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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Wundes System der Philosophie

in großer und sicherlich nicht der am wenigsten maßgebende Teil
des gebildeten und gelehrten Deutschlands hat es ahne Zweifel
mit Dank begrüßt, als vorm Jahre ein umfassendes, abge¬
schlossenes und dabei an Umfang das Maß mittlerer Ansuahme-
fcihigkeit nicht überschreitendes System der Philosophie von
keinem geringern als Wilhelm Wundt angekündigt wurde/'') In einer Zeit
recht eigentlich so zu nennender philosophischer Anarchie, wo die abenteuerlichsten,
buntesten, !u ihrer Tendenz entgegengesetztesten Weltanschauungen und Glaubens¬
sätze die Menschheit und namentlich das spintisirende Deutschland erfüllen,
aufregend und veruneinigend, der Spiegel und zugleich eine wesentliche Ursache
des Politischen und sozialen Zustandes -- in solcher Zeit ist es bedeutsam und
darum in hohem Grade dankenswert, wenn eine starke wissenschaftliche Autorität
aus der in Gelehrtenkreisen üblich gewordenen Gleichgültigkeit und Reserve gegen¬
über der eigentlich so zu nennenden Philosophie heraustritt und den Versuch
zur Klärung und Verständigung macht,

Wundes Bedeutung als Forscher und Schriftsteller liegt gerade ans den
Gebieten, von denen aus diese die Gleichgültigkeit oft übersteigende Vorein¬
genommenheit gegen die spekulative Wissenschaft und ihre" Einfluß auf Denken
und Leben um meisten Vorschub erhalten hat, auf denen der exakten Beobachtung
der Natur, d. h. meist des sinnlich Greifbaren, und des Experiments, der
"Frage an diese Natur" als oberste, einzige Instanz. Von der Medizin und
der Naturwissenschaft ausgehend, hat sich Wunde der Philosophie zugewandt,
die Gleichheit der Richtung führte ihn zu dem nicht mehr naturphilosophisch
symbolisirenden, sondern ans Erfahrnngsgrundlage soweit als möglich haftenden,
aber die naturwissenschaftlichen Ergebnisse philosophisch durchdringenden Fechner,
dem systematischen Einführer des Experiments ans rein philosophischem Gebiete.
Wunde ward Fechners erfolg- und einflußreicher Fortsetzer und Ergäuzer, vor
allein der akademische Vertreter und Vefestiger seines wissenschaftlichen Grund¬
gedankens, der Anwendung der experimentalen Forschung ans die Psychologie,
der von ihm selbst so bezeichneten "Psychvphysik." An der hauptsächlichen
Stätte seines Wirkens, als Professor an der Leipziger Universität, ließ er der



>sysliN>i der Philosophie von Wilhelm Wundt, Leipzig, (k>uielmniu>, I,88!>,
Grenzboten IV 1890 7ö


Wundes System der Philosophie

in großer und sicherlich nicht der am wenigsten maßgebende Teil
des gebildeten und gelehrten Deutschlands hat es ahne Zweifel
mit Dank begrüßt, als vorm Jahre ein umfassendes, abge¬
schlossenes und dabei an Umfang das Maß mittlerer Ansuahme-
fcihigkeit nicht überschreitendes System der Philosophie von
keinem geringern als Wilhelm Wundt angekündigt wurde/'') In einer Zeit
recht eigentlich so zu nennender philosophischer Anarchie, wo die abenteuerlichsten,
buntesten, !u ihrer Tendenz entgegengesetztesten Weltanschauungen und Glaubens¬
sätze die Menschheit und namentlich das spintisirende Deutschland erfüllen,
aufregend und veruneinigend, der Spiegel und zugleich eine wesentliche Ursache
des Politischen und sozialen Zustandes — in solcher Zeit ist es bedeutsam und
darum in hohem Grade dankenswert, wenn eine starke wissenschaftliche Autorität
aus der in Gelehrtenkreisen üblich gewordenen Gleichgültigkeit und Reserve gegen¬
über der eigentlich so zu nennenden Philosophie heraustritt und den Versuch
zur Klärung und Verständigung macht,

Wundes Bedeutung als Forscher und Schriftsteller liegt gerade ans den
Gebieten, von denen aus diese die Gleichgültigkeit oft übersteigende Vorein¬
genommenheit gegen die spekulative Wissenschaft und ihre» Einfluß auf Denken
und Leben um meisten Vorschub erhalten hat, auf denen der exakten Beobachtung
der Natur, d. h. meist des sinnlich Greifbaren, und des Experiments, der
„Frage an diese Natur" als oberste, einzige Instanz. Von der Medizin und
der Naturwissenschaft ausgehend, hat sich Wunde der Philosophie zugewandt,
die Gleichheit der Richtung führte ihn zu dem nicht mehr naturphilosophisch
symbolisirenden, sondern ans Erfahrnngsgrundlage soweit als möglich haftenden,
aber die naturwissenschaftlichen Ergebnisse philosophisch durchdringenden Fechner,
dem systematischen Einführer des Experiments ans rein philosophischem Gebiete.
Wunde ward Fechners erfolg- und einflußreicher Fortsetzer und Ergäuzer, vor
allein der akademische Vertreter und Vefestiger seines wissenschaftlichen Grund¬
gedankens, der Anwendung der experimentalen Forschung ans die Psychologie,
der von ihm selbst so bezeichneten „Psychvphysik." An der hauptsächlichen
Stätte seines Wirkens, als Professor an der Leipziger Universität, ließ er der



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[0601] [Abbildung] Wundes System der Philosophie in großer und sicherlich nicht der am wenigsten maßgebende Teil des gebildeten und gelehrten Deutschlands hat es ahne Zweifel mit Dank begrüßt, als vorm Jahre ein umfassendes, abge¬ schlossenes und dabei an Umfang das Maß mittlerer Ansuahme- fcihigkeit nicht überschreitendes System der Philosophie von keinem geringern als Wilhelm Wundt angekündigt wurde/'') In einer Zeit recht eigentlich so zu nennender philosophischer Anarchie, wo die abenteuerlichsten, buntesten, !u ihrer Tendenz entgegengesetztesten Weltanschauungen und Glaubens¬ sätze die Menschheit und namentlich das spintisirende Deutschland erfüllen, aufregend und veruneinigend, der Spiegel und zugleich eine wesentliche Ursache des Politischen und sozialen Zustandes — in solcher Zeit ist es bedeutsam und darum in hohem Grade dankenswert, wenn eine starke wissenschaftliche Autorität aus der in Gelehrtenkreisen üblich gewordenen Gleichgültigkeit und Reserve gegen¬ über der eigentlich so zu nennenden Philosophie heraustritt und den Versuch zur Klärung und Verständigung macht, Wundes Bedeutung als Forscher und Schriftsteller liegt gerade ans den Gebieten, von denen aus diese die Gleichgültigkeit oft übersteigende Vorein¬ genommenheit gegen die spekulative Wissenschaft und ihre» Einfluß auf Denken und Leben um meisten Vorschub erhalten hat, auf denen der exakten Beobachtung der Natur, d. h. meist des sinnlich Greifbaren, und des Experiments, der „Frage an diese Natur" als oberste, einzige Instanz. Von der Medizin und der Naturwissenschaft ausgehend, hat sich Wunde der Philosophie zugewandt, die Gleichheit der Richtung führte ihn zu dem nicht mehr naturphilosophisch symbolisirenden, sondern ans Erfahrnngsgrundlage soweit als möglich haftenden, aber die naturwissenschaftlichen Ergebnisse philosophisch durchdringenden Fechner, dem systematischen Einführer des Experiments ans rein philosophischem Gebiete. Wunde ward Fechners erfolg- und einflußreicher Fortsetzer und Ergäuzer, vor allein der akademische Vertreter und Vefestiger seines wissenschaftlichen Grund¬ gedankens, der Anwendung der experimentalen Forschung ans die Psychologie, der von ihm selbst so bezeichneten „Psychvphysik." An der hauptsächlichen Stätte seines Wirkens, als Professor an der Leipziger Universität, ließ er der >sysliN>i der Philosophie von Wilhelm Wundt, Leipzig, (k>uielmniu>, I,88!>, Grenzboten IV 1890 7ö

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/601>, abgerufen am 28.04.2024.