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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Verteidigung derer, die die Proklamation vom 18. November 1848 erließen,
die mit den Worten schließt: "So haben wir das letzte parlamentarische
Mittel erschöpft. An dem Volke ist es, unsre Beschlüsse auszuführen," das
hat Pvschinger gegeben, wenn er sagt: "Wenn sie ^die Mitglieder des preu¬
ßischen Abgeordnetenhauses von 1848^ am 9. November auseinander gegangen
wären, wenn sie nicht dem Volke Gelegenheit gegeben Hütten, zu zeigen, wie
weit es mit dem Berge von Zustimmnngsadressen Ernst war, so würde man
ihnen damals und wahrscheinlich auf alle Zeit die Schuld beigemessen haben
für den Inhalt der folgenden Jahre, um den auch andre Leute als ehemalige
Demokraten uicht gern zurückdenken."

Von viel größeren Interesse aber, als diese Zeiten für die Erinnerung
wieder aufleben zu lassen, ist es, zu sehen, welchen Prozeß ein Mann von der
feinen Beobachtungsgabe und dein starken Wahrheits- und Unabhängigkeitssinn
Vnchers durchmacht in seinein Urteil über die nach ihrer eignen Ansicht
"zivilisirteste Nation der Welt," wie sich die Engländer gern nennen, und wie
wir Deutschen so lange und stets zu unserm Schaden dem beizupflichten so
bereit gewesen sind. Wie gesagt, Bucher kam als Verehrer der englischen
Erbweisheit in London an. In diesem Sinne schrieb er auch anfangs seine
Korrespondenzen nach Deutschland, besonders an die Nationalzeitung. Aber
je mehr seiue Erfahrung, die aus eignem Sehen der Dinge hervorging, zunahm,
je mehr er Verbindungen bekam, die ihm in die Karten zu sehen erlaubten,
desto mehr machte er sich vou den ans der Heimat mitgebrachten Vorstellungen
frei, und desto kritischer wurde seine Stellung zu dem Inhalte der englischen
Zeitungen. Merkwürdig nur und ein Zeichen, wie wenig geschult unsre
heimischen Vertreter der öffentlichen Meinung waren, Wuchers Berichte erfuhren
keinen Widerspruch in Deutschland, so lauge er an seinen falschen Vorstellungen
von der englischen Freiheit und Tüchtigkeit festhielt; sobald er aber nicht mehr
von dem falschen Glänze geblendet wurde und sich nicht mehr durch die
modischen Stichwörter verwirren ließ, von da an begann auch der Widerspruch
gegen seiue Korrespondenzen in Deutschland und vor allem bei den frühern
Freunden, die selbst im Laufe der Jahre nichts gelernt hatten und nun mit
dein Vorwurf mangelnder Charakterfestigkeit kamen, "weil man, wie Bucher im
"Parlamentarismus, wie er ist," sagte, bei dem Maße von Kenntnissen, das
man sich bis zu einem bestimmten Kalendertag erworben hat, und bei den darauf
beruhenden Urteilen uicht fest verbleiben will." Die frühern Freunde ver¬
wandelten sich in Feinde. Bucher ließ sich aber dadurch nicht abhalten, mit
aller Schärfe die Mängel und Gebrechen, die ihm im englischen Volks- und
Staatsleben entgegentraten, zu enthüllen.

Und so sehen wir nun, wie Bucher, der als Freihändler nach England
gekommen war, anfängt, das auf Adam Smith gebaute Manchestertum als
eine große Verirrung, wo nicht als einen großen Humbug zu erkennen. Er


Verteidigung derer, die die Proklamation vom 18. November 1848 erließen,
die mit den Worten schließt: „So haben wir das letzte parlamentarische
Mittel erschöpft. An dem Volke ist es, unsre Beschlüsse auszuführen," das
hat Pvschinger gegeben, wenn er sagt: „Wenn sie ^die Mitglieder des preu¬
ßischen Abgeordnetenhauses von 1848^ am 9. November auseinander gegangen
wären, wenn sie nicht dem Volke Gelegenheit gegeben Hütten, zu zeigen, wie
weit es mit dem Berge von Zustimmnngsadressen Ernst war, so würde man
ihnen damals und wahrscheinlich auf alle Zeit die Schuld beigemessen haben
für den Inhalt der folgenden Jahre, um den auch andre Leute als ehemalige
Demokraten uicht gern zurückdenken."

Von viel größeren Interesse aber, als diese Zeiten für die Erinnerung
wieder aufleben zu lassen, ist es, zu sehen, welchen Prozeß ein Mann von der
feinen Beobachtungsgabe und dein starken Wahrheits- und Unabhängigkeitssinn
Vnchers durchmacht in seinein Urteil über die nach ihrer eignen Ansicht
„zivilisirteste Nation der Welt," wie sich die Engländer gern nennen, und wie
wir Deutschen so lange und stets zu unserm Schaden dem beizupflichten so
bereit gewesen sind. Wie gesagt, Bucher kam als Verehrer der englischen
Erbweisheit in London an. In diesem Sinne schrieb er auch anfangs seine
Korrespondenzen nach Deutschland, besonders an die Nationalzeitung. Aber
je mehr seiue Erfahrung, die aus eignem Sehen der Dinge hervorging, zunahm,
je mehr er Verbindungen bekam, die ihm in die Karten zu sehen erlaubten,
desto mehr machte er sich vou den ans der Heimat mitgebrachten Vorstellungen
frei, und desto kritischer wurde seine Stellung zu dem Inhalte der englischen
Zeitungen. Merkwürdig nur und ein Zeichen, wie wenig geschult unsre
heimischen Vertreter der öffentlichen Meinung waren, Wuchers Berichte erfuhren
keinen Widerspruch in Deutschland, so lauge er an seinen falschen Vorstellungen
von der englischen Freiheit und Tüchtigkeit festhielt; sobald er aber nicht mehr
von dem falschen Glänze geblendet wurde und sich nicht mehr durch die
modischen Stichwörter verwirren ließ, von da an begann auch der Widerspruch
gegen seiue Korrespondenzen in Deutschland und vor allem bei den frühern
Freunden, die selbst im Laufe der Jahre nichts gelernt hatten und nun mit
dein Vorwurf mangelnder Charakterfestigkeit kamen, „weil man, wie Bucher im
»Parlamentarismus, wie er ist,« sagte, bei dem Maße von Kenntnissen, das
man sich bis zu einem bestimmten Kalendertag erworben hat, und bei den darauf
beruhenden Urteilen uicht fest verbleiben will." Die frühern Freunde ver¬
wandelten sich in Feinde. Bucher ließ sich aber dadurch nicht abhalten, mit
aller Schärfe die Mängel und Gebrechen, die ihm im englischen Volks- und
Staatsleben entgegentraten, zu enthüllen.

Und so sehen wir nun, wie Bucher, der als Freihändler nach England
gekommen war, anfängt, das auf Adam Smith gebaute Manchestertum als
eine große Verirrung, wo nicht als einen großen Humbug zu erkennen. Er


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[0226] Verteidigung derer, die die Proklamation vom 18. November 1848 erließen, die mit den Worten schließt: „So haben wir das letzte parlamentarische Mittel erschöpft. An dem Volke ist es, unsre Beschlüsse auszuführen," das hat Pvschinger gegeben, wenn er sagt: „Wenn sie ^die Mitglieder des preu¬ ßischen Abgeordnetenhauses von 1848^ am 9. November auseinander gegangen wären, wenn sie nicht dem Volke Gelegenheit gegeben Hütten, zu zeigen, wie weit es mit dem Berge von Zustimmnngsadressen Ernst war, so würde man ihnen damals und wahrscheinlich auf alle Zeit die Schuld beigemessen haben für den Inhalt der folgenden Jahre, um den auch andre Leute als ehemalige Demokraten uicht gern zurückdenken." Von viel größeren Interesse aber, als diese Zeiten für die Erinnerung wieder aufleben zu lassen, ist es, zu sehen, welchen Prozeß ein Mann von der feinen Beobachtungsgabe und dein starken Wahrheits- und Unabhängigkeitssinn Vnchers durchmacht in seinein Urteil über die nach ihrer eignen Ansicht „zivilisirteste Nation der Welt," wie sich die Engländer gern nennen, und wie wir Deutschen so lange und stets zu unserm Schaden dem beizupflichten so bereit gewesen sind. Wie gesagt, Bucher kam als Verehrer der englischen Erbweisheit in London an. In diesem Sinne schrieb er auch anfangs seine Korrespondenzen nach Deutschland, besonders an die Nationalzeitung. Aber je mehr seiue Erfahrung, die aus eignem Sehen der Dinge hervorging, zunahm, je mehr er Verbindungen bekam, die ihm in die Karten zu sehen erlaubten, desto mehr machte er sich vou den ans der Heimat mitgebrachten Vorstellungen frei, und desto kritischer wurde seine Stellung zu dem Inhalte der englischen Zeitungen. Merkwürdig nur und ein Zeichen, wie wenig geschult unsre heimischen Vertreter der öffentlichen Meinung waren, Wuchers Berichte erfuhren keinen Widerspruch in Deutschland, so lauge er an seinen falschen Vorstellungen von der englischen Freiheit und Tüchtigkeit festhielt; sobald er aber nicht mehr von dem falschen Glänze geblendet wurde und sich nicht mehr durch die modischen Stichwörter verwirren ließ, von da an begann auch der Widerspruch gegen seiue Korrespondenzen in Deutschland und vor allem bei den frühern Freunden, die selbst im Laufe der Jahre nichts gelernt hatten und nun mit dein Vorwurf mangelnder Charakterfestigkeit kamen, „weil man, wie Bucher im »Parlamentarismus, wie er ist,« sagte, bei dem Maße von Kenntnissen, das man sich bis zu einem bestimmten Kalendertag erworben hat, und bei den darauf beruhenden Urteilen uicht fest verbleiben will." Die frühern Freunde ver¬ wandelten sich in Feinde. Bucher ließ sich aber dadurch nicht abhalten, mit aller Schärfe die Mängel und Gebrechen, die ihm im englischen Volks- und Staatsleben entgegentraten, zu enthüllen. Und so sehen wir nun, wie Bucher, der als Freihändler nach England gekommen war, anfängt, das auf Adam Smith gebaute Manchestertum als eine große Verirrung, wo nicht als einen großen Humbug zu erkennen. Er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/226>, abgerufen am 12.05.2024.