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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Bismarck durch die "Durchlaucht" in den Augen der Mit- und Nachwelt
größer geworden wärein Wie sehr irren sich die Lehrer zu ihrem Nachteil,
wenn sie sich einbilden - manche sind thatsächlich in dieser Einbildung be¬
fangen -- , das Publikum schätze die hvchbetitelteu Richter und Berwaltuugs-
becnnteu höher als die mangelhaft oder gar nicht betitelten Lehrer! Nicht blaß
Ehrfurcht, Saldern Furcht vor ihne" herrscht im Publikum! Den Stnatsauwalt
und den Gerichtspräsidenten fürchtet nur der Verbrecher, den Lehrer aber
fürchten auch der Staatsnnwalt und der Gerichtspräsident, weil ihrer Söhne
Schicksal zu einem große" Teile in des Lehrers Hand ruht. Bedenken denu
diese ungeheuern innern Vorzüge ihres Berufes gar nichts in den Augen der
Herren Gymnasiallehrer, daß sie nach so kümmerlichen Surrogaten der innern
Befriedigung haschen, wie Rang und Titel sind? Pestnlozzi war nur Nut
uullter Klasse, als er von Kaiser von Rußland öffentlich umarmt wurde, und
einen gewissenhaften Lehrer würde selbst die Verleihung der Wirklichem Geheim¬
ratswürde nicht entschädigen, wenn er sich sagen müßte, daß er seine Schüler
übel beraten und mehr als einem das Leben verpfuscht hätte. Oder steckt
vielleicht die Frau Lehrerin dahinter? Läßt sie der Glanz der Münchner
"Hausbesitzers-, Milchmanns- und Gemischtwarenhändlersgattiu" und der
"Oberaintskalkulaturassisteuteusgattin" nicht schlafen?

Wenn aber die Herren Lehrer sagen: Warum sollen denn gerade wir auf
Ehre und Geld verzichten und uus mit dein Hinweis auf die Ideale unsers
Berufes abspeisen lassen? so antworten wir: Weil ihr eben Lehrer seid! Wer
sich die Erziehung der Jngend zu idealer Denkungsart als Lebensberuf wählt,
der darf nicht selbst der idealen Denkungsart entbehren. Der Lehrerstand
steht in dieser Beziehung dem geistlichen Stande am nächsten. So wenig wir
dem. geistliche"? Stande eine angemessene Dotation mißgönnen, so wenig können
wir zugeben, daß es recht sei, wenn er ohne innern Beruf bloß der Versorgung
wegen gewählt wird. Übrigens aber ist auch die materielle Lage der Ghmnasial-
lehrer in Preußen zur Zeit nicht derart, daß man vom Abspeisen mit Idealen
reden könnte. Vor vierzig Jahren war sie so und in Süddeutschland noch
kläglicher; heute ist sie im allgemeinen anständig, und wo ausnahmsweise Not
herrscht, da sind die allerdings verbesserungsbedürftige Veförderuugsweise und
persönliches Mißgeschick darau schuld.

Wenn sich, um dieser Beschwerde noch einige Zeilen zu widmen, die
Lehrer mit ihrer Forderung einer abermaligen Gehaltserhöhung auf die Richter
berufe", so vergessen sie, daß zu der Zeit, wo die jetzigen Besoldungen fest¬
gesetzt wurden, die Richter, und noch mehr die Verwaltnngsbecnnten, weit
länger auf die feste Anstellung zu warten hatten als die Lehrer, weshalb es
angemessen erschien, das Anfaugsgehalt der Richter mit 800 Thalern um
200 Thaler höher als das der Lehrer anzusetzen. Wenn seitdem der Zufluß
zum akademischen Lehrerstande so gestiegen ist, daß mich hier Wartezeiten von


Bismarck durch die „Durchlaucht" in den Augen der Mit- und Nachwelt
größer geworden wärein Wie sehr irren sich die Lehrer zu ihrem Nachteil,
wenn sie sich einbilden - manche sind thatsächlich in dieser Einbildung be¬
fangen — , das Publikum schätze die hvchbetitelteu Richter und Berwaltuugs-
becnnteu höher als die mangelhaft oder gar nicht betitelten Lehrer! Nicht blaß
Ehrfurcht, Saldern Furcht vor ihne» herrscht im Publikum! Den Stnatsauwalt
und den Gerichtspräsidenten fürchtet nur der Verbrecher, den Lehrer aber
fürchten auch der Staatsnnwalt und der Gerichtspräsident, weil ihrer Söhne
Schicksal zu einem große» Teile in des Lehrers Hand ruht. Bedenken denu
diese ungeheuern innern Vorzüge ihres Berufes gar nichts in den Augen der
Herren Gymnasiallehrer, daß sie nach so kümmerlichen Surrogaten der innern
Befriedigung haschen, wie Rang und Titel sind? Pestnlozzi war nur Nut
uullter Klasse, als er von Kaiser von Rußland öffentlich umarmt wurde, und
einen gewissenhaften Lehrer würde selbst die Verleihung der Wirklichem Geheim¬
ratswürde nicht entschädigen, wenn er sich sagen müßte, daß er seine Schüler
übel beraten und mehr als einem das Leben verpfuscht hätte. Oder steckt
vielleicht die Frau Lehrerin dahinter? Läßt sie der Glanz der Münchner
„Hausbesitzers-, Milchmanns- und Gemischtwarenhändlersgattiu" und der
„Oberaintskalkulaturassisteuteusgattin" nicht schlafen?

Wenn aber die Herren Lehrer sagen: Warum sollen denn gerade wir auf
Ehre und Geld verzichten und uus mit dein Hinweis auf die Ideale unsers
Berufes abspeisen lassen? so antworten wir: Weil ihr eben Lehrer seid! Wer
sich die Erziehung der Jngend zu idealer Denkungsart als Lebensberuf wählt,
der darf nicht selbst der idealen Denkungsart entbehren. Der Lehrerstand
steht in dieser Beziehung dem geistlichen Stande am nächsten. So wenig wir
dem. geistliche«? Stande eine angemessene Dotation mißgönnen, so wenig können
wir zugeben, daß es recht sei, wenn er ohne innern Beruf bloß der Versorgung
wegen gewählt wird. Übrigens aber ist auch die materielle Lage der Ghmnasial-
lehrer in Preußen zur Zeit nicht derart, daß man vom Abspeisen mit Idealen
reden könnte. Vor vierzig Jahren war sie so und in Süddeutschland noch
kläglicher; heute ist sie im allgemeinen anständig, und wo ausnahmsweise Not
herrscht, da sind die allerdings verbesserungsbedürftige Veförderuugsweise und
persönliches Mißgeschick darau schuld.

Wenn sich, um dieser Beschwerde noch einige Zeilen zu widmen, die
Lehrer mit ihrer Forderung einer abermaligen Gehaltserhöhung auf die Richter
berufe», so vergessen sie, daß zu der Zeit, wo die jetzigen Besoldungen fest¬
gesetzt wurden, die Richter, und noch mehr die Verwaltnngsbecnnten, weit
länger auf die feste Anstellung zu warten hatten als die Lehrer, weshalb es
angemessen erschien, das Anfaugsgehalt der Richter mit 800 Thalern um
200 Thaler höher als das der Lehrer anzusetzen. Wenn seitdem der Zufluß
zum akademischen Lehrerstande so gestiegen ist, daß mich hier Wartezeiten von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/180>, abgerufen am 13.05.2024.