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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Lothar Vuchers englische Erfahrungen

cum man Poschingers neuestes Buch "Ein Achtundvierziger" liest,
oas Lothar Bnchers Leben behandelt, so fällt einem unwillkürlich
der Ausspruch eines zeitgenössischen Politikers ein: Es müßte
eigentlich jeder, der in öffentlichen, vaterländischen Dingen reden
wollte, fünf Jahre im Auslande gelebt haben. Bucher hat zwölf
Jahre Exil in London verlebt, was er da gelernt hat, ist ihm und Deutschland
zu gute gekommen. Wahrscheinlich wäre er, der seit 18L4 die "rechte Hand"
Bismarcks gewesen ist, dies nicht geworden ohne die Erfahrungen, die er im
Auslande gesammelt hatte. Der Nnfenthalt da ist ihm die Lehrzeit für die
große Politik geworden, die er mitzumachen berufen war. Nachdem er, als
Steuerverweigerer verurteilt, flüchtig geworden war, weil er "keinen Nutzen
davon absah, erst die Bekanntschaft einer Käsematte zu machen und sich dann
den voraussichtlichen Polizeiguälereieu durch Auswanderung zu entziehen,"
war es für ihn als Bewunderer des englischen Selfgovernment nnr natürlich,
daß er sich für seinen künftigen Aufenthalt London aufsuchte, wo so viele
politische Flüchtlinge aus Deutschland und Ungarn sich als in dem gepriesenen
Orte der Freiheit zusammenfanden. Noch in seiner letzten Abgeordnetenhausrede
vom 26. April 1349, der bedeutendsten und gewaltigsten, die der jugendliche
Abgeordnete gehalten hat (es handelte sich um den Antrag Waldecks, das
Ministerium aufzufordern, den seit dem 12. November 1848 über Berlin und
dessen zweimaligen Umkreis verhängten Belagerungszustand wieder aufzuheben),
hatte Bücher gegenüber dem Justizminister die Worte des englischen Juristen
Blackstone angeführt: "Die Engländer haben das Recht, ungesetzlichen Ma߬
regeln der Negierung Widerstand entgegenzusetzen, zunächst dadurch, daß sie die
Sache vor dem Gericht zur Entscheidung durch Urteil und Recht bringen;
wenn ihnen dieser Weg versagt wird, oder wenn er uicht zum Ziele führt,
dadurch, daß sie die Sache vor das Parlament und den König bringen; und
wenn das nichts hilft, durch die Waffen, die jeder freie Mann zu führen be¬
rechtigt ist." Bucher wollte damals diese Berechtigung des "freien Mannes"
als Motto auf das Bürgerwehrgesctz schreiben. Daß diese ganze Zeit jetzt,
soweit sich nicht die Geschichte mit ihr beschäftigen muß, "in der Lethe stillen
Strom" hinabgesunken ist, ist für alle, Beteiligte und Unbeteiligte, gilt. Was
sich zur Verteidigung der Mitglieder jener Versammlung sagen läßt und zur


Grenzboten IV 1890 28


Lothar Vuchers englische Erfahrungen

cum man Poschingers neuestes Buch „Ein Achtundvierziger" liest,
oas Lothar Bnchers Leben behandelt, so fällt einem unwillkürlich
der Ausspruch eines zeitgenössischen Politikers ein: Es müßte
eigentlich jeder, der in öffentlichen, vaterländischen Dingen reden
wollte, fünf Jahre im Auslande gelebt haben. Bucher hat zwölf
Jahre Exil in London verlebt, was er da gelernt hat, ist ihm und Deutschland
zu gute gekommen. Wahrscheinlich wäre er, der seit 18L4 die „rechte Hand"
Bismarcks gewesen ist, dies nicht geworden ohne die Erfahrungen, die er im
Auslande gesammelt hatte. Der Nnfenthalt da ist ihm die Lehrzeit für die
große Politik geworden, die er mitzumachen berufen war. Nachdem er, als
Steuerverweigerer verurteilt, flüchtig geworden war, weil er „keinen Nutzen
davon absah, erst die Bekanntschaft einer Käsematte zu machen und sich dann
den voraussichtlichen Polizeiguälereieu durch Auswanderung zu entziehen,"
war es für ihn als Bewunderer des englischen Selfgovernment nnr natürlich,
daß er sich für seinen künftigen Aufenthalt London aufsuchte, wo so viele
politische Flüchtlinge aus Deutschland und Ungarn sich als in dem gepriesenen
Orte der Freiheit zusammenfanden. Noch in seiner letzten Abgeordnetenhausrede
vom 26. April 1349, der bedeutendsten und gewaltigsten, die der jugendliche
Abgeordnete gehalten hat (es handelte sich um den Antrag Waldecks, das
Ministerium aufzufordern, den seit dem 12. November 1848 über Berlin und
dessen zweimaligen Umkreis verhängten Belagerungszustand wieder aufzuheben),
hatte Bücher gegenüber dem Justizminister die Worte des englischen Juristen
Blackstone angeführt: „Die Engländer haben das Recht, ungesetzlichen Ma߬
regeln der Negierung Widerstand entgegenzusetzen, zunächst dadurch, daß sie die
Sache vor dem Gericht zur Entscheidung durch Urteil und Recht bringen;
wenn ihnen dieser Weg versagt wird, oder wenn er uicht zum Ziele führt,
dadurch, daß sie die Sache vor das Parlament und den König bringen; und
wenn das nichts hilft, durch die Waffen, die jeder freie Mann zu führen be¬
rechtigt ist." Bucher wollte damals diese Berechtigung des „freien Mannes"
als Motto auf das Bürgerwehrgesctz schreiben. Daß diese ganze Zeit jetzt,
soweit sich nicht die Geschichte mit ihr beschäftigen muß, „in der Lethe stillen
Strom" hinabgesunken ist, ist für alle, Beteiligte und Unbeteiligte, gilt. Was
sich zur Verteidigung der Mitglieder jener Versammlung sagen läßt und zur


Grenzboten IV 1890 28
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/225>, abgerufen am 28.04.2024.