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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Skizzen aus unserm deutigen Volksleben
21. Das Backhaus

le Braunen und die sauern und die Schliephaken standen am Dvrf-
brunnen. Die Eimer waren längst gefüllt, die laufenden Angelegen¬
heiten längst durchgesprochen, aber fie standen immer noch. Es
musste etwas los sein. Da machte auch der Schuster sein kleines
Guckfenster auf und schaute angelegentlich die Dorfstraße auf und ab.
Im Hintergründe kam auch Amtmanns Kinderfrau mit dem kleinen
Anton angezogen und guckte. Es war ganz gewiß etwas los. Jedesmal, wenn
irgend etwas zu sehen oder zu reden war, stand auch Amtmanns Kinderfrau mit
demi kleinen Anton im Hintergründe, das war so sicher wie der Maikäfer im Juni.
Aber noch wußte man nichts Genusses, bis zum Dvrfbrunneu war die Kunde des
Ereignisses noch nicht gedrungen. Jetzt erschien auch der dicke Wirt in der Haus¬
thür, kratzte sich unter der Mütze den Kopf und rief über die Straße hinüber dem
Schuster zu: Na, Heinrich, auch ein bischen frische Morgenluft genießen? Heinrich
antwortete etwas Unverständliches und schaute gespannt nach der Schulgasse hinüber,
aus der Sauer -- nicht der sauern ihr Mann, sondern ihres Mannes Bruder¬
sohnes Schwiegervater, der auch Sauer hieß und aus Kafstedt stammte -- mit
seinem Gespann angeklappert kam. Die Frauen guckten, der Wirt guckte, der
Schuster guckte, Amtmanns Kinderfrau guckte. Was war denn los?

Sauer fing schon aus der Ferne an zu erzähle" vom Bäcker und von dieser
Nacht und von einem Eimer. Endlich kam Klarheit in den Bericht. In der Nacht
hatten sie. dem Bäcker einen Schweineeimer ans Thor gehängt, ein halbes Brot
hineingesteckt und dran geschrieben: Friß dein Sauzeug selber! Das war der That¬
bestand, der mit verschiedner Betonung und uuter verschiedner Beleuchtung drei- bis
viermal vorgetragen wurde. Amtmanns Kinderfrau hatte sich heraugeschliiugelt und
päppelte mit dem kleinen Anton: Sauzeug sagts Jungelchen, 's Juugelcheu sagt
Sauzeug; Hort nnr, wie das Juugelcheu Sauzeug sagt! Die Frauen am
Brunnen schlugen die Hände überm Kopfe zusammen, der Wirt kratzte sich noch
eifriger als vorher auf dem Kopfe, und der Schuster hing seinen .Kopf zum Fenster
heraus, so weit es ging.

Man mißbilligte den Streich durchaus, nicht des Bäckers wegen, sondern des
"lieben Gutes" wegen. Das liebe Gut in den Schweineeimer, das ist doch eine Sünde!
So waS thun auch bloß die Amtskuechte, die den Hals uicht voll genug kriege"
können. -- Nein, die Amtskuechte sind es nicht gewesen, denn aus dem Amte backen
sie selber, aber was die fremden Arbeiter sind, die im Steinbruche arbeite", die
bringen so was schon fertig. Und ein ganzes halbes Brot! Und "och dazu in den
Schweineeimer! Und Sauzeug haben sie's genannt! So ums straft sich aber.




Skizzen aus unserm deutigen Volksleben
21. Das Backhaus

le Braunen und die sauern und die Schliephaken standen am Dvrf-
brunnen. Die Eimer waren längst gefüllt, die laufenden Angelegen¬
heiten längst durchgesprochen, aber fie standen immer noch. Es
musste etwas los sein. Da machte auch der Schuster sein kleines
Guckfenster auf und schaute angelegentlich die Dorfstraße auf und ab.
Im Hintergründe kam auch Amtmanns Kinderfrau mit dem kleinen
Anton angezogen und guckte. Es war ganz gewiß etwas los. Jedesmal, wenn
irgend etwas zu sehen oder zu reden war, stand auch Amtmanns Kinderfrau mit
demi kleinen Anton im Hintergründe, das war so sicher wie der Maikäfer im Juni.
Aber noch wußte man nichts Genusses, bis zum Dvrfbrunneu war die Kunde des
Ereignisses noch nicht gedrungen. Jetzt erschien auch der dicke Wirt in der Haus¬
thür, kratzte sich unter der Mütze den Kopf und rief über die Straße hinüber dem
Schuster zu: Na, Heinrich, auch ein bischen frische Morgenluft genießen? Heinrich
antwortete etwas Unverständliches und schaute gespannt nach der Schulgasse hinüber,
aus der Sauer — nicht der sauern ihr Mann, sondern ihres Mannes Bruder¬
sohnes Schwiegervater, der auch Sauer hieß und aus Kafstedt stammte — mit
seinem Gespann angeklappert kam. Die Frauen guckten, der Wirt guckte, der
Schuster guckte, Amtmanns Kinderfrau guckte. Was war denn los?

Sauer fing schon aus der Ferne an zu erzähle« vom Bäcker und von dieser
Nacht und von einem Eimer. Endlich kam Klarheit in den Bericht. In der Nacht
hatten sie. dem Bäcker einen Schweineeimer ans Thor gehängt, ein halbes Brot
hineingesteckt und dran geschrieben: Friß dein Sauzeug selber! Das war der That¬
bestand, der mit verschiedner Betonung und uuter verschiedner Beleuchtung drei- bis
viermal vorgetragen wurde. Amtmanns Kinderfrau hatte sich heraugeschliiugelt und
päppelte mit dem kleinen Anton: Sauzeug sagts Jungelchen, 's Juugelcheu sagt
Sauzeug; Hort nnr, wie das Juugelcheu Sauzeug sagt! Die Frauen am
Brunnen schlugen die Hände überm Kopfe zusammen, der Wirt kratzte sich noch
eifriger als vorher auf dem Kopfe, und der Schuster hing seinen .Kopf zum Fenster
heraus, so weit es ging.

Man mißbilligte den Streich durchaus, nicht des Bäckers wegen, sondern des
„lieben Gutes" wegen. Das liebe Gut in den Schweineeimer, das ist doch eine Sünde!
So waS thun auch bloß die Amtskuechte, die den Hals uicht voll genug kriege»
können. — Nein, die Amtskuechte sind es nicht gewesen, denn aus dem Amte backen
sie selber, aber was die fremden Arbeiter sind, die im Steinbruche arbeite«, die
bringen so was schon fertig. Und ein ganzes halbes Brot! Und «och dazu in den
Schweineeimer! Und Sauzeug haben sie's genannt! So ums straft sich aber.


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[0288] [Abbildung] Skizzen aus unserm deutigen Volksleben 21. Das Backhaus le Braunen und die sauern und die Schliephaken standen am Dvrf- brunnen. Die Eimer waren längst gefüllt, die laufenden Angelegen¬ heiten längst durchgesprochen, aber fie standen immer noch. Es musste etwas los sein. Da machte auch der Schuster sein kleines Guckfenster auf und schaute angelegentlich die Dorfstraße auf und ab. Im Hintergründe kam auch Amtmanns Kinderfrau mit dem kleinen Anton angezogen und guckte. Es war ganz gewiß etwas los. Jedesmal, wenn irgend etwas zu sehen oder zu reden war, stand auch Amtmanns Kinderfrau mit demi kleinen Anton im Hintergründe, das war so sicher wie der Maikäfer im Juni. Aber noch wußte man nichts Genusses, bis zum Dvrfbrunneu war die Kunde des Ereignisses noch nicht gedrungen. Jetzt erschien auch der dicke Wirt in der Haus¬ thür, kratzte sich unter der Mütze den Kopf und rief über die Straße hinüber dem Schuster zu: Na, Heinrich, auch ein bischen frische Morgenluft genießen? Heinrich antwortete etwas Unverständliches und schaute gespannt nach der Schulgasse hinüber, aus der Sauer — nicht der sauern ihr Mann, sondern ihres Mannes Bruder¬ sohnes Schwiegervater, der auch Sauer hieß und aus Kafstedt stammte — mit seinem Gespann angeklappert kam. Die Frauen guckten, der Wirt guckte, der Schuster guckte, Amtmanns Kinderfrau guckte. Was war denn los? Sauer fing schon aus der Ferne an zu erzähle« vom Bäcker und von dieser Nacht und von einem Eimer. Endlich kam Klarheit in den Bericht. In der Nacht hatten sie. dem Bäcker einen Schweineeimer ans Thor gehängt, ein halbes Brot hineingesteckt und dran geschrieben: Friß dein Sauzeug selber! Das war der That¬ bestand, der mit verschiedner Betonung und uuter verschiedner Beleuchtung drei- bis viermal vorgetragen wurde. Amtmanns Kinderfrau hatte sich heraugeschliiugelt und päppelte mit dem kleinen Anton: Sauzeug sagts Jungelchen, 's Juugelcheu sagt Sauzeug; Hort nnr, wie das Juugelcheu Sauzeug sagt! Die Frauen am Brunnen schlugen die Hände überm Kopfe zusammen, der Wirt kratzte sich noch eifriger als vorher auf dem Kopfe, und der Schuster hing seinen .Kopf zum Fenster heraus, so weit es ging. Man mißbilligte den Streich durchaus, nicht des Bäckers wegen, sondern des „lieben Gutes" wegen. Das liebe Gut in den Schweineeimer, das ist doch eine Sünde! So waS thun auch bloß die Amtskuechte, die den Hals uicht voll genug kriege» können. — Nein, die Amtskuechte sind es nicht gewesen, denn aus dem Amte backen sie selber, aber was die fremden Arbeiter sind, die im Steinbruche arbeite«, die bringen so was schon fertig. Und ein ganzes halbes Brot! Und «och dazu in den Schweineeimer! Und Sauzeug haben sie's genannt! So ums straft sich aber.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/288>, abgerufen am 28.04.2024.