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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Litteratur

Bilder und Bücher aus, die ein halbes Jahr lang der Sonne und dem Staube
ausgesetzt gewesen wären. Ja, hat er denn schon jemals gehört, daß Ausstel¬
lungsgegenstände besser zurückgekommen als abgesandt worden sind? Und von dem
bloßen Anschauen der Büchertitel soll niemand einen Nutzen haben! Falls er
wünschen sollte, daß die Bücher an Ort und Stelle gelesen werden könnten --
dazu würde wohl Rat werden. Nötig ist es aber nicht. Gerade darin besteht,
wie jedermann weiß, eine der größten "Errungenschaften der Jetztzeit," daß wir
uns durch flüchtiges Anschauen der Außenseite der Dinge bilden, dadurch werden
wir den Griechen so auffallend tthulich, die ,,durch Spazierengehen gescheit
wurden." Ist es etwa nicht "wissenschaftlich-instruktiv", wenn wir z. B. Mozarts
Spinell, die Flöte des ersten Tamino, Paganinis Geige, sämtliche Lorbeerkränze
der großen Minim der Gegenwart u. tgi. in imm", Beethovens Haushälterin
und das Wirtshaus, worin Schubert seinen Schoppen zu trinken liebte, wenigstens
im Bilde kennen lernen? Übrigens wird der Ton nicht auf solche Kuriositäten
oder auf Theaterzettel und Kostümbilder gelegt. Vielmehr sollen die dramatische
Dichtung und die dramatische Kunst aller Zeiten und aller Völker durch Auffüh¬
rungen illustrirt werden, desgleichen die Geschichte der Musik; man braucht da¬
her nur den nächsten Frühling und Sommer in Wien zuzubringen, um auf die
bequemste und angenehmste Weise die ganze Entwicklung von den Widderhvrnkon-
zerten der alten Juden, der Tragödie und Komödie der Griechen bis auf Wagner,
Ibsen, Sudermann und Blumenthal, von Roscius bis auf die unvergleichliche Sarah,
Fritz Haase und Emil Thomas gründlich kennen zu lernen. Ein größeres Werk ist
seit dem Eiffelturm nicht unternommen worden, und dafür sollten wohl einige Opfer
gebracht werden!




Litteratur

Karl von Hases Werke, 22. und 23. Halbbcmd, Leipzig, Breitkopf und Härtel, 1891

Der erste dieser beiden Halbbände enthält die von dem großen Kirchenhistv-
riker hinterlassenen "Annalen" seines Lebens. Sie sind von seinem Sohne Karl
Alfred mit einem kurzen, aber lehrreichen Vorworte herausgegeben worden und
bestehen aus Büchern, Tagebnchblättern, Selbstbekenntnissen und kleinern Notizen,
die sich über deu langen Zeitraum von 1830 bis 1890 erstrecken. Der Heraus¬
geber hat das Ganze in drei Teile zerlegt: Jahre des Schaffens 183V bis 1865,
Höhe des Lebens 1866 bis 1380 und das letzte Jahrzehnt 1881 bis 1890.

Seine Jugendgeschichte bis zum dreißigsten Lebensjahre hat Karl von Hase
selbst in den "Idealen und Irrtümern" erzählt; eine Ergänzung dazu liefern seine
"Erinnerungen aus Italien in Briefen an die künftige Geliebte." Die Annalen
bilden gleichsam die Fortsetzung zu seiner Jugendgeschichte, sodaß wir um ein vollstän¬
diges Lebensbild aus Hases eigner Hand besitzen. Der Zusammenhang zwischen den
einzelnen Stücken ist hie und da von dem Herausgeber mit wenigen Worten hergestellt
worden. Am zahlreichsten sind die Reiscbriefe. In ihnen offenbart sich auch am
deutlichsten die tiefe Welt- und Menschenkenntnis des großen Gelehrten, seine Liebe


Litteratur

Bilder und Bücher aus, die ein halbes Jahr lang der Sonne und dem Staube
ausgesetzt gewesen wären. Ja, hat er denn schon jemals gehört, daß Ausstel¬
lungsgegenstände besser zurückgekommen als abgesandt worden sind? Und von dem
bloßen Anschauen der Büchertitel soll niemand einen Nutzen haben! Falls er
wünschen sollte, daß die Bücher an Ort und Stelle gelesen werden könnten —
dazu würde wohl Rat werden. Nötig ist es aber nicht. Gerade darin besteht,
wie jedermann weiß, eine der größten „Errungenschaften der Jetztzeit," daß wir
uns durch flüchtiges Anschauen der Außenseite der Dinge bilden, dadurch werden
wir den Griechen so auffallend tthulich, die ,,durch Spazierengehen gescheit
wurden." Ist es etwa nicht „wissenschaftlich-instruktiv", wenn wir z. B. Mozarts
Spinell, die Flöte des ersten Tamino, Paganinis Geige, sämtliche Lorbeerkränze
der großen Minim der Gegenwart u. tgi. in imm», Beethovens Haushälterin
und das Wirtshaus, worin Schubert seinen Schoppen zu trinken liebte, wenigstens
im Bilde kennen lernen? Übrigens wird der Ton nicht auf solche Kuriositäten
oder auf Theaterzettel und Kostümbilder gelegt. Vielmehr sollen die dramatische
Dichtung und die dramatische Kunst aller Zeiten und aller Völker durch Auffüh¬
rungen illustrirt werden, desgleichen die Geschichte der Musik; man braucht da¬
her nur den nächsten Frühling und Sommer in Wien zuzubringen, um auf die
bequemste und angenehmste Weise die ganze Entwicklung von den Widderhvrnkon-
zerten der alten Juden, der Tragödie und Komödie der Griechen bis auf Wagner,
Ibsen, Sudermann und Blumenthal, von Roscius bis auf die unvergleichliche Sarah,
Fritz Haase und Emil Thomas gründlich kennen zu lernen. Ein größeres Werk ist
seit dem Eiffelturm nicht unternommen worden, und dafür sollten wohl einige Opfer
gebracht werden!




Litteratur

Karl von Hases Werke, 22. und 23. Halbbcmd, Leipzig, Breitkopf und Härtel, 1891

Der erste dieser beiden Halbbände enthält die von dem großen Kirchenhistv-
riker hinterlassenen „Annalen" seines Lebens. Sie sind von seinem Sohne Karl
Alfred mit einem kurzen, aber lehrreichen Vorworte herausgegeben worden und
bestehen aus Büchern, Tagebnchblättern, Selbstbekenntnissen und kleinern Notizen,
die sich über deu langen Zeitraum von 1830 bis 1890 erstrecken. Der Heraus¬
geber hat das Ganze in drei Teile zerlegt: Jahre des Schaffens 183V bis 1865,
Höhe des Lebens 1866 bis 1380 und das letzte Jahrzehnt 1881 bis 1890.

Seine Jugendgeschichte bis zum dreißigsten Lebensjahre hat Karl von Hase
selbst in den „Idealen und Irrtümern" erzählt; eine Ergänzung dazu liefern seine
„Erinnerungen aus Italien in Briefen an die künftige Geliebte." Die Annalen
bilden gleichsam die Fortsetzung zu seiner Jugendgeschichte, sodaß wir um ein vollstän¬
diges Lebensbild aus Hases eigner Hand besitzen. Der Zusammenhang zwischen den
einzelnen Stücken ist hie und da von dem Herausgeber mit wenigen Worten hergestellt
worden. Am zahlreichsten sind die Reiscbriefe. In ihnen offenbart sich auch am
deutlichsten die tiefe Welt- und Menschenkenntnis des großen Gelehrten, seine Liebe


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[0206] Litteratur Bilder und Bücher aus, die ein halbes Jahr lang der Sonne und dem Staube ausgesetzt gewesen wären. Ja, hat er denn schon jemals gehört, daß Ausstel¬ lungsgegenstände besser zurückgekommen als abgesandt worden sind? Und von dem bloßen Anschauen der Büchertitel soll niemand einen Nutzen haben! Falls er wünschen sollte, daß die Bücher an Ort und Stelle gelesen werden könnten — dazu würde wohl Rat werden. Nötig ist es aber nicht. Gerade darin besteht, wie jedermann weiß, eine der größten „Errungenschaften der Jetztzeit," daß wir uns durch flüchtiges Anschauen der Außenseite der Dinge bilden, dadurch werden wir den Griechen so auffallend tthulich, die ,,durch Spazierengehen gescheit wurden." Ist es etwa nicht „wissenschaftlich-instruktiv", wenn wir z. B. Mozarts Spinell, die Flöte des ersten Tamino, Paganinis Geige, sämtliche Lorbeerkränze der großen Minim der Gegenwart u. tgi. in imm», Beethovens Haushälterin und das Wirtshaus, worin Schubert seinen Schoppen zu trinken liebte, wenigstens im Bilde kennen lernen? Übrigens wird der Ton nicht auf solche Kuriositäten oder auf Theaterzettel und Kostümbilder gelegt. Vielmehr sollen die dramatische Dichtung und die dramatische Kunst aller Zeiten und aller Völker durch Auffüh¬ rungen illustrirt werden, desgleichen die Geschichte der Musik; man braucht da¬ her nur den nächsten Frühling und Sommer in Wien zuzubringen, um auf die bequemste und angenehmste Weise die ganze Entwicklung von den Widderhvrnkon- zerten der alten Juden, der Tragödie und Komödie der Griechen bis auf Wagner, Ibsen, Sudermann und Blumenthal, von Roscius bis auf die unvergleichliche Sarah, Fritz Haase und Emil Thomas gründlich kennen zu lernen. Ein größeres Werk ist seit dem Eiffelturm nicht unternommen worden, und dafür sollten wohl einige Opfer gebracht werden! Litteratur Karl von Hases Werke, 22. und 23. Halbbcmd, Leipzig, Breitkopf und Härtel, 1891 Der erste dieser beiden Halbbände enthält die von dem großen Kirchenhistv- riker hinterlassenen „Annalen" seines Lebens. Sie sind von seinem Sohne Karl Alfred mit einem kurzen, aber lehrreichen Vorworte herausgegeben worden und bestehen aus Büchern, Tagebnchblättern, Selbstbekenntnissen und kleinern Notizen, die sich über deu langen Zeitraum von 1830 bis 1890 erstrecken. Der Heraus¬ geber hat das Ganze in drei Teile zerlegt: Jahre des Schaffens 183V bis 1865, Höhe des Lebens 1866 bis 1380 und das letzte Jahrzehnt 1881 bis 1890. Seine Jugendgeschichte bis zum dreißigsten Lebensjahre hat Karl von Hase selbst in den „Idealen und Irrtümern" erzählt; eine Ergänzung dazu liefern seine „Erinnerungen aus Italien in Briefen an die künftige Geliebte." Die Annalen bilden gleichsam die Fortsetzung zu seiner Jugendgeschichte, sodaß wir um ein vollstän¬ diges Lebensbild aus Hases eigner Hand besitzen. Der Zusammenhang zwischen den einzelnen Stücken ist hie und da von dem Herausgeber mit wenigen Worten hergestellt worden. Am zahlreichsten sind die Reiscbriefe. In ihnen offenbart sich auch am deutlichsten die tiefe Welt- und Menschenkenntnis des großen Gelehrten, seine Liebe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/206>, abgerufen am 06.05.2024.