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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Leben gedrängt hatte, "Denke dir, seit Montag bin ich hier ohne Buch und
Alles -- ich habe alle Lust zum Ausgehen verloren, das Zurechtfragen ist ein
^abscheuliches Ding, ich verlaufe mich immer -- sonst wäre ich doch einmal in
eine Leihbibliothek gegangen. Ich bin in Leipzig noch mehr für mich, als in
Eisfeld, des Tages gehe ich -- es müßten denn Geschäfte sein -- nur ein¬
mal aus, lieber esse ich mittags gar nicht, abends Punkt fünf Uhr gehts dann zum
Niere, da wird ein "Töppchen" getrunken und etwas gegessen, vo-Ja sse, tont.
Da hat Ers doch besser neben einer solchen Frau und solchem Söhnlein zu
sitzen, -- Ich sehne mich, das ist wahr -- aber weniger irgendwohin, als nur
von hier weg!"

(Schluß folsit)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Die Berliner Presse.

Hätte die Bedeutung Bismarcks "och einer aus¬
drücklichen Bescheinigung bedurft, die Zeit seit seinem Rücktritte von den Stants-
gcschäften würde diese hundertfach ausgestellt haben. Drei Vierteljahre sind ver¬
gangen, und noch kann weder Feind noch freund sich darein finden, daß der
gewaltige Mann im Vollbesitze der Kraft feiern soll, während so schwere Fragen
auf die Tagesordnung gebracht werden. Was geschieht und was nicht geschieht,
giebt Anlaß zu Erinnerungen, Vergleichen und Vermutungen, wie die Dinge laufen
Würden, falls seine Hand noch am Nuder Ware. Ihn, wurde einst Mangel an
Ruhe, nervöse Hast und Ungeduld vorgeworfen; die das thaten, müssen heute,
wenn sie es auch nicht eingestehen, mit Beschämung an ihr damaliges vorschnelles
Urteil denken. Nicht minder die antiken Charaktere, die den Völker Bruflwu auf¬
zuwenden pflegten, um jedem ihre Verachtung auszudrücken, der seiner überlegenen
Einsicht eine Parteimeinung unterordnete. Oder vielmehr" sie müßten so empfinden,
wenn die Schule des Pnrtcilebens ihnen noch die Fähigkeit gelassen hätte, natürlich
zu empfinden, selbständig zu denken,

Deutschland hat selten ein so trauriges Schauspiel geboten, wie im März und
April, als der freisinnige Janhagel dem Begründer des neuen Reiches faule Äpfel
nachwarf und Schimpfreden michrief, und die Rotte uicht durch den Ausbruch der
Entrüstung aller anständigen Menschen verscheucht wurde. Nicht einmal der denn
doch begründete Haß der französischen Gassenblätter ließ sich zu gleicher Niedrigkeit
herab. Wir haben damals aus dem Munde von Parisern, Polen und österreichischen
Ultramontanen Äußerungen vernommen, die bewiesen, wie die Ehrenhaften unter
unsern Feinden solches Treiben ansahen. Vielleicht regte sich bei ihnen stille
Schadenfreude, dann aber hatten sie Anstand genug, sie wenigstens nicht laut werden
zu lassen, sondern nur ihr Bedauern über so unerhörten Undank zu erkennen zu geben.

Nun endlich, sollte man meinen, habe die Parteiwnt sich genugthnn können.


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Leben gedrängt hatte, „Denke dir, seit Montag bin ich hier ohne Buch und
Alles — ich habe alle Lust zum Ausgehen verloren, das Zurechtfragen ist ein
^abscheuliches Ding, ich verlaufe mich immer — sonst wäre ich doch einmal in
eine Leihbibliothek gegangen. Ich bin in Leipzig noch mehr für mich, als in
Eisfeld, des Tages gehe ich — es müßten denn Geschäfte sein — nur ein¬
mal aus, lieber esse ich mittags gar nicht, abends Punkt fünf Uhr gehts dann zum
Niere, da wird ein „Töppchen" getrunken und etwas gegessen, vo-Ja sse, tont.
Da hat Ers doch besser neben einer solchen Frau und solchem Söhnlein zu
sitzen, — Ich sehne mich, das ist wahr — aber weniger irgendwohin, als nur
von hier weg!"

(Schluß folsit)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Die Berliner Presse.

Hätte die Bedeutung Bismarcks »och einer aus¬
drücklichen Bescheinigung bedurft, die Zeit seit seinem Rücktritte von den Stants-
gcschäften würde diese hundertfach ausgestellt haben. Drei Vierteljahre sind ver¬
gangen, und noch kann weder Feind noch freund sich darein finden, daß der
gewaltige Mann im Vollbesitze der Kraft feiern soll, während so schwere Fragen
auf die Tagesordnung gebracht werden. Was geschieht und was nicht geschieht,
giebt Anlaß zu Erinnerungen, Vergleichen und Vermutungen, wie die Dinge laufen
Würden, falls seine Hand noch am Nuder Ware. Ihn, wurde einst Mangel an
Ruhe, nervöse Hast und Ungeduld vorgeworfen; die das thaten, müssen heute,
wenn sie es auch nicht eingestehen, mit Beschämung an ihr damaliges vorschnelles
Urteil denken. Nicht minder die antiken Charaktere, die den Völker Bruflwu auf¬
zuwenden pflegten, um jedem ihre Verachtung auszudrücken, der seiner überlegenen
Einsicht eine Parteimeinung unterordnete. Oder vielmehr" sie müßten so empfinden,
wenn die Schule des Pnrtcilebens ihnen noch die Fähigkeit gelassen hätte, natürlich
zu empfinden, selbständig zu denken,

Deutschland hat selten ein so trauriges Schauspiel geboten, wie im März und
April, als der freisinnige Janhagel dem Begründer des neuen Reiches faule Äpfel
nachwarf und Schimpfreden michrief, und die Rotte uicht durch den Ausbruch der
Entrüstung aller anständigen Menschen verscheucht wurde. Nicht einmal der denn
doch begründete Haß der französischen Gassenblätter ließ sich zu gleicher Niedrigkeit
herab. Wir haben damals aus dem Munde von Parisern, Polen und österreichischen
Ultramontanen Äußerungen vernommen, die bewiesen, wie die Ehrenhaften unter
unsern Feinden solches Treiben ansahen. Vielleicht regte sich bei ihnen stille
Schadenfreude, dann aber hatten sie Anstand genug, sie wenigstens nicht laut werden
zu lassen, sondern nur ihr Bedauern über so unerhörten Undank zu erkennen zu geben.

Nun endlich, sollte man meinen, habe die Parteiwnt sich genugthnn können.


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[0046] Maßgebliches und Unmaßgebliches Leben gedrängt hatte, „Denke dir, seit Montag bin ich hier ohne Buch und Alles — ich habe alle Lust zum Ausgehen verloren, das Zurechtfragen ist ein ^abscheuliches Ding, ich verlaufe mich immer — sonst wäre ich doch einmal in eine Leihbibliothek gegangen. Ich bin in Leipzig noch mehr für mich, als in Eisfeld, des Tages gehe ich — es müßten denn Geschäfte sein — nur ein¬ mal aus, lieber esse ich mittags gar nicht, abends Punkt fünf Uhr gehts dann zum Niere, da wird ein „Töppchen" getrunken und etwas gegessen, vo-Ja sse, tont. Da hat Ers doch besser neben einer solchen Frau und solchem Söhnlein zu sitzen, — Ich sehne mich, das ist wahr — aber weniger irgendwohin, als nur von hier weg!" (Schluß folsit) Maßgebliches und Unmaßgebliches Die Berliner Presse. Hätte die Bedeutung Bismarcks »och einer aus¬ drücklichen Bescheinigung bedurft, die Zeit seit seinem Rücktritte von den Stants- gcschäften würde diese hundertfach ausgestellt haben. Drei Vierteljahre sind ver¬ gangen, und noch kann weder Feind noch freund sich darein finden, daß der gewaltige Mann im Vollbesitze der Kraft feiern soll, während so schwere Fragen auf die Tagesordnung gebracht werden. Was geschieht und was nicht geschieht, giebt Anlaß zu Erinnerungen, Vergleichen und Vermutungen, wie die Dinge laufen Würden, falls seine Hand noch am Nuder Ware. Ihn, wurde einst Mangel an Ruhe, nervöse Hast und Ungeduld vorgeworfen; die das thaten, müssen heute, wenn sie es auch nicht eingestehen, mit Beschämung an ihr damaliges vorschnelles Urteil denken. Nicht minder die antiken Charaktere, die den Völker Bruflwu auf¬ zuwenden pflegten, um jedem ihre Verachtung auszudrücken, der seiner überlegenen Einsicht eine Parteimeinung unterordnete. Oder vielmehr" sie müßten so empfinden, wenn die Schule des Pnrtcilebens ihnen noch die Fähigkeit gelassen hätte, natürlich zu empfinden, selbständig zu denken, Deutschland hat selten ein so trauriges Schauspiel geboten, wie im März und April, als der freisinnige Janhagel dem Begründer des neuen Reiches faule Äpfel nachwarf und Schimpfreden michrief, und die Rotte uicht durch den Ausbruch der Entrüstung aller anständigen Menschen verscheucht wurde. Nicht einmal der denn doch begründete Haß der französischen Gassenblätter ließ sich zu gleicher Niedrigkeit herab. Wir haben damals aus dem Munde von Parisern, Polen und österreichischen Ultramontanen Äußerungen vernommen, die bewiesen, wie die Ehrenhaften unter unsern Feinden solches Treiben ansahen. Vielleicht regte sich bei ihnen stille Schadenfreude, dann aber hatten sie Anstand genug, sie wenigstens nicht laut werden zu lassen, sondern nur ihr Bedauern über so unerhörten Undank zu erkennen zu geben. Nun endlich, sollte man meinen, habe die Parteiwnt sich genugthnn können.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/46>, abgerufen am 05.05.2024.