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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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er in den ersten Wochen nach dem Rücktritte des Fürsten Vis-
niarck auf die Stimmung lauschte, die in den Kreisen herrschte,
welche am meisten unter seinem Einfluß und in Abhängigkeit
von ihm gestanden hatten, konnte rechts und links die bekannte
Anekdote erzählen hören, daß der erste Napoleon einmal gesagt
habe, wenn er scheide, werde man nicht trauern: on nur-i: Outl! Dieses Gefühl,
eines schweren Druckes enthoben zu sein, hat ohne Zweifel in weiten Kreisen
bestanden. Wer die Menschen kennt, wird sich darüber nicht Wundern, und
es wäre politische Heuchelei, die Thatsache wegleugnen zu wollen. Eine gleiche
Heuchelei aber wäre es, zu behaupten, daß dieses Gefühl angehalten habe,
und daß nunmehr die Seelen und die Geister frei und zufrieden seien. So
sicher das Bestreben unsrer heutigen Regierung dahin geht, es allen Teilen
recht zu macheu. so wenig ist ihr das gelungen. Auch heute giebt es Unzu¬
friedene, wie in den Tagen, wo Fürst Bismarck das Staatsruder führte, nnr
mit dem Unterschiede, daß die Rollen vertauscht sind und die frühere Oppo¬
sition sich nunmehr geberdet, als gehöre ihr die Zukunft. Wer die Abstim¬
mungen im Reichstage und im Landtage verfolgt hat, wird wissen, daß heute die
alten Gegner des Fürsten, Polen, Dänen, Welfen, Freisinnige und in gewissen
Angelegenheiten das Zentrum, die Stütze der Negierung bilden, während die
früher als staatserhaltende Gruppe zusammengefaßten Kartellparteien in der
Opposition stehen.

Die Erklärung dafür zu finden, ist nicht schwer, es ist aber schwer, sie in
Worte zu fassen. Denn littora, 8"?riM nianot, und bei der durch die herrschende
Unzufriedenheit hervorgerufenen Empfindlichkeit liegt die Gefahr nahe, mißver¬
standen zu werden. Wenn wir es versuchen, rechnen wir dabei ans besonnen


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er in den ersten Wochen nach dem Rücktritte des Fürsten Vis-
niarck auf die Stimmung lauschte, die in den Kreisen herrschte,
welche am meisten unter seinem Einfluß und in Abhängigkeit
von ihm gestanden hatten, konnte rechts und links die bekannte
Anekdote erzählen hören, daß der erste Napoleon einmal gesagt
habe, wenn er scheide, werde man nicht trauern: on nur-i: Outl! Dieses Gefühl,
eines schweren Druckes enthoben zu sein, hat ohne Zweifel in weiten Kreisen
bestanden. Wer die Menschen kennt, wird sich darüber nicht Wundern, und
es wäre politische Heuchelei, die Thatsache wegleugnen zu wollen. Eine gleiche
Heuchelei aber wäre es, zu behaupten, daß dieses Gefühl angehalten habe,
und daß nunmehr die Seelen und die Geister frei und zufrieden seien. So
sicher das Bestreben unsrer heutigen Regierung dahin geht, es allen Teilen
recht zu macheu. so wenig ist ihr das gelungen. Auch heute giebt es Unzu¬
friedene, wie in den Tagen, wo Fürst Bismarck das Staatsruder führte, nnr
mit dem Unterschiede, daß die Rollen vertauscht sind und die frühere Oppo¬
sition sich nunmehr geberdet, als gehöre ihr die Zukunft. Wer die Abstim¬
mungen im Reichstage und im Landtage verfolgt hat, wird wissen, daß heute die
alten Gegner des Fürsten, Polen, Dänen, Welfen, Freisinnige und in gewissen
Angelegenheiten das Zentrum, die Stütze der Negierung bilden, während die
früher als staatserhaltende Gruppe zusammengefaßten Kartellparteien in der
Opposition stehen.

Die Erklärung dafür zu finden, ist nicht schwer, es ist aber schwer, sie in
Worte zu fassen. Denn littora, 8«?riM nianot, und bei der durch die herrschende
Unzufriedenheit hervorgerufenen Empfindlichkeit liegt die Gefahr nahe, mißver¬
standen zu werden. Wenn wir es versuchen, rechnen wir dabei ans besonnen


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[0393] [Abbildung] borgen er in den ersten Wochen nach dem Rücktritte des Fürsten Vis- niarck auf die Stimmung lauschte, die in den Kreisen herrschte, welche am meisten unter seinem Einfluß und in Abhängigkeit von ihm gestanden hatten, konnte rechts und links die bekannte Anekdote erzählen hören, daß der erste Napoleon einmal gesagt habe, wenn er scheide, werde man nicht trauern: on nur-i: Outl! Dieses Gefühl, eines schweren Druckes enthoben zu sein, hat ohne Zweifel in weiten Kreisen bestanden. Wer die Menschen kennt, wird sich darüber nicht Wundern, und es wäre politische Heuchelei, die Thatsache wegleugnen zu wollen. Eine gleiche Heuchelei aber wäre es, zu behaupten, daß dieses Gefühl angehalten habe, und daß nunmehr die Seelen und die Geister frei und zufrieden seien. So sicher das Bestreben unsrer heutigen Regierung dahin geht, es allen Teilen recht zu macheu. so wenig ist ihr das gelungen. Auch heute giebt es Unzu¬ friedene, wie in den Tagen, wo Fürst Bismarck das Staatsruder führte, nnr mit dem Unterschiede, daß die Rollen vertauscht sind und die frühere Oppo¬ sition sich nunmehr geberdet, als gehöre ihr die Zukunft. Wer die Abstim¬ mungen im Reichstage und im Landtage verfolgt hat, wird wissen, daß heute die alten Gegner des Fürsten, Polen, Dänen, Welfen, Freisinnige und in gewissen Angelegenheiten das Zentrum, die Stütze der Negierung bilden, während die früher als staatserhaltende Gruppe zusammengefaßten Kartellparteien in der Opposition stehen. Die Erklärung dafür zu finden, ist nicht schwer, es ist aber schwer, sie in Worte zu fassen. Denn littora, 8«?riM nianot, und bei der durch die herrschende Unzufriedenheit hervorgerufenen Empfindlichkeit liegt die Gefahr nahe, mißver¬ standen zu werden. Wenn wir es versuchen, rechnen wir dabei ans besonnen Grenzboten I 1891 4!>

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/393>, abgerufen am 05.05.2024.