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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Der Parteitag in Halle

ach Beendigung des socialdemokratischen Parteitages in Halle
hat sich die Presse in ihren Rückblicken darauf im allgemeinen
außerordentlich trüben Betrachtungen hingegeben. Ausgehend
namentlich von den Liebknechtschen Ausführungen über das
Parteiprogramm, die sich allerdings, soweit sie die Znkunftsideen
der Partei erörtern, ebenso sehr durch ihren umstürzlerischen Charakter, wie
durch ihre Plattheit und Gedankenarmut auszeichnen, hat man gefragt, was
von einer Partei zu hoffen sei, deren Programm sich aus einer Anzahl un¬
fruchtbarer, revolutionärer Phrasen zusammensetze, und deren Führer die ganze
Unreife der Halbbildung zeigten, und wie man erwarten könne, daß aus einem
Nichts jemals etwas Verständiges werde.

Wir glauben, daß diese Erörterung, wie wir sie in verschiednen der an¬
gesehensten Blätter gelesen haben, die Summe der aus dem Parteitage zu
ziehenden Lehren nicht richtig ziehe. Dem Tiefblickenden kann es nicht entgehen,
daß auch der Hallische Parteitag eine Bestätigung der Ansicht enthält, die die
ersten Anzeichen einer Wendung zum Bessern zu erkennen glaubt.

Offenbar hat nach dem Willen der Parteileitung und der mit ihr über-
einstimmenden, überwiegenden Mehrheit der Abgeordneten der Schwerpunkt
gar nicht in den Beratungen über das materielle Programm gelegen. Fast
widerwillig ist man an dessen Besprechung gegangen. Gleich zu Anfang seiner
Rede verwahrt sich der Referent, Herr Liebknecht, ausdrücklich dagegen, daß
er eine "Programmrede" halten wolle, er wolle nur "über das Programm
sprechen," und schließlich kommt er, nachdem er verschiedne Punkte bezeichnet
hat, in denen, nach seiner Meinung, das Programm veraltet sei, doch zu dem
Schlüsse, daß zunächst am besten alles beim Alten bleibe. "Es ist nicht zu


Grenzboien IV 1890 W


Der Parteitag in Halle

ach Beendigung des socialdemokratischen Parteitages in Halle
hat sich die Presse in ihren Rückblicken darauf im allgemeinen
außerordentlich trüben Betrachtungen hingegeben. Ausgehend
namentlich von den Liebknechtschen Ausführungen über das
Parteiprogramm, die sich allerdings, soweit sie die Znkunftsideen
der Partei erörtern, ebenso sehr durch ihren umstürzlerischen Charakter, wie
durch ihre Plattheit und Gedankenarmut auszeichnen, hat man gefragt, was
von einer Partei zu hoffen sei, deren Programm sich aus einer Anzahl un¬
fruchtbarer, revolutionärer Phrasen zusammensetze, und deren Führer die ganze
Unreife der Halbbildung zeigten, und wie man erwarten könne, daß aus einem
Nichts jemals etwas Verständiges werde.

Wir glauben, daß diese Erörterung, wie wir sie in verschiednen der an¬
gesehensten Blätter gelesen haben, die Summe der aus dem Parteitage zu
ziehenden Lehren nicht richtig ziehe. Dem Tiefblickenden kann es nicht entgehen,
daß auch der Hallische Parteitag eine Bestätigung der Ansicht enthält, die die
ersten Anzeichen einer Wendung zum Bessern zu erkennen glaubt.

Offenbar hat nach dem Willen der Parteileitung und der mit ihr über-
einstimmenden, überwiegenden Mehrheit der Abgeordneten der Schwerpunkt
gar nicht in den Beratungen über das materielle Programm gelegen. Fast
widerwillig ist man an dessen Besprechung gegangen. Gleich zu Anfang seiner
Rede verwahrt sich der Referent, Herr Liebknecht, ausdrücklich dagegen, daß
er eine „Programmrede" halten wolle, er wolle nur „über das Programm
sprechen," und schließlich kommt er, nachdem er verschiedne Punkte bezeichnet
hat, in denen, nach seiner Meinung, das Programm veraltet sei, doch zu dem
Schlüsse, daß zunächst am besten alles beim Alten bleibe. „Es ist nicht zu


Grenzboien IV 1890 W
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[0257] [Abbildung] Der Parteitag in Halle ach Beendigung des socialdemokratischen Parteitages in Halle hat sich die Presse in ihren Rückblicken darauf im allgemeinen außerordentlich trüben Betrachtungen hingegeben. Ausgehend namentlich von den Liebknechtschen Ausführungen über das Parteiprogramm, die sich allerdings, soweit sie die Znkunftsideen der Partei erörtern, ebenso sehr durch ihren umstürzlerischen Charakter, wie durch ihre Plattheit und Gedankenarmut auszeichnen, hat man gefragt, was von einer Partei zu hoffen sei, deren Programm sich aus einer Anzahl un¬ fruchtbarer, revolutionärer Phrasen zusammensetze, und deren Führer die ganze Unreife der Halbbildung zeigten, und wie man erwarten könne, daß aus einem Nichts jemals etwas Verständiges werde. Wir glauben, daß diese Erörterung, wie wir sie in verschiednen der an¬ gesehensten Blätter gelesen haben, die Summe der aus dem Parteitage zu ziehenden Lehren nicht richtig ziehe. Dem Tiefblickenden kann es nicht entgehen, daß auch der Hallische Parteitag eine Bestätigung der Ansicht enthält, die die ersten Anzeichen einer Wendung zum Bessern zu erkennen glaubt. Offenbar hat nach dem Willen der Parteileitung und der mit ihr über- einstimmenden, überwiegenden Mehrheit der Abgeordneten der Schwerpunkt gar nicht in den Beratungen über das materielle Programm gelegen. Fast widerwillig ist man an dessen Besprechung gegangen. Gleich zu Anfang seiner Rede verwahrt sich der Referent, Herr Liebknecht, ausdrücklich dagegen, daß er eine „Programmrede" halten wolle, er wolle nur „über das Programm sprechen," und schließlich kommt er, nachdem er verschiedne Punkte bezeichnet hat, in denen, nach seiner Meinung, das Programm veraltet sei, doch zu dem Schlüsse, daß zunächst am besten alles beim Alten bleibe. „Es ist nicht zu Grenzboien IV 1890 W

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/257>, abgerufen am 27.04.2024.