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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Das Iuhälterrvesen und die Gesetzgebung
Von einem Richter

ohl selten hat ein Prozeß in der Bevölkerung eine so gewaltige
Erregung hervorgerufen, wie die Schwurgerichtsverhandlung
gegen die Eheleute Heinze wegen Ermordung des Nachtwächters
Brunn. Die schonungslose Offenheit, womit hier gewisse Zu¬
stände der schlimmsten Art besprochen werden mußten, hat viel¬
fach das Bedenken erregt, ob es nicht richtiger gewesen wäre, diese Dinge
hinter geschlossenen Thüren zu verhandeln. Mit Recht aber, wie mir scheint,
hat die öffentliche Meinung, oder doch eine starke Strömung in ihr, dieses
Bedenken zurückgewiesen. Die Öffentlichkeit ist bei dem deutschen Richterstande
nicht eben geschätzt. In dem berechtigten Vollgefühl seiner unbestechlichen Ge¬
wissenhaftigkeit hält er eine Kontrolle durch sie für überflüssig, er sieht nur
die Nachteile, die sie im Gefolge hat (und die gar nicht zu leugnen sind),
und er steht -- im allgemeinen -- dem Eifer, womit das Publikum an
diesem Grundsatz unsers Verfahrens festhält, man kann wohl sagen völlig
verständnislos gegenüber. Ich meine aber, daß gerade der Heinzische Prozeß
so recht geeignet sei, zu Gemüte zu fuhren, welchen unschätzbaren Wert nnter
Umständen die Öffentlichkeit jedenfalls haben kann.

Die Verhältnisse, die in diesem Prozeß zur Sprache gebracht wurde",
sind seit Jahren und Jahrzehnten den Behörden und den Gerichten bekannt.
Ihnen haben jene Verhandlungen nichts gebracht, was sie nicht längst ge¬
wußt hätten. Gleichwohl hat man sich bis jetzt nicht entschließen können,
in nachhaltiger Weise gegen derartige unleidliche Zustande einzuschreiten. Wenn
jetzt endlich die Dinge in Fluß gekommen sind, so ist es klar, daß wir das
allem der Öffentlichkeit zu danken haben, dem Umstände, daß dieser Prozeß
vermöge der ausgedehnten Berichterstattung und vermöge des lebhaften Inter¬
esses, den der Fall an sich erweckte, so zu sagen vor der ganzen Nation ver¬
handelt worden ist. Zwar schien es, als habe man sich auch nach dem Prozeß
eine Zeit lang in den maßgebenden Kreisen zu einem Positiven Vorgehen nicht
entschließen wollen, als habe man geglaubt, mit einer Anweisung ein die
untern Behörden, die bestehenden Gesetze mit aller Strenge anzuwenden, alles




Das Iuhälterrvesen und die Gesetzgebung
Von einem Richter

ohl selten hat ein Prozeß in der Bevölkerung eine so gewaltige
Erregung hervorgerufen, wie die Schwurgerichtsverhandlung
gegen die Eheleute Heinze wegen Ermordung des Nachtwächters
Brunn. Die schonungslose Offenheit, womit hier gewisse Zu¬
stände der schlimmsten Art besprochen werden mußten, hat viel¬
fach das Bedenken erregt, ob es nicht richtiger gewesen wäre, diese Dinge
hinter geschlossenen Thüren zu verhandeln. Mit Recht aber, wie mir scheint,
hat die öffentliche Meinung, oder doch eine starke Strömung in ihr, dieses
Bedenken zurückgewiesen. Die Öffentlichkeit ist bei dem deutschen Richterstande
nicht eben geschätzt. In dem berechtigten Vollgefühl seiner unbestechlichen Ge¬
wissenhaftigkeit hält er eine Kontrolle durch sie für überflüssig, er sieht nur
die Nachteile, die sie im Gefolge hat (und die gar nicht zu leugnen sind),
und er steht — im allgemeinen — dem Eifer, womit das Publikum an
diesem Grundsatz unsers Verfahrens festhält, man kann wohl sagen völlig
verständnislos gegenüber. Ich meine aber, daß gerade der Heinzische Prozeß
so recht geeignet sei, zu Gemüte zu fuhren, welchen unschätzbaren Wert nnter
Umständen die Öffentlichkeit jedenfalls haben kann.

Die Verhältnisse, die in diesem Prozeß zur Sprache gebracht wurde»,
sind seit Jahren und Jahrzehnten den Behörden und den Gerichten bekannt.
Ihnen haben jene Verhandlungen nichts gebracht, was sie nicht längst ge¬
wußt hätten. Gleichwohl hat man sich bis jetzt nicht entschließen können,
in nachhaltiger Weise gegen derartige unleidliche Zustande einzuschreiten. Wenn
jetzt endlich die Dinge in Fluß gekommen sind, so ist es klar, daß wir das
allem der Öffentlichkeit zu danken haben, dem Umstände, daß dieser Prozeß
vermöge der ausgedehnten Berichterstattung und vermöge des lebhaften Inter¬
esses, den der Fall an sich erweckte, so zu sagen vor der ganzen Nation ver¬
handelt worden ist. Zwar schien es, als habe man sich auch nach dem Prozeß
eine Zeit lang in den maßgebenden Kreisen zu einem Positiven Vorgehen nicht
entschließen wollen, als habe man geglaubt, mit einer Anweisung ein die
untern Behörden, die bestehenden Gesetze mit aller Strenge anzuwenden, alles


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/168>, abgerufen am 07.05.2024.