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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die Arbeitsordnung und der Arbeitsvertrag

erlassen wäre, sich gefügt haben würde, wird, wenn sie gegen seinen ausdrücklichen
Widerspruch erlassen ist, es für eine Ehrensache halten, sich ihr nicht zu unter¬
werfen, vielmehr die Arbeit zu kündigen, ihm selbst und dem Fabrikherrn zum
Schaden. Vielleicht will man freilich dadurch, daß man den Fabrikherrn zur
Vorlage der Arbeitsordnung an seine Arbeiter nötigt, eine Art moralischen
Zwanges gegen ihn üben, keine Arbeitsordnung zu erlassen, die seinen Arbeitern
nicht genehm ist. Aber hat ein solcher moralischer Zwang wohl eine Berech¬
tigung? Will man den Fabrikherrn, der doch Eigentümer seines Geschäfts ist
und bleiben soll, in eine Art konstitutionellen Regenten umwandeln, der für
seine Fabrikgesetze erst die Zustimmung seines Arbeiterparlaments einholen
muß? Der Entwurf hat wohlweislich vermieden, dem Fabrikherrn die
Verpflichtung aufzulegen, sogenannte Arbeiterausschüsse zu schaffen. Alle
Gründe, die hierfür bestimmend gewesen sind, führen folgerichtig auch dahin,
daß eine Vorschrift, wie die in § 1346 enthaltene, nicht gegeben werde.

Überall geht der Entwurf von der Annahme aus, daß eine Arbeits¬
ordnung nur für die schon in Arbeit stehenden Arbeiter erlassen werde. Wie
aber, wenn der Fabrikherr eine Arbeitsordnung für die erst von einem be¬
stimmten Tage an eintretenden Arbeiter geben wollte? Über diese gehört zu
werden, würde doch kein Arbeiter auch nur den Schein einer Berechtigung
haben. Wem die Arbeitsordnung nicht gefüllt, der tritt eben nicht in die
Arbeit ein. Gerade so wenig wie zukünftige Arbeiter, haben aber auch die
gegenwärtigen Arbeiter ein Recht auf eine bestimmte Arbeitsordnung von dein
Augenblick an, wo ihr Arbeitsvertrag lösbar ist. Immer bleibt dem Arbeiter
nur das Recht, wenn ihm eine Arbeitsordnung nicht gefällt, aus der Arbeit
zu scheiden.

Dieses Recht des Arbeiters kann man vielleicht durch den Abs. 4 des
§ 134a sür nicht genügend gewahrt halten. Zunächst ist es ja (nach HZ 110
und 127 der Gewerbeordnung) möglich, daß eine andre als die gesetzlich
angeordnete vierzehntägige Frist für die Kündigung vereinbart ist. Es würde
aber auch billig sein, wenn dem Arbeiter nach Erlaß einer neuen Arbeits¬
ordnung einige Zeit über diese Frist hinaus gewährt würde, um zu erwägen,
ob er unter der neuen Ordnung fortarbeiten oder ausscheiden will. Wenn
also der § 134<l beseitigt wird, so würde es angemessen sein, den: Abs. 4 des
!; 1349. folgende Fassung zu geben:

Die Arbeitsordnungen und Nachträge dürfen erst in Geltung trete", wenn
nach ihrem Erlaß ein Zeitraum verstrichen ist, der die den Arbeitern für
ihren Arbeitsvertrag zustehende Kündigungsfrist um drei Tage übersteigt.

Mit einer solchen Vorschrift würde uns das Recht der Arbeiter jede
billige Rücksicht genommen sein.




Die Arbeitsordnung und der Arbeitsvertrag

erlassen wäre, sich gefügt haben würde, wird, wenn sie gegen seinen ausdrücklichen
Widerspruch erlassen ist, es für eine Ehrensache halten, sich ihr nicht zu unter¬
werfen, vielmehr die Arbeit zu kündigen, ihm selbst und dem Fabrikherrn zum
Schaden. Vielleicht will man freilich dadurch, daß man den Fabrikherrn zur
Vorlage der Arbeitsordnung an seine Arbeiter nötigt, eine Art moralischen
Zwanges gegen ihn üben, keine Arbeitsordnung zu erlassen, die seinen Arbeitern
nicht genehm ist. Aber hat ein solcher moralischer Zwang wohl eine Berech¬
tigung? Will man den Fabrikherrn, der doch Eigentümer seines Geschäfts ist
und bleiben soll, in eine Art konstitutionellen Regenten umwandeln, der für
seine Fabrikgesetze erst die Zustimmung seines Arbeiterparlaments einholen
muß? Der Entwurf hat wohlweislich vermieden, dem Fabrikherrn die
Verpflichtung aufzulegen, sogenannte Arbeiterausschüsse zu schaffen. Alle
Gründe, die hierfür bestimmend gewesen sind, führen folgerichtig auch dahin,
daß eine Vorschrift, wie die in § 1346 enthaltene, nicht gegeben werde.

Überall geht der Entwurf von der Annahme aus, daß eine Arbeits¬
ordnung nur für die schon in Arbeit stehenden Arbeiter erlassen werde. Wie
aber, wenn der Fabrikherr eine Arbeitsordnung für die erst von einem be¬
stimmten Tage an eintretenden Arbeiter geben wollte? Über diese gehört zu
werden, würde doch kein Arbeiter auch nur den Schein einer Berechtigung
haben. Wem die Arbeitsordnung nicht gefüllt, der tritt eben nicht in die
Arbeit ein. Gerade so wenig wie zukünftige Arbeiter, haben aber auch die
gegenwärtigen Arbeiter ein Recht auf eine bestimmte Arbeitsordnung von dein
Augenblick an, wo ihr Arbeitsvertrag lösbar ist. Immer bleibt dem Arbeiter
nur das Recht, wenn ihm eine Arbeitsordnung nicht gefällt, aus der Arbeit
zu scheiden.

Dieses Recht des Arbeiters kann man vielleicht durch den Abs. 4 des
§ 134a sür nicht genügend gewahrt halten. Zunächst ist es ja (nach HZ 110
und 127 der Gewerbeordnung) möglich, daß eine andre als die gesetzlich
angeordnete vierzehntägige Frist für die Kündigung vereinbart ist. Es würde
aber auch billig sein, wenn dem Arbeiter nach Erlaß einer neuen Arbeits¬
ordnung einige Zeit über diese Frist hinaus gewährt würde, um zu erwägen,
ob er unter der neuen Ordnung fortarbeiten oder ausscheiden will. Wenn
also der § 134<l beseitigt wird, so würde es angemessen sein, den: Abs. 4 des
!; 1349. folgende Fassung zu geben:

Die Arbeitsordnungen und Nachträge dürfen erst in Geltung trete», wenn
nach ihrem Erlaß ein Zeitraum verstrichen ist, der die den Arbeitern für
ihren Arbeitsvertrag zustehende Kündigungsfrist um drei Tage übersteigt.

Mit einer solchen Vorschrift würde uns das Recht der Arbeiter jede
billige Rücksicht genommen sein.




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[0397] Die Arbeitsordnung und der Arbeitsvertrag erlassen wäre, sich gefügt haben würde, wird, wenn sie gegen seinen ausdrücklichen Widerspruch erlassen ist, es für eine Ehrensache halten, sich ihr nicht zu unter¬ werfen, vielmehr die Arbeit zu kündigen, ihm selbst und dem Fabrikherrn zum Schaden. Vielleicht will man freilich dadurch, daß man den Fabrikherrn zur Vorlage der Arbeitsordnung an seine Arbeiter nötigt, eine Art moralischen Zwanges gegen ihn üben, keine Arbeitsordnung zu erlassen, die seinen Arbeitern nicht genehm ist. Aber hat ein solcher moralischer Zwang wohl eine Berech¬ tigung? Will man den Fabrikherrn, der doch Eigentümer seines Geschäfts ist und bleiben soll, in eine Art konstitutionellen Regenten umwandeln, der für seine Fabrikgesetze erst die Zustimmung seines Arbeiterparlaments einholen muß? Der Entwurf hat wohlweislich vermieden, dem Fabrikherrn die Verpflichtung aufzulegen, sogenannte Arbeiterausschüsse zu schaffen. Alle Gründe, die hierfür bestimmend gewesen sind, führen folgerichtig auch dahin, daß eine Vorschrift, wie die in § 1346 enthaltene, nicht gegeben werde. Überall geht der Entwurf von der Annahme aus, daß eine Arbeits¬ ordnung nur für die schon in Arbeit stehenden Arbeiter erlassen werde. Wie aber, wenn der Fabrikherr eine Arbeitsordnung für die erst von einem be¬ stimmten Tage an eintretenden Arbeiter geben wollte? Über diese gehört zu werden, würde doch kein Arbeiter auch nur den Schein einer Berechtigung haben. Wem die Arbeitsordnung nicht gefüllt, der tritt eben nicht in die Arbeit ein. Gerade so wenig wie zukünftige Arbeiter, haben aber auch die gegenwärtigen Arbeiter ein Recht auf eine bestimmte Arbeitsordnung von dein Augenblick an, wo ihr Arbeitsvertrag lösbar ist. Immer bleibt dem Arbeiter nur das Recht, wenn ihm eine Arbeitsordnung nicht gefällt, aus der Arbeit zu scheiden. Dieses Recht des Arbeiters kann man vielleicht durch den Abs. 4 des § 134a sür nicht genügend gewahrt halten. Zunächst ist es ja (nach HZ 110 und 127 der Gewerbeordnung) möglich, daß eine andre als die gesetzlich angeordnete vierzehntägige Frist für die Kündigung vereinbart ist. Es würde aber auch billig sein, wenn dem Arbeiter nach Erlaß einer neuen Arbeits¬ ordnung einige Zeit über diese Frist hinaus gewährt würde, um zu erwägen, ob er unter der neuen Ordnung fortarbeiten oder ausscheiden will. Wenn also der § 134<l beseitigt wird, so würde es angemessen sein, den: Abs. 4 des !; 1349. folgende Fassung zu geben: Die Arbeitsordnungen und Nachträge dürfen erst in Geltung trete», wenn nach ihrem Erlaß ein Zeitraum verstrichen ist, der die den Arbeitern für ihren Arbeitsvertrag zustehende Kündigungsfrist um drei Tage übersteigt. Mit einer solchen Vorschrift würde uns das Recht der Arbeiter jede billige Rücksicht genommen sein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/397>, abgerufen am 13.05.2024.