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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Geschichtsphilosophische Gedanken

wir dem ersehnten Gegenstande ganz ruhe, dann gehen wir wohl absichtlich
recht langsam, um den Bvrgeschmack des nun sicher bevorstehenden Genusses
in der Phantasie recht gründlich auszukosten. Warum also sollte es der zur
Erde herabeilende Stein nicht auch so machen? Er verhält sich entgegen¬
gesetzt; aber daß es so sein müsse, dafür giebt es keinen logischen Grund.
Wenn uns nun die Gründe verborgen bleiben, warum die Welt so und nicht
anders eingerichtet ist, so bleibt uns das Wesen dessen, der sie eingerichtet
hat, erst recht verborgen. Daß er persönlich sei, dafür spricht die höchste
Wahrscheinlichkeit, weil es uns ungereimt erscheinen würde, das höchste Wesen
der blind und bewußtlos wirkende" Materie gleichartig zu denken, also einem
Wesen, das wir niedriger erachten als uns selbst, und weil wir zwar begreifen,
wie der bewußte Geist den bewußtlosen Stoff gestaltet, denn das erleben wir
ja täglich an uus selbst, nicht aber, wie aus dem bewußtlosen Stoff bewußter
Geist hervorgehen könne. Irgend etwas aber an diesem unsrer unmittelbaren
Erkenntnis unzugänglichen Wesen für unmöglich zu erklären, dürfen wir uus
nicht anmaßen.

Zudem beruht es auf einem offenbaren Mißverständnis, wenn eine un-
endliche Persönlichkeit für eine eontraäivtio in nah'volo erklärt wird. Die uus
bekannten Persönlichkeiten sind allerdings an einen begrenzenden und selbst
begrenzten Leib gebunden, aber das Wesen des Geistes, der doch erst die Per¬
sönlichkeit ausmacht, ist es gerade, über die ihm gezogenen körperlichen Grenzen
hinansznstreben. Unsre Sehnsucht und unsre Phantasie überfliegen die Grenzen
von Zeit und Raum, und wenn auch selbst der Gelehrteste am Ende seines
Lebens bekennen muß, daß all sein Wissen nur armseliges Stückwerk gewesen
sei, so sind doch dem Wissenszuwachse keine erkennbaren Grenzen gezogen. Nicht
die Endlichkeit gehört zum Wesen der Persönlichkeit, wohl aber der Gegensatz
zu eiuer andern Person. Deshalb hat die Kirche, gestützt auf biblische An-
deutungen, das Dreieinigkeitsdogma ausgebildet, das selbstverständlich, wenn
es auch unbedingte Wahrheit enthält, diese doch nicht anders als gleichnis¬
weise auszudrücken vermag, was, nebenbei bemerkt, für alle auf das Jenseits
bezüglichen Wahrheiten, also für alle Dogmen gilt. Bekanntlich hat Hegel
dieses Dogma sehr schön entwickelt, wie es denn überhaupt eiues seiner größten
Verdienste ist, dem platten Rationalismus gegenüber das gläubige Christentum
vor der Vernunft gerechtfertigt zu haben.


2

Ihr Zweck kann der Welt von keinem gesetzt worden sein, als von ihrem
Schöpfer. Ans die Frage aber, welcher es sei, können wir wieder nur mit
Ahnungen und Mutmaßungen antworten. Es versteht sich, daß der Höchste,
der im Anfange allein war, keinen Beweggrund und Anstoß zum Handeln von
anßen empfangen konnte, und daß er, wie alle Beweggründe, so auch alle Zwecke


Geschichtsphilosophische Gedanken

wir dem ersehnten Gegenstande ganz ruhe, dann gehen wir wohl absichtlich
recht langsam, um den Bvrgeschmack des nun sicher bevorstehenden Genusses
in der Phantasie recht gründlich auszukosten. Warum also sollte es der zur
Erde herabeilende Stein nicht auch so machen? Er verhält sich entgegen¬
gesetzt; aber daß es so sein müsse, dafür giebt es keinen logischen Grund.
Wenn uns nun die Gründe verborgen bleiben, warum die Welt so und nicht
anders eingerichtet ist, so bleibt uns das Wesen dessen, der sie eingerichtet
hat, erst recht verborgen. Daß er persönlich sei, dafür spricht die höchste
Wahrscheinlichkeit, weil es uns ungereimt erscheinen würde, das höchste Wesen
der blind und bewußtlos wirkende» Materie gleichartig zu denken, also einem
Wesen, das wir niedriger erachten als uns selbst, und weil wir zwar begreifen,
wie der bewußte Geist den bewußtlosen Stoff gestaltet, denn das erleben wir
ja täglich an uus selbst, nicht aber, wie aus dem bewußtlosen Stoff bewußter
Geist hervorgehen könne. Irgend etwas aber an diesem unsrer unmittelbaren
Erkenntnis unzugänglichen Wesen für unmöglich zu erklären, dürfen wir uus
nicht anmaßen.

Zudem beruht es auf einem offenbaren Mißverständnis, wenn eine un-
endliche Persönlichkeit für eine eontraäivtio in nah'volo erklärt wird. Die uus
bekannten Persönlichkeiten sind allerdings an einen begrenzenden und selbst
begrenzten Leib gebunden, aber das Wesen des Geistes, der doch erst die Per¬
sönlichkeit ausmacht, ist es gerade, über die ihm gezogenen körperlichen Grenzen
hinansznstreben. Unsre Sehnsucht und unsre Phantasie überfliegen die Grenzen
von Zeit und Raum, und wenn auch selbst der Gelehrteste am Ende seines
Lebens bekennen muß, daß all sein Wissen nur armseliges Stückwerk gewesen
sei, so sind doch dem Wissenszuwachse keine erkennbaren Grenzen gezogen. Nicht
die Endlichkeit gehört zum Wesen der Persönlichkeit, wohl aber der Gegensatz
zu eiuer andern Person. Deshalb hat die Kirche, gestützt auf biblische An-
deutungen, das Dreieinigkeitsdogma ausgebildet, das selbstverständlich, wenn
es auch unbedingte Wahrheit enthält, diese doch nicht anders als gleichnis¬
weise auszudrücken vermag, was, nebenbei bemerkt, für alle auf das Jenseits
bezüglichen Wahrheiten, also für alle Dogmen gilt. Bekanntlich hat Hegel
dieses Dogma sehr schön entwickelt, wie es denn überhaupt eiues seiner größten
Verdienste ist, dem platten Rationalismus gegenüber das gläubige Christentum
vor der Vernunft gerechtfertigt zu haben.


2

Ihr Zweck kann der Welt von keinem gesetzt worden sein, als von ihrem
Schöpfer. Ans die Frage aber, welcher es sei, können wir wieder nur mit
Ahnungen und Mutmaßungen antworten. Es versteht sich, daß der Höchste,
der im Anfange allein war, keinen Beweggrund und Anstoß zum Handeln von
anßen empfangen konnte, und daß er, wie alle Beweggründe, so auch alle Zwecke


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[0456] Geschichtsphilosophische Gedanken wir dem ersehnten Gegenstande ganz ruhe, dann gehen wir wohl absichtlich recht langsam, um den Bvrgeschmack des nun sicher bevorstehenden Genusses in der Phantasie recht gründlich auszukosten. Warum also sollte es der zur Erde herabeilende Stein nicht auch so machen? Er verhält sich entgegen¬ gesetzt; aber daß es so sein müsse, dafür giebt es keinen logischen Grund. Wenn uns nun die Gründe verborgen bleiben, warum die Welt so und nicht anders eingerichtet ist, so bleibt uns das Wesen dessen, der sie eingerichtet hat, erst recht verborgen. Daß er persönlich sei, dafür spricht die höchste Wahrscheinlichkeit, weil es uns ungereimt erscheinen würde, das höchste Wesen der blind und bewußtlos wirkende» Materie gleichartig zu denken, also einem Wesen, das wir niedriger erachten als uns selbst, und weil wir zwar begreifen, wie der bewußte Geist den bewußtlosen Stoff gestaltet, denn das erleben wir ja täglich an uus selbst, nicht aber, wie aus dem bewußtlosen Stoff bewußter Geist hervorgehen könne. Irgend etwas aber an diesem unsrer unmittelbaren Erkenntnis unzugänglichen Wesen für unmöglich zu erklären, dürfen wir uus nicht anmaßen. Zudem beruht es auf einem offenbaren Mißverständnis, wenn eine un- endliche Persönlichkeit für eine eontraäivtio in nah'volo erklärt wird. Die uus bekannten Persönlichkeiten sind allerdings an einen begrenzenden und selbst begrenzten Leib gebunden, aber das Wesen des Geistes, der doch erst die Per¬ sönlichkeit ausmacht, ist es gerade, über die ihm gezogenen körperlichen Grenzen hinansznstreben. Unsre Sehnsucht und unsre Phantasie überfliegen die Grenzen von Zeit und Raum, und wenn auch selbst der Gelehrteste am Ende seines Lebens bekennen muß, daß all sein Wissen nur armseliges Stückwerk gewesen sei, so sind doch dem Wissenszuwachse keine erkennbaren Grenzen gezogen. Nicht die Endlichkeit gehört zum Wesen der Persönlichkeit, wohl aber der Gegensatz zu eiuer andern Person. Deshalb hat die Kirche, gestützt auf biblische An- deutungen, das Dreieinigkeitsdogma ausgebildet, das selbstverständlich, wenn es auch unbedingte Wahrheit enthält, diese doch nicht anders als gleichnis¬ weise auszudrücken vermag, was, nebenbei bemerkt, für alle auf das Jenseits bezüglichen Wahrheiten, also für alle Dogmen gilt. Bekanntlich hat Hegel dieses Dogma sehr schön entwickelt, wie es denn überhaupt eiues seiner größten Verdienste ist, dem platten Rationalismus gegenüber das gläubige Christentum vor der Vernunft gerechtfertigt zu haben. 2 Ihr Zweck kann der Welt von keinem gesetzt worden sein, als von ihrem Schöpfer. Ans die Frage aber, welcher es sei, können wir wieder nur mit Ahnungen und Mutmaßungen antworten. Es versteht sich, daß der Höchste, der im Anfange allein war, keinen Beweggrund und Anstoß zum Handeln von anßen empfangen konnte, und daß er, wie alle Beweggründe, so auch alle Zwecke

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/456>, abgerufen am 05.05.2024.