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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Wandlungen i" unsern" höhern Schulwesen

die Bauern, und den Lehrstnnd, die Geistlichkeit, die übrigens, obwohl sie
geschichtlich der jüngste Stand war, doch in dieser Gliederung die erste Stellung
einnahm. Der Staat wurde ausschließlich vom Adel und von der Geistlich¬
keit, also auch im Interesse beider regiert. Die Bauern nahmen an ihm einen
thätigen Anteil nnr in den immer seltneren Fällen, wo sie zum Laudesschutze
aufgeboten wurden; aber obwohl sie ihre alte Geineinfreiheit fast überall ein¬
gebüßt hatten und meist unter den Schutz mächtiger Grundherren getreten
waren, so standen sie doch in diesen sehr verschiedenartigen Abhängigkeitsvcr-
Hältnissen unter dem sichern Schutze der kirchlichen und adligen Hofrechte,
hatten an der Verwaltung ihrer eignen Angelegenheiten einen sehr wesentlichen
Anteil und entwickelten eine wirtschaftliche Kraft, der Deutschland die Grund¬
lagen seiner materielle" Kultur und die östliche Hälfte seines gegenwärtigen
Nntionalgebiets verdankt. Es war eine durchaus gesunde, einfache gesellschaft¬
liche Gliederung, wie sie den wirtschaftlichen Verhältnissen eines Zeitalters
reiner, fast verkehrloser Naturalwirtschaft entsprach.

Für Adel und Bauernstand gab es daher auch jetzt noch nur eine häus¬
liche Erziehung, keine Schule. Was der junge Sohn des Edelhofes und des
Bauernhauses, die sich beide in ihren Daseinsformen wenig unterschieden, an
Bildungsstufen in sich aufnahm, das war fast ausschließlich auf heimischem
Boden gewachsen. Die stark germanisirten Vorstellungen und Glaubenslehren
der Kirche, die volkstümlichen Sagen, die fahrende Spielleute von Hof zu Hof
trugen, und eine geringe Anzahl von Rechtsbegriffen und Rechtsformeln, die
er bei den gerichtlichen Verhandlungen als Beamter oder als Schöffe nicht
entbehren konnte, das alles wurde ihm gelegentlich und mündlich vermittelt.
Die Kenntnis der Schrift gehörte also keineswegs zu den Bildungsbedürfnissen
des Mannes, denn was er fürs Leben brauchte, das war die Wehrhaftigkeit
in Wort und Waffen.

Anders die Kirche. Sie war nur ein Glied der allgemeinen Kirche, stand
also mitten in einem großen Zusammenhange, in einem zwar schwerfälligen,
aber sehr lebhaften Verkehr mit Italien und Frankreich. Diese allgemeine
abendländische Kirche aber betrachtete Rom als ihre Hauptstadt, sie sprach
lateinisch, sie lebte als Körperschaft nach römischem Rechte, nicht nach dem
sehr verschiednen Rechte der Landschaften, sie war die Erbin der lateinischen
Litteratur, der christlichen wie der antiken. Also konnte sich die deutsche Geist¬
lichkeit nicht mit den heimischen Bildungsstoffen begnügen, die sie vielmehr
grundsätzlich ablehnte, weil sie im tiefsten Grnnde heidnisch waren, sie mußte
ihrem Nachwuchs eine lateinische Bildung geben. So wurde die deutsche
Schule eine Stiftung der römischen Kirche im Anschluß an die Klöster, die
Dom- und Kollegiatstifter, ausschließlich auf die Heranbildung der künftigen
Geistlichen berechnet und eine lateinische Bildungsstätte. Als Ziel des Unter¬
richts hielt sie zweierlei fest: die möglichste Beherrschung der lateinischen


Wandlungen i» unsern» höhern Schulwesen

die Bauern, und den Lehrstnnd, die Geistlichkeit, die übrigens, obwohl sie
geschichtlich der jüngste Stand war, doch in dieser Gliederung die erste Stellung
einnahm. Der Staat wurde ausschließlich vom Adel und von der Geistlich¬
keit, also auch im Interesse beider regiert. Die Bauern nahmen an ihm einen
thätigen Anteil nnr in den immer seltneren Fällen, wo sie zum Laudesschutze
aufgeboten wurden; aber obwohl sie ihre alte Geineinfreiheit fast überall ein¬
gebüßt hatten und meist unter den Schutz mächtiger Grundherren getreten
waren, so standen sie doch in diesen sehr verschiedenartigen Abhängigkeitsvcr-
Hältnissen unter dem sichern Schutze der kirchlichen und adligen Hofrechte,
hatten an der Verwaltung ihrer eignen Angelegenheiten einen sehr wesentlichen
Anteil und entwickelten eine wirtschaftliche Kraft, der Deutschland die Grund¬
lagen seiner materielle» Kultur und die östliche Hälfte seines gegenwärtigen
Nntionalgebiets verdankt. Es war eine durchaus gesunde, einfache gesellschaft¬
liche Gliederung, wie sie den wirtschaftlichen Verhältnissen eines Zeitalters
reiner, fast verkehrloser Naturalwirtschaft entsprach.

Für Adel und Bauernstand gab es daher auch jetzt noch nur eine häus¬
liche Erziehung, keine Schule. Was der junge Sohn des Edelhofes und des
Bauernhauses, die sich beide in ihren Daseinsformen wenig unterschieden, an
Bildungsstufen in sich aufnahm, das war fast ausschließlich auf heimischem
Boden gewachsen. Die stark germanisirten Vorstellungen und Glaubenslehren
der Kirche, die volkstümlichen Sagen, die fahrende Spielleute von Hof zu Hof
trugen, und eine geringe Anzahl von Rechtsbegriffen und Rechtsformeln, die
er bei den gerichtlichen Verhandlungen als Beamter oder als Schöffe nicht
entbehren konnte, das alles wurde ihm gelegentlich und mündlich vermittelt.
Die Kenntnis der Schrift gehörte also keineswegs zu den Bildungsbedürfnissen
des Mannes, denn was er fürs Leben brauchte, das war die Wehrhaftigkeit
in Wort und Waffen.

Anders die Kirche. Sie war nur ein Glied der allgemeinen Kirche, stand
also mitten in einem großen Zusammenhange, in einem zwar schwerfälligen,
aber sehr lebhaften Verkehr mit Italien und Frankreich. Diese allgemeine
abendländische Kirche aber betrachtete Rom als ihre Hauptstadt, sie sprach
lateinisch, sie lebte als Körperschaft nach römischem Rechte, nicht nach dem
sehr verschiednen Rechte der Landschaften, sie war die Erbin der lateinischen
Litteratur, der christlichen wie der antiken. Also konnte sich die deutsche Geist¬
lichkeit nicht mit den heimischen Bildungsstoffen begnügen, die sie vielmehr
grundsätzlich ablehnte, weil sie im tiefsten Grnnde heidnisch waren, sie mußte
ihrem Nachwuchs eine lateinische Bildung geben. So wurde die deutsche
Schule eine Stiftung der römischen Kirche im Anschluß an die Klöster, die
Dom- und Kollegiatstifter, ausschließlich auf die Heranbildung der künftigen
Geistlichen berechnet und eine lateinische Bildungsstätte. Als Ziel des Unter¬
richts hielt sie zweierlei fest: die möglichste Beherrschung der lateinischen


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[0287] Wandlungen i» unsern» höhern Schulwesen die Bauern, und den Lehrstnnd, die Geistlichkeit, die übrigens, obwohl sie geschichtlich der jüngste Stand war, doch in dieser Gliederung die erste Stellung einnahm. Der Staat wurde ausschließlich vom Adel und von der Geistlich¬ keit, also auch im Interesse beider regiert. Die Bauern nahmen an ihm einen thätigen Anteil nnr in den immer seltneren Fällen, wo sie zum Laudesschutze aufgeboten wurden; aber obwohl sie ihre alte Geineinfreiheit fast überall ein¬ gebüßt hatten und meist unter den Schutz mächtiger Grundherren getreten waren, so standen sie doch in diesen sehr verschiedenartigen Abhängigkeitsvcr- Hältnissen unter dem sichern Schutze der kirchlichen und adligen Hofrechte, hatten an der Verwaltung ihrer eignen Angelegenheiten einen sehr wesentlichen Anteil und entwickelten eine wirtschaftliche Kraft, der Deutschland die Grund¬ lagen seiner materielle» Kultur und die östliche Hälfte seines gegenwärtigen Nntionalgebiets verdankt. Es war eine durchaus gesunde, einfache gesellschaft¬ liche Gliederung, wie sie den wirtschaftlichen Verhältnissen eines Zeitalters reiner, fast verkehrloser Naturalwirtschaft entsprach. Für Adel und Bauernstand gab es daher auch jetzt noch nur eine häus¬ liche Erziehung, keine Schule. Was der junge Sohn des Edelhofes und des Bauernhauses, die sich beide in ihren Daseinsformen wenig unterschieden, an Bildungsstufen in sich aufnahm, das war fast ausschließlich auf heimischem Boden gewachsen. Die stark germanisirten Vorstellungen und Glaubenslehren der Kirche, die volkstümlichen Sagen, die fahrende Spielleute von Hof zu Hof trugen, und eine geringe Anzahl von Rechtsbegriffen und Rechtsformeln, die er bei den gerichtlichen Verhandlungen als Beamter oder als Schöffe nicht entbehren konnte, das alles wurde ihm gelegentlich und mündlich vermittelt. Die Kenntnis der Schrift gehörte also keineswegs zu den Bildungsbedürfnissen des Mannes, denn was er fürs Leben brauchte, das war die Wehrhaftigkeit in Wort und Waffen. Anders die Kirche. Sie war nur ein Glied der allgemeinen Kirche, stand also mitten in einem großen Zusammenhange, in einem zwar schwerfälligen, aber sehr lebhaften Verkehr mit Italien und Frankreich. Diese allgemeine abendländische Kirche aber betrachtete Rom als ihre Hauptstadt, sie sprach lateinisch, sie lebte als Körperschaft nach römischem Rechte, nicht nach dem sehr verschiednen Rechte der Landschaften, sie war die Erbin der lateinischen Litteratur, der christlichen wie der antiken. Also konnte sich die deutsche Geist¬ lichkeit nicht mit den heimischen Bildungsstoffen begnügen, die sie vielmehr grundsätzlich ablehnte, weil sie im tiefsten Grnnde heidnisch waren, sie mußte ihrem Nachwuchs eine lateinische Bildung geben. So wurde die deutsche Schule eine Stiftung der römischen Kirche im Anschluß an die Klöster, die Dom- und Kollegiatstifter, ausschließlich auf die Heranbildung der künftigen Geistlichen berechnet und eine lateinische Bildungsstätte. Als Ziel des Unter¬ richts hielt sie zweierlei fest: die möglichste Beherrschung der lateinischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/287>, abgerufen am 19.05.2024.