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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Pflichten gesprochen habe. Ani zu beweise", daß ich der modernen Auffassung
nicht ganz fern stehe, erkläre ich, daß ich dabei immer ihre "Pflicht gegen sich
selbst" im Auge hatte, insofern nämlich, als ich die erste Pflicht gegen sich
selbst bei Mann und Frau in der treuen Erfüllung ihrer Pflichten gegen
andre erblicke.




Allerhand ^prachdummheiten
(Fortsetzung)

i s ließe sich noch manches sagen über die herrschende Ratlosig¬
keit im Gebrauche der Modi. Dem Konjuuktivschwund, an dem
m allgemeinen unsre Sprache krankt, tritt bisweilen ein lächerlicher
Übereifer in der Anwendung des Konjunktivs gegenüber, z. V. in
abhängigen Fragesätzen. Darin ist namentlich einer der zwei¬
undvierzig "Führenden" groß, die damals die fulminante Erklärung gegen
den Sprachverein losließen. Ich sollte ihn eigentlich nennen, denn er ist einer
von den größten Pfauhähueu ans dem Hühnerhofe der heutigen deutschen
Journalistik. Der hat nicht das geringste Gefühl dafür, geschweige denn
irgend welches Bewußtsein davon, in welchem Fall ein abhängiger Fragesatz
im Indikativ zu stehen hat (er würde schreiben: habe), und in welchem Fall
im Konjunktiv. Er schreibt beharrlich: sehen wir, wie auf dem Gebiete der
neuern Kunstgeschichte auf deu Universitäten gearbeitet werde (wird, Herr
Professor!) -- wie weit das Gebiet sei (ist!), das Kraus bearbeitet, zeigen
seine Bücher -- wie inhaltreich die Skulpturen seien (sind!), die in Betracht
kommen, zeigt das immer mehr sich steigernde Interesse -- die Aufgabe geht
dahin, zu zeigen, in wie ungeheurer Breite der Strom menschlicher Arbeit
dahinflnte (flutet!) -- wir lernen immer mehr erkennen, wie ungeheuer schwer
es sei (ist!) -- ältere Leute, welche mehr oder weniger bereits wissen,
wovon die Rede sei (ist!) -- welche Schmierigkeit es habe (hat!), sich
Lionardos Thätigkeit vorzustellen, weiß jeder -- u. s. w. Dazwischen
schreibt er freilich auch einmal richtige Sätze, wie: die beiden große"
Gedichte bezeichne" erschöpfe"!), "in was es sich handelt -- es wird nicht
nötig sei", zu beweisen, welche maßgebende Rolle die Betrachtung der
Phantasiearbeit der Völker hier spielt -- sehe mau doch, in welcher macht¬
vollen Weise Goethe heute als historischer Faktor fungirt. Aber weshalb
die eine" richtig, die andern falsch sind, weiß er nicht; er hat keine Ahnung


Pflichten gesprochen habe. Ani zu beweise», daß ich der modernen Auffassung
nicht ganz fern stehe, erkläre ich, daß ich dabei immer ihre „Pflicht gegen sich
selbst" im Auge hatte, insofern nämlich, als ich die erste Pflicht gegen sich
selbst bei Mann und Frau in der treuen Erfüllung ihrer Pflichten gegen
andre erblicke.




Allerhand ^prachdummheiten
(Fortsetzung)

i s ließe sich noch manches sagen über die herrschende Ratlosig¬
keit im Gebrauche der Modi. Dem Konjuuktivschwund, an dem
m allgemeinen unsre Sprache krankt, tritt bisweilen ein lächerlicher
Übereifer in der Anwendung des Konjunktivs gegenüber, z. V. in
abhängigen Fragesätzen. Darin ist namentlich einer der zwei¬
undvierzig „Führenden" groß, die damals die fulminante Erklärung gegen
den Sprachverein losließen. Ich sollte ihn eigentlich nennen, denn er ist einer
von den größten Pfauhähueu ans dem Hühnerhofe der heutigen deutschen
Journalistik. Der hat nicht das geringste Gefühl dafür, geschweige denn
irgend welches Bewußtsein davon, in welchem Fall ein abhängiger Fragesatz
im Indikativ zu stehen hat (er würde schreiben: habe), und in welchem Fall
im Konjunktiv. Er schreibt beharrlich: sehen wir, wie auf dem Gebiete der
neuern Kunstgeschichte auf deu Universitäten gearbeitet werde (wird, Herr
Professor!) — wie weit das Gebiet sei (ist!), das Kraus bearbeitet, zeigen
seine Bücher — wie inhaltreich die Skulpturen seien (sind!), die in Betracht
kommen, zeigt das immer mehr sich steigernde Interesse — die Aufgabe geht
dahin, zu zeigen, in wie ungeheurer Breite der Strom menschlicher Arbeit
dahinflnte (flutet!) — wir lernen immer mehr erkennen, wie ungeheuer schwer
es sei (ist!) — ältere Leute, welche mehr oder weniger bereits wissen,
wovon die Rede sei (ist!) — welche Schmierigkeit es habe (hat!), sich
Lionardos Thätigkeit vorzustellen, weiß jeder — u. s. w. Dazwischen
schreibt er freilich auch einmal richtige Sätze, wie: die beiden große»
Gedichte bezeichne» erschöpfe»!), »in was es sich handelt — es wird nicht
nötig sei», zu beweisen, welche maßgebende Rolle die Betrachtung der
Phantasiearbeit der Völker hier spielt — sehe mau doch, in welcher macht¬
vollen Weise Goethe heute als historischer Faktor fungirt. Aber weshalb
die eine« richtig, die andern falsch sind, weiß er nicht; er hat keine Ahnung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/102>, abgerufen am 03.05.2024.