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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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aber fest, daß die Zusammensetzung der Tarifkommission von vornherein keine
Gewähr einer erfolgreichen Wirksamkeit bei ernsthaften Jnteressenstreitigkeiten bot.

Mau wird einwenden, daß sich die Parteien bei Streitigkeiten um Än¬
derungen des Arbeitsvertrages wegen der Person eines unparteiischen Dritten
schwer einigen werden, zumal dann, wenn der Kampf sehr erbittert ge¬
worden ist. Alleii? auch hiergegen spricht die Erfahrung. Selbst der Verlauf
des Buchdruckerstreiks zeigt, daß es nicht schwer gewesen wäre, Personen zu
finden, die das Vertrauen der Arbeitgeber wie der Arbeiter besessen und die
Bürgschaft ihrer Unparteilichkeit und Sachkenntnis geboten hätten. Das Rich¬
tige ist jedenfalls, daß zweckmäßig organisirte Einigungsämter, d. h. solche
unter dem Vorsitze eines Unparteiischen, schon in Friedenszeiten geschaffen
werden. Wenn das geschieht, so ist ohne Zweifel die Möglichkeit gegeben,
daß entstehende Zerwürfnisse rechtzeitig erkannt und beseitigt werden. Einmal
versäumtes läßt sich später mit allem guten Willen und mit aller Mühe oft
nicht nachholen.

Wir glauben, daß die Negierung erwägen sollte, inwieweit die Wirksamkeit
der sozialpolitisch so wichtigen Einrichtung der Einigungsümter durch die Ge¬
setzgebung gefördert werden könnte. Die geltenden Bestimmungen sind ohne
Frage ganz unzureichend. Vor allem halten wir für mangelhaft, daß die
deutsche Gesetzgebung keine Rechtsverbindlichkeit und Vollstreckbarkeit der Schieds¬
sprüche der Einigungsämter kennt. Wir wünschen nicht, daß die Einigungs¬
ämter obligatorisch gemacht werden; wir wollen sie als freiwillige Organe
errichtet wissen, aber wir wollen sie auch mit Befugnissen ausgestattet sehen,
die eine Sicherung des sozialen Friedens gewährleisten.

Wir gehen keineswegs soweit, in den Einigungsämtern das einzige Mittel
zur friedlichen Beilegung von Arbeitsstreitigkeiten zu erblicken. Aber wir sind
der Ansicht, daß ein gut organisirtes Einigungsamt unter Umständen sehr viel
Gutes stiften kann. Deshalb erachten wir es auch für eine wichtige Aufgabe
des Staates, daß er die Entstehung und Wirksamkeit dieser für die Sicherung
des innern Friedens immerhin sehr bedeutungsvollen Organe kräftig fördere
und unterstütze. Das beste Mittel, Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und
Arbeitern zu verhüten, wird nach wie vor freilich darin bestehen, daß die
Arbeitgeber stets von der Bedeutung und Größe ihrer sozialen Aufgaben und
Pflichten durchdrungen sind, opferwillig durch ideelle und materielle Leistungen
für das Wohl ihrer Arbeiter eintreten und namentlich auch rein menschliche
Beziehungen zu ihren Arbeitern anzubahnen und zu pflegen suchen. Dieses
Mittel wird anch den wirksamsten Damm gegen alle Bestrebungen der Sozial-
demvkraüe bilden, die darauf gerichtet sind, ein gutes Verhältnis zwischen
Arbeitgebern und Arbeitern zu stören oder gar zu lösen.




aber fest, daß die Zusammensetzung der Tarifkommission von vornherein keine
Gewähr einer erfolgreichen Wirksamkeit bei ernsthaften Jnteressenstreitigkeiten bot.

Mau wird einwenden, daß sich die Parteien bei Streitigkeiten um Än¬
derungen des Arbeitsvertrages wegen der Person eines unparteiischen Dritten
schwer einigen werden, zumal dann, wenn der Kampf sehr erbittert ge¬
worden ist. Alleii? auch hiergegen spricht die Erfahrung. Selbst der Verlauf
des Buchdruckerstreiks zeigt, daß es nicht schwer gewesen wäre, Personen zu
finden, die das Vertrauen der Arbeitgeber wie der Arbeiter besessen und die
Bürgschaft ihrer Unparteilichkeit und Sachkenntnis geboten hätten. Das Rich¬
tige ist jedenfalls, daß zweckmäßig organisirte Einigungsämter, d. h. solche
unter dem Vorsitze eines Unparteiischen, schon in Friedenszeiten geschaffen
werden. Wenn das geschieht, so ist ohne Zweifel die Möglichkeit gegeben,
daß entstehende Zerwürfnisse rechtzeitig erkannt und beseitigt werden. Einmal
versäumtes läßt sich später mit allem guten Willen und mit aller Mühe oft
nicht nachholen.

Wir glauben, daß die Negierung erwägen sollte, inwieweit die Wirksamkeit
der sozialpolitisch so wichtigen Einrichtung der Einigungsümter durch die Ge¬
setzgebung gefördert werden könnte. Die geltenden Bestimmungen sind ohne
Frage ganz unzureichend. Vor allem halten wir für mangelhaft, daß die
deutsche Gesetzgebung keine Rechtsverbindlichkeit und Vollstreckbarkeit der Schieds¬
sprüche der Einigungsämter kennt. Wir wünschen nicht, daß die Einigungs¬
ämter obligatorisch gemacht werden; wir wollen sie als freiwillige Organe
errichtet wissen, aber wir wollen sie auch mit Befugnissen ausgestattet sehen,
die eine Sicherung des sozialen Friedens gewährleisten.

Wir gehen keineswegs soweit, in den Einigungsämtern das einzige Mittel
zur friedlichen Beilegung von Arbeitsstreitigkeiten zu erblicken. Aber wir sind
der Ansicht, daß ein gut organisirtes Einigungsamt unter Umständen sehr viel
Gutes stiften kann. Deshalb erachten wir es auch für eine wichtige Aufgabe
des Staates, daß er die Entstehung und Wirksamkeit dieser für die Sicherung
des innern Friedens immerhin sehr bedeutungsvollen Organe kräftig fördere
und unterstütze. Das beste Mittel, Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und
Arbeitern zu verhüten, wird nach wie vor freilich darin bestehen, daß die
Arbeitgeber stets von der Bedeutung und Größe ihrer sozialen Aufgaben und
Pflichten durchdrungen sind, opferwillig durch ideelle und materielle Leistungen
für das Wohl ihrer Arbeiter eintreten und namentlich auch rein menschliche
Beziehungen zu ihren Arbeitern anzubahnen und zu pflegen suchen. Dieses
Mittel wird anch den wirksamsten Damm gegen alle Bestrebungen der Sozial-
demvkraüe bilden, die darauf gerichtet sind, ein gutes Verhältnis zwischen
Arbeitgebern und Arbeitern zu stören oder gar zu lösen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/167>, abgerufen am 19.05.2024.