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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Streifzüge durch die französische Litteratur der Gegenwart

sechs bis zehn Jahren nichts ungewöhnliches mehr sind, so ist das zwar zu
bedauern, es beweist aber zugleich, daß eine Gymnasiallehrerstelle auch bei
dem gegenwärtigen Einkommen vielen als ein wünschenswertes Lebensziel er¬
scheint. Würde nun die Forderung der Lehrer (Wunsch Ur. 18) erfüllt: "Das
Mindest-, Durchschnitts- und Höchstgehalt der Lehrer ist dein der Richter
unterster Instanz gleichzustellen," so würde nach jenem bekannte" Gesetze, das
nnn einmal bei der Berufswahl wirksam ist, der noch stärkere Zufluß zum
Lehrerstande und die dadurch verursachte Verlängerung der Wartezeit den
erlangten Vorteil wahrscheinlich mehr als aufheben. Auf die soziale Seite der
Sache will ich heute nicht eingehe:,; daß dem Wettringen der verschiednen
Beamtenklassen tun Gehaltserhöhung endlich einmal ein Ziel gesetzt werden
muß, sieht ohnehin wohl jeder ohne umständliche Beweisführung ein.




^treifzüge durch die französische Litteratur
der Gegenwart
Lrnst Grotch von
6. Octave Feuillee

indes ist bezeichnender für das beständige Wachsen der littera¬
rischen Wertschätzung, die der Roman als poetische Gattung in
unserm Jahrhundert erfahren hat, als die Thatsache, daß noch
vor fünfzig Jahren der bekannte Literarhistoriker Villemain dem
Roman keine rechte Stelle in seinen litterargeschichtlicheu Unter¬
suchungen anzuweisen wußte, daß er in einer erklärlichen Anwandlung von
Gelehrtendünkel die Leistungen seiner Zeit auf diesem Gebiete übersah und uur
die griechischen Romane der alexandrinischen Periode, die Werke eines Achilles
Tatius und eines Heliodor der Beachtung und Würdigung für wert hielt.
Eine Dichtungsgattung, für die es in der Ms xoetiv^ keine Gesetze und Regeln
gab, konnte auch in den Augen dogmatischer Kunstrichter unmöglich eine Daseins¬
berechtigung haben.

Diese Mißachtung des modernen Romans dürfte sich ein Geschichtschreiber
des neunzehnten Jahrhunderts nicht mehr zu Schulden kommen lassen; denn
gerade im Roman hat unsre Zeit die charakteristische Form und das selbständige


Streifzüge durch die französische Litteratur der Gegenwart

sechs bis zehn Jahren nichts ungewöhnliches mehr sind, so ist das zwar zu
bedauern, es beweist aber zugleich, daß eine Gymnasiallehrerstelle auch bei
dem gegenwärtigen Einkommen vielen als ein wünschenswertes Lebensziel er¬
scheint. Würde nun die Forderung der Lehrer (Wunsch Ur. 18) erfüllt: „Das
Mindest-, Durchschnitts- und Höchstgehalt der Lehrer ist dein der Richter
unterster Instanz gleichzustellen," so würde nach jenem bekannte» Gesetze, das
nnn einmal bei der Berufswahl wirksam ist, der noch stärkere Zufluß zum
Lehrerstande und die dadurch verursachte Verlängerung der Wartezeit den
erlangten Vorteil wahrscheinlich mehr als aufheben. Auf die soziale Seite der
Sache will ich heute nicht eingehe:,; daß dem Wettringen der verschiednen
Beamtenklassen tun Gehaltserhöhung endlich einmal ein Ziel gesetzt werden
muß, sieht ohnehin wohl jeder ohne umständliche Beweisführung ein.




^treifzüge durch die französische Litteratur
der Gegenwart
Lrnst Grotch von
6. Octave Feuillee

indes ist bezeichnender für das beständige Wachsen der littera¬
rischen Wertschätzung, die der Roman als poetische Gattung in
unserm Jahrhundert erfahren hat, als die Thatsache, daß noch
vor fünfzig Jahren der bekannte Literarhistoriker Villemain dem
Roman keine rechte Stelle in seinen litterargeschichtlicheu Unter¬
suchungen anzuweisen wußte, daß er in einer erklärlichen Anwandlung von
Gelehrtendünkel die Leistungen seiner Zeit auf diesem Gebiete übersah und uur
die griechischen Romane der alexandrinischen Periode, die Werke eines Achilles
Tatius und eines Heliodor der Beachtung und Würdigung für wert hielt.
Eine Dichtungsgattung, für die es in der Ms xoetiv^ keine Gesetze und Regeln
gab, konnte auch in den Augen dogmatischer Kunstrichter unmöglich eine Daseins¬
berechtigung haben.

Diese Mißachtung des modernen Romans dürfte sich ein Geschichtschreiber
des neunzehnten Jahrhunderts nicht mehr zu Schulden kommen lassen; denn
gerade im Roman hat unsre Zeit die charakteristische Form und das selbständige


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[0181] Streifzüge durch die französische Litteratur der Gegenwart sechs bis zehn Jahren nichts ungewöhnliches mehr sind, so ist das zwar zu bedauern, es beweist aber zugleich, daß eine Gymnasiallehrerstelle auch bei dem gegenwärtigen Einkommen vielen als ein wünschenswertes Lebensziel er¬ scheint. Würde nun die Forderung der Lehrer (Wunsch Ur. 18) erfüllt: „Das Mindest-, Durchschnitts- und Höchstgehalt der Lehrer ist dein der Richter unterster Instanz gleichzustellen," so würde nach jenem bekannte» Gesetze, das nnn einmal bei der Berufswahl wirksam ist, der noch stärkere Zufluß zum Lehrerstande und die dadurch verursachte Verlängerung der Wartezeit den erlangten Vorteil wahrscheinlich mehr als aufheben. Auf die soziale Seite der Sache will ich heute nicht eingehe:,; daß dem Wettringen der verschiednen Beamtenklassen tun Gehaltserhöhung endlich einmal ein Ziel gesetzt werden muß, sieht ohnehin wohl jeder ohne umständliche Beweisführung ein. ^treifzüge durch die französische Litteratur der Gegenwart Lrnst Grotch von 6. Octave Feuillee indes ist bezeichnender für das beständige Wachsen der littera¬ rischen Wertschätzung, die der Roman als poetische Gattung in unserm Jahrhundert erfahren hat, als die Thatsache, daß noch vor fünfzig Jahren der bekannte Literarhistoriker Villemain dem Roman keine rechte Stelle in seinen litterargeschichtlicheu Unter¬ suchungen anzuweisen wußte, daß er in einer erklärlichen Anwandlung von Gelehrtendünkel die Leistungen seiner Zeit auf diesem Gebiete übersah und uur die griechischen Romane der alexandrinischen Periode, die Werke eines Achilles Tatius und eines Heliodor der Beachtung und Würdigung für wert hielt. Eine Dichtungsgattung, für die es in der Ms xoetiv^ keine Gesetze und Regeln gab, konnte auch in den Augen dogmatischer Kunstrichter unmöglich eine Daseins¬ berechtigung haben. Diese Mißachtung des modernen Romans dürfte sich ein Geschichtschreiber des neunzehnten Jahrhunderts nicht mehr zu Schulden kommen lassen; denn gerade im Roman hat unsre Zeit die charakteristische Form und das selbständige

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/181>, abgerufen am 28.04.2024.