Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.Der Entwurf des preußischen Volksschulgesetzes Ist jetzt der geeignete Zeitpunkt, den Gemeinden ein so großes Vertrauen An dein Vvlksschulgesetze, von dem wir hier nur eine Seite beleuchtet Der Entwurf des preußischen Volksschulgesetzes Ist jetzt der geeignete Zeitpunkt, den Gemeinden ein so großes Vertrauen An dein Vvlksschulgesetze, von dem wir hier nur eine Seite beleuchtet <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0600" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/209179"/> <fw type="header" place="top"> Der Entwurf des preußischen Volksschulgesetzes</fw><lb/> <p xml:id="ID_1783"> Ist jetzt der geeignete Zeitpunkt, den Gemeinden ein so großes Vertrauen<lb/> zu gewähren, wie es das Gesetz thut? Die Zustände in den Gemeinden<lb/> sind nichts weniger als erfreulich. Die alten tüchtigen Schulzen werden fort¬<lb/> geärgert oder uicht wiedergewählt, und die Verwaltung geht in die Hände un¬<lb/> zuverlässiger Leute über. Der Fortschritt der Sozialdemokratie ans dem Lande<lb/> ist deutlich zu spüren, man kann sich ein Bild davon machen, wenn man er¬<lb/> fährt, wie viel sozialdemokratische Blätter in einem Dorfe gelesen werden. Nun<lb/> setzt zwar das Gesetz die neue Gemeindeordnung voraus. Diese wird unzweifelhaft<lb/> günstig wirken und der ärgsten Mißwirtschaft ein Ende machen. Aber wenn<lb/> auch die Gemeindeverfassung geändert wird, die Gemeindeglieder bleiben die¬<lb/> selben, und der Geist, aus dem Beschlüsse gefaßt oder nicht gefaßt werden,<lb/> bleibt derselbe. Wäre es nicht besser, erst den Grund der neuen Gemeinde-<lb/> ordnung zu legen und zuzusehen, wie er sich macht, »ut dann erst das Vvlks-<lb/> schnlgesetz darauf zu bauen?</p><lb/> <p xml:id="ID_1784"> An dein Vvlksschulgesetze, von dem wir hier nur eine Seite beleuchtet<lb/> haben, wird viel zu ändern sein, ehe es, wie der Reichskanzler hoffte, zum<lb/> Wohlbefinden der Beteiligten beitragen kann. Für unverbesserlich halten wir<lb/> das Gesetz nicht, aber freilich auch nicht für verbesserlich durch ein Paar leichte<lb/> Abstriche oder Zusätze. Daß die bürgerliche Gemeinde die Trägerin der Schule<lb/> wird, dürfte kaum zu vermeiden sein, aber es muß das Recht der Kirche und<lb/> der konfessionellen Minderheit geschont werden. Man würde auch besser gethan<lb/> haben, zu.warten, bis die Gemeinden von ungesunden Bau, die uicht ge¬<lb/> schlossenen Gemeinden, die Gemeindekonglomerate durch lebensfähige Bildungen<lb/> ersetzt worden sind. Man würde dann den ganzen schwerfälligen Apparat der<lb/> Schulverbände nicht nötig gehabt haben. Es darf nicht alles über einen<lb/> Kamin geschoren werden. Es muß ein Unterschied in der Organisation<lb/> städtischer und ländlicher Schulvorstäude gemacht werden. Die Einrichtungen<lb/> müssen so getroffen werden, daß sie deu wirklichen Verhältnissen auf den Leib<lb/> passen. Mau muß mit den gegebenen Personen, Schulzen, Pastoren, Lehrern,<lb/> Bauern rechnen. Vor alleu Dingen muß der Lehrer dein Geiz und der<lb/> Willkür der ländlichen Gemeinden gegenüber sicher gestellt werden. Die Kom¬<lb/> mission wird durch ihre Beratung zur Klärung dieser Fragen beitragen; ob<lb/> sie freilich geeignet ist, das Gesetz selbst umzubauen, ist fraglich. Der Gegensatz<lb/> der Parteien, das Feilschen und Verhandeln, die drängende Zeit sind einer<lb/> sachlichen Behandlung und reiflicher Erwägung nicht günstig; schließlich ent¬<lb/> scheidet in wichtigen Fragen der Zufall. Wir müssen es also für das beste<lb/> halten, daß das Gesetz diesmal noch nicht verabschiedet werde.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0600]
Der Entwurf des preußischen Volksschulgesetzes
Ist jetzt der geeignete Zeitpunkt, den Gemeinden ein so großes Vertrauen
zu gewähren, wie es das Gesetz thut? Die Zustände in den Gemeinden
sind nichts weniger als erfreulich. Die alten tüchtigen Schulzen werden fort¬
geärgert oder uicht wiedergewählt, und die Verwaltung geht in die Hände un¬
zuverlässiger Leute über. Der Fortschritt der Sozialdemokratie ans dem Lande
ist deutlich zu spüren, man kann sich ein Bild davon machen, wenn man er¬
fährt, wie viel sozialdemokratische Blätter in einem Dorfe gelesen werden. Nun
setzt zwar das Gesetz die neue Gemeindeordnung voraus. Diese wird unzweifelhaft
günstig wirken und der ärgsten Mißwirtschaft ein Ende machen. Aber wenn
auch die Gemeindeverfassung geändert wird, die Gemeindeglieder bleiben die¬
selben, und der Geist, aus dem Beschlüsse gefaßt oder nicht gefaßt werden,
bleibt derselbe. Wäre es nicht besser, erst den Grund der neuen Gemeinde-
ordnung zu legen und zuzusehen, wie er sich macht, »ut dann erst das Vvlks-
schnlgesetz darauf zu bauen?
An dein Vvlksschulgesetze, von dem wir hier nur eine Seite beleuchtet
haben, wird viel zu ändern sein, ehe es, wie der Reichskanzler hoffte, zum
Wohlbefinden der Beteiligten beitragen kann. Für unverbesserlich halten wir
das Gesetz nicht, aber freilich auch nicht für verbesserlich durch ein Paar leichte
Abstriche oder Zusätze. Daß die bürgerliche Gemeinde die Trägerin der Schule
wird, dürfte kaum zu vermeiden sein, aber es muß das Recht der Kirche und
der konfessionellen Minderheit geschont werden. Man würde auch besser gethan
haben, zu.warten, bis die Gemeinden von ungesunden Bau, die uicht ge¬
schlossenen Gemeinden, die Gemeindekonglomerate durch lebensfähige Bildungen
ersetzt worden sind. Man würde dann den ganzen schwerfälligen Apparat der
Schulverbände nicht nötig gehabt haben. Es darf nicht alles über einen
Kamin geschoren werden. Es muß ein Unterschied in der Organisation
städtischer und ländlicher Schulvorstäude gemacht werden. Die Einrichtungen
müssen so getroffen werden, daß sie deu wirklichen Verhältnissen auf den Leib
passen. Mau muß mit den gegebenen Personen, Schulzen, Pastoren, Lehrern,
Bauern rechnen. Vor alleu Dingen muß der Lehrer dein Geiz und der
Willkür der ländlichen Gemeinden gegenüber sicher gestellt werden. Die Kom¬
mission wird durch ihre Beratung zur Klärung dieser Fragen beitragen; ob
sie freilich geeignet ist, das Gesetz selbst umzubauen, ist fraglich. Der Gegensatz
der Parteien, das Feilschen und Verhandeln, die drängende Zeit sind einer
sachlichen Behandlung und reiflicher Erwägung nicht günstig; schließlich ent¬
scheidet in wichtigen Fragen der Zufall. Wir müssen es also für das beste
halten, daß das Gesetz diesmal noch nicht verabschiedet werde.
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