Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Der Kampf mit geistigen Waffen gegen die
^ozialdemokratie

rbaulich kann mein das Schauspiel nicht nennen, das nach dem
bedeutsamen 1. Oktober 1890 das Ringen sür und wider die
Sozialdemokratie im deutschen Reiche bietet. Wir sind in eine
Periode der Gährung, der Auflösung und Neubildung eingetreten;
es wird lange währen, bis sich die Lage einigermaßen klärt, eine
neue Ordnung sich befestigt. Die kaiserliche Regierung schreitet auf dem Wege
sozialer Reformen planmäßig weiter, und die Sozialdemokratie erkennt unter
Lobsprüchen auf das jetzige und mit schonungsloser Hieben auf das ehemalige
System an, daß ein "neuer Kurs" eingeschlagen sei, der ihr gefalle und sich
ihres Beifalls erfreue. Obwohl sich schwer entscheiden läßt, ob die Partei in
der sozialen Gesetzgebung nur eine Förderung ihrer eignen weitergehenden Ziele
erblickt, oder bereits nicht ohne Furcht ist, daß die gewährten Zugestündnisse
an die Bestrebungen der Arbeiterklasse ihre Wühlerei auf die Dauer dämpfen
und lahmlegen möchten, jedenfalls findet diese Abart des eingeschränkten
Sozialismus ihre vorläufige Billigung, weil er als der Anfang "des Hinein¬
wachsens der jetzigen Gesellschaftsordnung in den echten Sozialismus" auge¬
sehen wird. Aber die Regierung hat wiederholt erklärt, daß die Aufgabe, die
soziale Frage ihrer Lösung zu nähern und den sozialen Frieden wieder herzu¬
stellen, nicht ihr allein, nicht bloß dem Staate überlassen bleiben dürfe, sondern
daß sie sich an die thätige Mitwirkung aller ordnungsliebenden Bestandteile
des Volkes wende. Der Kaiser wünscht, daß "unsre Bürger endlich aus dem
Schlummer erwachen mögen, in dem sie sich so lange gewiegt haben, und nicht
bloß dem Staat und seinen Organen die Bekämpfung der umwälzenden Ele¬
mente überlassen, sondern selbst mit Hand anlegen" (September 1890). Durch


Grenzboten IV 18W "S


Der Kampf mit geistigen Waffen gegen die
^ozialdemokratie

rbaulich kann mein das Schauspiel nicht nennen, das nach dem
bedeutsamen 1. Oktober 1890 das Ringen sür und wider die
Sozialdemokratie im deutschen Reiche bietet. Wir sind in eine
Periode der Gährung, der Auflösung und Neubildung eingetreten;
es wird lange währen, bis sich die Lage einigermaßen klärt, eine
neue Ordnung sich befestigt. Die kaiserliche Regierung schreitet auf dem Wege
sozialer Reformen planmäßig weiter, und die Sozialdemokratie erkennt unter
Lobsprüchen auf das jetzige und mit schonungsloser Hieben auf das ehemalige
System an, daß ein „neuer Kurs" eingeschlagen sei, der ihr gefalle und sich
ihres Beifalls erfreue. Obwohl sich schwer entscheiden läßt, ob die Partei in
der sozialen Gesetzgebung nur eine Förderung ihrer eignen weitergehenden Ziele
erblickt, oder bereits nicht ohne Furcht ist, daß die gewährten Zugestündnisse
an die Bestrebungen der Arbeiterklasse ihre Wühlerei auf die Dauer dämpfen
und lahmlegen möchten, jedenfalls findet diese Abart des eingeschränkten
Sozialismus ihre vorläufige Billigung, weil er als der Anfang „des Hinein¬
wachsens der jetzigen Gesellschaftsordnung in den echten Sozialismus" auge¬
sehen wird. Aber die Regierung hat wiederholt erklärt, daß die Aufgabe, die
soziale Frage ihrer Lösung zu nähern und den sozialen Frieden wieder herzu¬
stellen, nicht ihr allein, nicht bloß dem Staate überlassen bleiben dürfe, sondern
daß sie sich an die thätige Mitwirkung aller ordnungsliebenden Bestandteile
des Volkes wende. Der Kaiser wünscht, daß „unsre Bürger endlich aus dem
Schlummer erwachen mögen, in dem sie sich so lange gewiegt haben, und nicht
bloß dem Staat und seinen Organen die Bekämpfung der umwälzenden Ele¬
mente überlassen, sondern selbst mit Hand anlegen" (September 1890). Durch


Grenzboten IV 18W «S
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0497" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/209076"/>
            <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341851_208578/figures/grenzboten_341851_208578_209076_000.jpg"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Der Kampf mit geistigen Waffen gegen die<lb/>
^ozialdemokratie</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1454" next="#ID_1455"> rbaulich kann mein das Schauspiel nicht nennen, das nach dem<lb/>
bedeutsamen 1. Oktober 1890 das Ringen sür und wider die<lb/>
Sozialdemokratie im deutschen Reiche bietet. Wir sind in eine<lb/>
Periode der Gährung, der Auflösung und Neubildung eingetreten;<lb/>
es wird lange währen, bis sich die Lage einigermaßen klärt, eine<lb/>
neue Ordnung sich befestigt. Die kaiserliche Regierung schreitet auf dem Wege<lb/>
sozialer Reformen planmäßig weiter, und die Sozialdemokratie erkennt unter<lb/>
Lobsprüchen auf das jetzige und mit schonungsloser Hieben auf das ehemalige<lb/>
System an, daß ein &#x201E;neuer Kurs" eingeschlagen sei, der ihr gefalle und sich<lb/>
ihres Beifalls erfreue. Obwohl sich schwer entscheiden läßt, ob die Partei in<lb/>
der sozialen Gesetzgebung nur eine Förderung ihrer eignen weitergehenden Ziele<lb/>
erblickt, oder bereits nicht ohne Furcht ist, daß die gewährten Zugestündnisse<lb/>
an die Bestrebungen der Arbeiterklasse ihre Wühlerei auf die Dauer dämpfen<lb/>
und lahmlegen möchten, jedenfalls findet diese Abart des eingeschränkten<lb/>
Sozialismus ihre vorläufige Billigung, weil er als der Anfang &#x201E;des Hinein¬<lb/>
wachsens der jetzigen Gesellschaftsordnung in den echten Sozialismus" auge¬<lb/>
sehen wird. Aber die Regierung hat wiederholt erklärt, daß die Aufgabe, die<lb/>
soziale Frage ihrer Lösung zu nähern und den sozialen Frieden wieder herzu¬<lb/>
stellen, nicht ihr allein, nicht bloß dem Staate überlassen bleiben dürfe, sondern<lb/>
daß sie sich an die thätige Mitwirkung aller ordnungsliebenden Bestandteile<lb/>
des Volkes wende. Der Kaiser wünscht, daß &#x201E;unsre Bürger endlich aus dem<lb/>
Schlummer erwachen mögen, in dem sie sich so lange gewiegt haben, und nicht<lb/>
bloß dem Staat und seinen Organen die Bekämpfung der umwälzenden Ele¬<lb/>
mente überlassen, sondern selbst mit Hand anlegen" (September 1890). Durch</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 18W «S</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0497] [Abbildung] Der Kampf mit geistigen Waffen gegen die ^ozialdemokratie rbaulich kann mein das Schauspiel nicht nennen, das nach dem bedeutsamen 1. Oktober 1890 das Ringen sür und wider die Sozialdemokratie im deutschen Reiche bietet. Wir sind in eine Periode der Gährung, der Auflösung und Neubildung eingetreten; es wird lange währen, bis sich die Lage einigermaßen klärt, eine neue Ordnung sich befestigt. Die kaiserliche Regierung schreitet auf dem Wege sozialer Reformen planmäßig weiter, und die Sozialdemokratie erkennt unter Lobsprüchen auf das jetzige und mit schonungsloser Hieben auf das ehemalige System an, daß ein „neuer Kurs" eingeschlagen sei, der ihr gefalle und sich ihres Beifalls erfreue. Obwohl sich schwer entscheiden läßt, ob die Partei in der sozialen Gesetzgebung nur eine Förderung ihrer eignen weitergehenden Ziele erblickt, oder bereits nicht ohne Furcht ist, daß die gewährten Zugestündnisse an die Bestrebungen der Arbeiterklasse ihre Wühlerei auf die Dauer dämpfen und lahmlegen möchten, jedenfalls findet diese Abart des eingeschränkten Sozialismus ihre vorläufige Billigung, weil er als der Anfang „des Hinein¬ wachsens der jetzigen Gesellschaftsordnung in den echten Sozialismus" auge¬ sehen wird. Aber die Regierung hat wiederholt erklärt, daß die Aufgabe, die soziale Frage ihrer Lösung zu nähern und den sozialen Frieden wieder herzu¬ stellen, nicht ihr allein, nicht bloß dem Staate überlassen bleiben dürfe, sondern daß sie sich an die thätige Mitwirkung aller ordnungsliebenden Bestandteile des Volkes wende. Der Kaiser wünscht, daß „unsre Bürger endlich aus dem Schlummer erwachen mögen, in dem sie sich so lange gewiegt haben, und nicht bloß dem Staat und seinen Organen die Bekämpfung der umwälzenden Ele¬ mente überlassen, sondern selbst mit Hand anlegen" (September 1890). Durch Grenzboten IV 18W «S

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/497
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/497>, abgerufen am 27.04.2024.