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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Geschichtsphilosophische Gedanken

aus sich selber schöpfen mußte. Da wir min kein andres Mittel haben, Gottes
Absichten zu erraten, als einen Blick in unsre eigne Seele, die als das höchste
der uns bekannten Geschöpfe Gottes auch der vollkommenste Spiegel seines
Wesens sein, muß, so werden wir mit aller Gelehrsamkeit niemals einen wahr¬
scheinlicheren Zweck finden, als den, den Schiller in einem seiner Jngendgedichte
mit den Worten ausgedrückt hat:


FrenndlvS war der große Weltenmeister,
Fühlte Mangel, darum schuf er Geister,
Sel'ge Spiegel seiner Seligkeit!
Fand das höchste Wesen schon kein Gleiches,
Ans dem ,^eins des ganzen SeelenrelcheS
schäumt ihm die Unendlichkeit.

Gegen die Mißdeutung, die Hegel diesen göttlichen Versen gegeben hat, werde
ich mich später auszusprechen Gelegenheit haben. Die Theologen um aller¬
dings haben es unzulässig gefunden, in dem höchsten und vollkommensten
Wesen so etwas wie Mangel, Bedürfnis und Sehnsucht anzunehmen, und
haben die Selbstverherrlichung Gottes als Schöpfuugszweck ausgestellt. Ich
gehe auf die endlosen theologischen und philosophischen Streitigkeiten über
diesen Gegenstaud nicht ein, sondern bemerke mir, daß der schlichte Sinn des
unverdorbene,! Menschen, in Übereinstimmung mit dein Neuen Testamente,
keinen höhern Beweggrund menschlichen Handelns kennt, als uneigennützige
Liebe, daß daher auch kein besserer Beweggrund zur Erschaffung der Welt
gefunden werden tan", als der Wille Gottes, Wesen zu haben, die er an
seiner Seligkeit könne teilnehmen lassen. Und wenn im Neuen Testament die
Erlösung als ein Werk der Liebe erscheint, wie sollte die Schöpfung einen
andern Ursprung haben? Daß der vollkommenste Triumph der Liebe Gottes
zugleich seine höchste Selbstverherrlichung sein würde, versteht sich ja von selbst.
Eben deshalb können wir die Selbstverherrlichung Gottes nicht so fassen, wie
die strenge Prädestinationslehre es thut, nach der Gott die Guten geschaffen
hätte, um in ihrer ewigen Seligkeit seine Liebe, und die Bösen, um in ihren
ewigen Qualen seine Gerechtigkeit zu verherrlichen. Fichte hat den richtigen
Moralgrundsat, aufgestellt, daß wir niemals einen andern Menschen lediglich
als Werkzeug für unsre persönlichen Zwecke behandeln dürfen. Gegen diesen
Moralgrnndsatz würde jene Art Selbstverherrlichung verstoßen, und einen Gott,
der weniger moralisch wäre als gute Menschen, können wir uns doch nicht
denken. Wäre er so, so würden wir ihn weder lieben "och achten. Obwohl
wir daher in den Sinn des Unendlichen nicht einzudringen und den Zweck
seiner Schöpfung nicht zu ergründen vermögen, so steht uns doch von vorn¬
herein fest, daß die Seligkeit der Geschöpfe, wenn auch vielleicht uicht der
^eltzweck selbst, so doch in diesen Zweck eingeschlossen sein muß.


Grenzboten I 18S1 57
Geschichtsphilosophische Gedanken

aus sich selber schöpfen mußte. Da wir min kein andres Mittel haben, Gottes
Absichten zu erraten, als einen Blick in unsre eigne Seele, die als das höchste
der uns bekannten Geschöpfe Gottes auch der vollkommenste Spiegel seines
Wesens sein, muß, so werden wir mit aller Gelehrsamkeit niemals einen wahr¬
scheinlicheren Zweck finden, als den, den Schiller in einem seiner Jngendgedichte
mit den Worten ausgedrückt hat:


FrenndlvS war der große Weltenmeister,
Fühlte Mangel, darum schuf er Geister,
Sel'ge Spiegel seiner Seligkeit!
Fand das höchste Wesen schon kein Gleiches,
Ans dem ,^eins des ganzen SeelenrelcheS
schäumt ihm die Unendlichkeit.

Gegen die Mißdeutung, die Hegel diesen göttlichen Versen gegeben hat, werde
ich mich später auszusprechen Gelegenheit haben. Die Theologen um aller¬
dings haben es unzulässig gefunden, in dem höchsten und vollkommensten
Wesen so etwas wie Mangel, Bedürfnis und Sehnsucht anzunehmen, und
haben die Selbstverherrlichung Gottes als Schöpfuugszweck ausgestellt. Ich
gehe auf die endlosen theologischen und philosophischen Streitigkeiten über
diesen Gegenstaud nicht ein, sondern bemerke mir, daß der schlichte Sinn des
unverdorbene,! Menschen, in Übereinstimmung mit dein Neuen Testamente,
keinen höhern Beweggrund menschlichen Handelns kennt, als uneigennützige
Liebe, daß daher auch kein besserer Beweggrund zur Erschaffung der Welt
gefunden werden tan», als der Wille Gottes, Wesen zu haben, die er an
seiner Seligkeit könne teilnehmen lassen. Und wenn im Neuen Testament die
Erlösung als ein Werk der Liebe erscheint, wie sollte die Schöpfung einen
andern Ursprung haben? Daß der vollkommenste Triumph der Liebe Gottes
zugleich seine höchste Selbstverherrlichung sein würde, versteht sich ja von selbst.
Eben deshalb können wir die Selbstverherrlichung Gottes nicht so fassen, wie
die strenge Prädestinationslehre es thut, nach der Gott die Guten geschaffen
hätte, um in ihrer ewigen Seligkeit seine Liebe, und die Bösen, um in ihren
ewigen Qualen seine Gerechtigkeit zu verherrlichen. Fichte hat den richtigen
Moralgrundsat, aufgestellt, daß wir niemals einen andern Menschen lediglich
als Werkzeug für unsre persönlichen Zwecke behandeln dürfen. Gegen diesen
Moralgrnndsatz würde jene Art Selbstverherrlichung verstoßen, und einen Gott,
der weniger moralisch wäre als gute Menschen, können wir uns doch nicht
denken. Wäre er so, so würden wir ihn weder lieben »och achten. Obwohl
wir daher in den Sinn des Unendlichen nicht einzudringen und den Zweck
seiner Schöpfung nicht zu ergründen vermögen, so steht uns doch von vorn¬
herein fest, daß die Seligkeit der Geschöpfe, wenn auch vielleicht uicht der
^eltzweck selbst, so doch in diesen Zweck eingeschlossen sein muß.


Grenzboten I 18S1 57
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[0457] Geschichtsphilosophische Gedanken aus sich selber schöpfen mußte. Da wir min kein andres Mittel haben, Gottes Absichten zu erraten, als einen Blick in unsre eigne Seele, die als das höchste der uns bekannten Geschöpfe Gottes auch der vollkommenste Spiegel seines Wesens sein, muß, so werden wir mit aller Gelehrsamkeit niemals einen wahr¬ scheinlicheren Zweck finden, als den, den Schiller in einem seiner Jngendgedichte mit den Worten ausgedrückt hat: FrenndlvS war der große Weltenmeister, Fühlte Mangel, darum schuf er Geister, Sel'ge Spiegel seiner Seligkeit! Fand das höchste Wesen schon kein Gleiches, Ans dem ,^eins des ganzen SeelenrelcheS schäumt ihm die Unendlichkeit. Gegen die Mißdeutung, die Hegel diesen göttlichen Versen gegeben hat, werde ich mich später auszusprechen Gelegenheit haben. Die Theologen um aller¬ dings haben es unzulässig gefunden, in dem höchsten und vollkommensten Wesen so etwas wie Mangel, Bedürfnis und Sehnsucht anzunehmen, und haben die Selbstverherrlichung Gottes als Schöpfuugszweck ausgestellt. Ich gehe auf die endlosen theologischen und philosophischen Streitigkeiten über diesen Gegenstaud nicht ein, sondern bemerke mir, daß der schlichte Sinn des unverdorbene,! Menschen, in Übereinstimmung mit dein Neuen Testamente, keinen höhern Beweggrund menschlichen Handelns kennt, als uneigennützige Liebe, daß daher auch kein besserer Beweggrund zur Erschaffung der Welt gefunden werden tan», als der Wille Gottes, Wesen zu haben, die er an seiner Seligkeit könne teilnehmen lassen. Und wenn im Neuen Testament die Erlösung als ein Werk der Liebe erscheint, wie sollte die Schöpfung einen andern Ursprung haben? Daß der vollkommenste Triumph der Liebe Gottes zugleich seine höchste Selbstverherrlichung sein würde, versteht sich ja von selbst. Eben deshalb können wir die Selbstverherrlichung Gottes nicht so fassen, wie die strenge Prädestinationslehre es thut, nach der Gott die Guten geschaffen hätte, um in ihrer ewigen Seligkeit seine Liebe, und die Bösen, um in ihren ewigen Qualen seine Gerechtigkeit zu verherrlichen. Fichte hat den richtigen Moralgrundsat, aufgestellt, daß wir niemals einen andern Menschen lediglich als Werkzeug für unsre persönlichen Zwecke behandeln dürfen. Gegen diesen Moralgrnndsatz würde jene Art Selbstverherrlichung verstoßen, und einen Gott, der weniger moralisch wäre als gute Menschen, können wir uns doch nicht denken. Wäre er so, so würden wir ihn weder lieben »och achten. Obwohl wir daher in den Sinn des Unendlichen nicht einzudringen und den Zweck seiner Schöpfung nicht zu ergründen vermögen, so steht uns doch von vorn¬ herein fest, daß die Seligkeit der Geschöpfe, wenn auch vielleicht uicht der ^eltzweck selbst, so doch in diesen Zweck eingeschlossen sein muß. Grenzboten I 18S1 57

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/457>, abgerufen am 26.05.2024.