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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Hermann Grimm vollkommen überzeugend aus dem Handbuch des christlichen
Ritters von Erasmus abgeleitet hatte. Springer schließt sich dieser Deutung
jetzt an, während er früher mehr im allgemeinen an die damals gebräuchlichen
Totentanzbilder erinnert hatte. Was Dürer hier vorgeschwebt hat, ist gewisser¬
maßen eine Umkehrung der Tvtentauzidee. Nicht die Macht des Todes über
deu Menschen soll geschildert werden, sondern die Macht des Menschen über
Tod und Teufel und Welt, die der christliche Glaube verleiht.

(Schluß folgt)




Joseph Joachim der Vauerndichter

le deutsche Dorfgeschichte, die in unserm Jahrhundert so reiche
Pflege und so hohe Ausbildung erfahren hat, ist ursprünglich
das Werk der Bildung. Berthold Auerbach war kein Bauer,
er kam auf Umwegen, nachdem er schon seinen Spinoza in sich
aufgenommen hatte, zur Dorfgeschichte. Er erfaßte in ihr zu¬
nächst den Gegensatz von Stadt und Land. Auch Jeremias Gotthelf, Anzen-
grnber und Rosegger waren sämtlich keine Bauern. Gotthelf war ein gelehrter
Pfarrer, Anzengrnber ein erfolgloser Schauspieler und sehr seßhafter Städter.
Rosegger stammt allerdings aus dem Bauernhause, aber er war seines Zeichens
ein Schueiderlein, ehe er in die Stadt kam und zu studiren anfing, und jetzt
ist er Schriftsteller, ja sogar Redakteur; sein Verhältnis zum Vaucruvvlk ist ein
wesentlich ästhetisches. Und die andern Dorfgeschichtschreiber: Joseph Rank,
Hermann von Schmidt, Maximilian Schmidt, Ludwig Ganghofer und wie sie
alle heißen, find sämtlich keine Bauern, sondern lauter "studirte Herren," die
sich, von außen kommend, ins Bauerntum eingelebt und daraus soviel poeti¬
sches Kapital geschlagen haben, als sie konnten. Der Schöpfer der schönsten
Dorfgeschichte, "Romeo und Julia auf dem Dorfe", war Staatsschreiber
von Zürich, und die Dichterin der Dorf- und Schloßgeschichten, Marie Ebner
stammt aus einer alten Gutsbesitzerfamilie, von deu Grafen Dnbskh auf Zdis-
lavic in Mähren. Kurz, wo man hinsieht im ganzen Bereich der Dorf¬
geschichtenpoesie, tritt uns kein Bauer als Dvrsgeschichteuschreiber entgegen
(auch in der ausländischen Litteratur nicht: Björnson, Turgenjew waren keine
Bauern und haben doch die berühmtesten Dorfgeschichten geschrieben). Dichter,
zumal Liederdichter, sind allerdings auch in unserm Jahrhundert aus dem
Bauernstand aufgetreten, aber keine Sittenmaler des Dorfes. Und das läßt
sich recht wohl erklären. Wer das Dorf als Dorf, den Bauer als Bauer


Hermann Grimm vollkommen überzeugend aus dem Handbuch des christlichen
Ritters von Erasmus abgeleitet hatte. Springer schließt sich dieser Deutung
jetzt an, während er früher mehr im allgemeinen an die damals gebräuchlichen
Totentanzbilder erinnert hatte. Was Dürer hier vorgeschwebt hat, ist gewisser¬
maßen eine Umkehrung der Tvtentauzidee. Nicht die Macht des Todes über
deu Menschen soll geschildert werden, sondern die Macht des Menschen über
Tod und Teufel und Welt, die der christliche Glaube verleiht.

(Schluß folgt)




Joseph Joachim der Vauerndichter

le deutsche Dorfgeschichte, die in unserm Jahrhundert so reiche
Pflege und so hohe Ausbildung erfahren hat, ist ursprünglich
das Werk der Bildung. Berthold Auerbach war kein Bauer,
er kam auf Umwegen, nachdem er schon seinen Spinoza in sich
aufgenommen hatte, zur Dorfgeschichte. Er erfaßte in ihr zu¬
nächst den Gegensatz von Stadt und Land. Auch Jeremias Gotthelf, Anzen-
grnber und Rosegger waren sämtlich keine Bauern. Gotthelf war ein gelehrter
Pfarrer, Anzengrnber ein erfolgloser Schauspieler und sehr seßhafter Städter.
Rosegger stammt allerdings aus dem Bauernhause, aber er war seines Zeichens
ein Schueiderlein, ehe er in die Stadt kam und zu studiren anfing, und jetzt
ist er Schriftsteller, ja sogar Redakteur; sein Verhältnis zum Vaucruvvlk ist ein
wesentlich ästhetisches. Und die andern Dorfgeschichtschreiber: Joseph Rank,
Hermann von Schmidt, Maximilian Schmidt, Ludwig Ganghofer und wie sie
alle heißen, find sämtlich keine Bauern, sondern lauter „studirte Herren," die
sich, von außen kommend, ins Bauerntum eingelebt und daraus soviel poeti¬
sches Kapital geschlagen haben, als sie konnten. Der Schöpfer der schönsten
Dorfgeschichte, „Romeo und Julia auf dem Dorfe", war Staatsschreiber
von Zürich, und die Dichterin der Dorf- und Schloßgeschichten, Marie Ebner
stammt aus einer alten Gutsbesitzerfamilie, von deu Grafen Dnbskh auf Zdis-
lavic in Mähren. Kurz, wo man hinsieht im ganzen Bereich der Dorf¬
geschichtenpoesie, tritt uns kein Bauer als Dvrsgeschichteuschreiber entgegen
(auch in der ausländischen Litteratur nicht: Björnson, Turgenjew waren keine
Bauern und haben doch die berühmtesten Dorfgeschichten geschrieben). Dichter,
zumal Liederdichter, sind allerdings auch in unserm Jahrhundert aus dem
Bauernstand aufgetreten, aber keine Sittenmaler des Dorfes. Und das läßt
sich recht wohl erklären. Wer das Dorf als Dorf, den Bauer als Bauer


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[0349] Hermann Grimm vollkommen überzeugend aus dem Handbuch des christlichen Ritters von Erasmus abgeleitet hatte. Springer schließt sich dieser Deutung jetzt an, während er früher mehr im allgemeinen an die damals gebräuchlichen Totentanzbilder erinnert hatte. Was Dürer hier vorgeschwebt hat, ist gewisser¬ maßen eine Umkehrung der Tvtentauzidee. Nicht die Macht des Todes über deu Menschen soll geschildert werden, sondern die Macht des Menschen über Tod und Teufel und Welt, die der christliche Glaube verleiht. (Schluß folgt) Joseph Joachim der Vauerndichter le deutsche Dorfgeschichte, die in unserm Jahrhundert so reiche Pflege und so hohe Ausbildung erfahren hat, ist ursprünglich das Werk der Bildung. Berthold Auerbach war kein Bauer, er kam auf Umwegen, nachdem er schon seinen Spinoza in sich aufgenommen hatte, zur Dorfgeschichte. Er erfaßte in ihr zu¬ nächst den Gegensatz von Stadt und Land. Auch Jeremias Gotthelf, Anzen- grnber und Rosegger waren sämtlich keine Bauern. Gotthelf war ein gelehrter Pfarrer, Anzengrnber ein erfolgloser Schauspieler und sehr seßhafter Städter. Rosegger stammt allerdings aus dem Bauernhause, aber er war seines Zeichens ein Schueiderlein, ehe er in die Stadt kam und zu studiren anfing, und jetzt ist er Schriftsteller, ja sogar Redakteur; sein Verhältnis zum Vaucruvvlk ist ein wesentlich ästhetisches. Und die andern Dorfgeschichtschreiber: Joseph Rank, Hermann von Schmidt, Maximilian Schmidt, Ludwig Ganghofer und wie sie alle heißen, find sämtlich keine Bauern, sondern lauter „studirte Herren," die sich, von außen kommend, ins Bauerntum eingelebt und daraus soviel poeti¬ sches Kapital geschlagen haben, als sie konnten. Der Schöpfer der schönsten Dorfgeschichte, „Romeo und Julia auf dem Dorfe", war Staatsschreiber von Zürich, und die Dichterin der Dorf- und Schloßgeschichten, Marie Ebner stammt aus einer alten Gutsbesitzerfamilie, von deu Grafen Dnbskh auf Zdis- lavic in Mähren. Kurz, wo man hinsieht im ganzen Bereich der Dorf¬ geschichtenpoesie, tritt uns kein Bauer als Dvrsgeschichteuschreiber entgegen (auch in der ausländischen Litteratur nicht: Björnson, Turgenjew waren keine Bauern und haben doch die berühmtesten Dorfgeschichten geschrieben). Dichter, zumal Liederdichter, sind allerdings auch in unserm Jahrhundert aus dem Bauernstand aufgetreten, aber keine Sittenmaler des Dorfes. Und das läßt sich recht wohl erklären. Wer das Dorf als Dorf, den Bauer als Bauer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/349>, abgerufen am 06.05.2024.