhansen am hellen Tage ein friedlicher Arbeiter in einer Arena vor den Angen zahlreicher Zuschauer von drei Arbeitern überfallen und in gräßlicher Weise niedergestochen. Die Feder sträubt sich, alle die Schandthaten, die täglich verübt werden, nieder¬ zuschreiben. Ähnliche Klagen sind mehrfach in der Kölnischen Zeitung erhoben worden; auch liegt uns eine Zusammenstellung der in wenigen Jahren in dem west¬ fälischen Jndustriebezirke vorgekommenen Morde in der Schrift: ,.Die bestehende Organisation und die erforderliche Reorganisation der preußischen Polizei¬ verwaltung" (Berlin, Friedrich Luckhardt) vor, aus der folgendes hervor¬ geht. Es wurden ermordet: 30. Dezember 1878 Lisette Kost, 5. Juli 1879 Elise Riemenschneider, 7. August 1879 Lisette Schälken, 30. Juli 1880 Minna Pott, 1. November 1880 Hebamme Becker, 27. Juli 1881 Christine Rümel- mann, 11. April 1881 Dienstmagd Ostermann und 27. Mai 1882 Dienstmagd Elise Gantenberg. Aus alledem ist zu schließen, daß es um die öffentliche Sicherheit schlecht bestellt ist und auf eine Besserung hingearbeitet werden muß. Obgleich nun eine gründliche Abhilfe nur durch bessere Erziehung und höhere Kultur zu bewirken ist, so wird doch eine Maßregel nicht vermieden werden können, die augenblicklich den nötigen Schutz gewahrt. Es ist dies eine schleunige Vermehrung und ordentliche Organisirung der Polizeikräfte. Wenn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/398>, abgerufen am 28.04.2024.