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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Wandlungen in unserm höhern Schulwesen
Ein Rückblick als Wegweiser für die Zukunft

in gegenwärtige Bewegung für eine Schulreform, die langsam
auch schon an die Universitäten, die konservativsten aller Insti¬
tutionen, hinantritt, beruht gewiß nicht nur aus der Unzufrieden¬
heit mancher Kreise mit manchen Einzelheiten der bestehenden
Verhältnisse, sondern im tiefsten Grunde auf einer Veränderung
der Weltanschauung und also auch des Bildungsideals. Daß nun jede Zeit
das Recht hat, nach diesem Ideal ihr Unterrichtswesen zu gestalten, ist an
sich ein selbstverständlicher Satz, der um so weniger bewiesen zu werde" braucht,
als jede Zeit nach ihm gehandelt hat. Aber andrerseits hat sich eine wirklich
probehaltige Umgestaltung dieser Art jeder Zeit gehütet, mit dem Bestehenden
zu brechen, vielmehr sind die Grundlagen der höhern Bildung mit erstaun¬
licher Zähigkeit festgehalten worden; sast nur das Verhältnis der Bildungs¬
stoffe zu einander und ihre Behandlung hat sich geändert, und immer nur
langsamen Schrittes ist die Schule den Strömungen der Zeit gefolgt. Aber
sie ist gefolgt, und gewiß, "die Entwicklung der Gesellschaft stellt sich schwerlich
an einem Punkte greifbarer dar, als in der jedesmaligen Stellung der ge¬
lehrten Schulen zu der Gliederung der Gesellschaft," also überhaupt zur Knltur-
entwicklmig. Im Hinblick auf die gegenwärtige Bewegung wird es daher
nicht uninteressant sein, einmal in kurzen Zügen vorzuführen, in wie engem
Zusammenhange von den ältesten Zeiten an in Deutschland Schule und Kultur
zu einander gestanden haben. So wird sich einerseits manches in der Schul-
reformbewegung besser erklären, andrerseits sich auch manche ernste Warnung
ergebe", und zwar nach beiden Seiten hin.

Von einer Schule kaun in Deutschland erst von der Zeit an gesprochen
werden, wo die deutschen Stämme dem Christentnme gewonnen waren; vor¬
her gab es nur eine häusliche Erziehung, keine Schule. Nun schied sich seit¬
dem die deutsche Gesellschaft des frühern Mittelalters immer schärfer in drei
Stunde, die allerdings nichts weniger als kastenmäßig abgeschlossen waren, in
den Wehrstand, das ist der Adel oder später die Ritterschaft, den Nährstand.




Wandlungen in unserm höhern Schulwesen
Ein Rückblick als Wegweiser für die Zukunft

in gegenwärtige Bewegung für eine Schulreform, die langsam
auch schon an die Universitäten, die konservativsten aller Insti¬
tutionen, hinantritt, beruht gewiß nicht nur aus der Unzufrieden¬
heit mancher Kreise mit manchen Einzelheiten der bestehenden
Verhältnisse, sondern im tiefsten Grunde auf einer Veränderung
der Weltanschauung und also auch des Bildungsideals. Daß nun jede Zeit
das Recht hat, nach diesem Ideal ihr Unterrichtswesen zu gestalten, ist an
sich ein selbstverständlicher Satz, der um so weniger bewiesen zu werde» braucht,
als jede Zeit nach ihm gehandelt hat. Aber andrerseits hat sich eine wirklich
probehaltige Umgestaltung dieser Art jeder Zeit gehütet, mit dem Bestehenden
zu brechen, vielmehr sind die Grundlagen der höhern Bildung mit erstaun¬
licher Zähigkeit festgehalten worden; sast nur das Verhältnis der Bildungs¬
stoffe zu einander und ihre Behandlung hat sich geändert, und immer nur
langsamen Schrittes ist die Schule den Strömungen der Zeit gefolgt. Aber
sie ist gefolgt, und gewiß, „die Entwicklung der Gesellschaft stellt sich schwerlich
an einem Punkte greifbarer dar, als in der jedesmaligen Stellung der ge¬
lehrten Schulen zu der Gliederung der Gesellschaft," also überhaupt zur Knltur-
entwicklmig. Im Hinblick auf die gegenwärtige Bewegung wird es daher
nicht uninteressant sein, einmal in kurzen Zügen vorzuführen, in wie engem
Zusammenhange von den ältesten Zeiten an in Deutschland Schule und Kultur
zu einander gestanden haben. So wird sich einerseits manches in der Schul-
reformbewegung besser erklären, andrerseits sich auch manche ernste Warnung
ergebe», und zwar nach beiden Seiten hin.

Von einer Schule kaun in Deutschland erst von der Zeit an gesprochen
werden, wo die deutschen Stämme dem Christentnme gewonnen waren; vor¬
her gab es nur eine häusliche Erziehung, keine Schule. Nun schied sich seit¬
dem die deutsche Gesellschaft des frühern Mittelalters immer schärfer in drei
Stunde, die allerdings nichts weniger als kastenmäßig abgeschlossen waren, in
den Wehrstand, das ist der Adel oder später die Ritterschaft, den Nährstand.


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[0286] [Abbildung] Wandlungen in unserm höhern Schulwesen Ein Rückblick als Wegweiser für die Zukunft in gegenwärtige Bewegung für eine Schulreform, die langsam auch schon an die Universitäten, die konservativsten aller Insti¬ tutionen, hinantritt, beruht gewiß nicht nur aus der Unzufrieden¬ heit mancher Kreise mit manchen Einzelheiten der bestehenden Verhältnisse, sondern im tiefsten Grunde auf einer Veränderung der Weltanschauung und also auch des Bildungsideals. Daß nun jede Zeit das Recht hat, nach diesem Ideal ihr Unterrichtswesen zu gestalten, ist an sich ein selbstverständlicher Satz, der um so weniger bewiesen zu werde» braucht, als jede Zeit nach ihm gehandelt hat. Aber andrerseits hat sich eine wirklich probehaltige Umgestaltung dieser Art jeder Zeit gehütet, mit dem Bestehenden zu brechen, vielmehr sind die Grundlagen der höhern Bildung mit erstaun¬ licher Zähigkeit festgehalten worden; sast nur das Verhältnis der Bildungs¬ stoffe zu einander und ihre Behandlung hat sich geändert, und immer nur langsamen Schrittes ist die Schule den Strömungen der Zeit gefolgt. Aber sie ist gefolgt, und gewiß, „die Entwicklung der Gesellschaft stellt sich schwerlich an einem Punkte greifbarer dar, als in der jedesmaligen Stellung der ge¬ lehrten Schulen zu der Gliederung der Gesellschaft," also überhaupt zur Knltur- entwicklmig. Im Hinblick auf die gegenwärtige Bewegung wird es daher nicht uninteressant sein, einmal in kurzen Zügen vorzuführen, in wie engem Zusammenhange von den ältesten Zeiten an in Deutschland Schule und Kultur zu einander gestanden haben. So wird sich einerseits manches in der Schul- reformbewegung besser erklären, andrerseits sich auch manche ernste Warnung ergebe», und zwar nach beiden Seiten hin. Von einer Schule kaun in Deutschland erst von der Zeit an gesprochen werden, wo die deutschen Stämme dem Christentnme gewonnen waren; vor¬ her gab es nur eine häusliche Erziehung, keine Schule. Nun schied sich seit¬ dem die deutsche Gesellschaft des frühern Mittelalters immer schärfer in drei Stunde, die allerdings nichts weniger als kastenmäßig abgeschlossen waren, in den Wehrstand, das ist der Adel oder später die Ritterschaft, den Nährstand.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/286>, abgerufen am 07.05.2024.