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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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erfassen will, der muß mehr Leute und andre Stände als die Bauern kennen,
der muß aus dem engen Dorfe hinaus in die weite Welt gekommen sein.
Wer sich einmal so objektiv zum Bauerntum gestellt hat, daß er es in seiner
Beschränktheit erfaßt hat, der ist innerlich kein Bauer mehr und wird zu dem
harten und schweren Berufe und in die empfindliche Enge des Bauernlebens
nicht mehr zurückkehren können. Ergänzt doch der Bauernstand, wenn er es
einmal zu einiger Wohlhabenheit gebracht hat, seit den ältesten Zeiten die vor¬
nehmern Stunde des Klerus und der Staatsbeamten, ist doch sein Ehrgeiz
geradezu eine seiner typischen Eigenschaften.

Wenn wir nnn in der neuesten Litteratur auf eine" Mann stoßen, der sich
als ein Ebenbürtiger an die Seite der Besten stellen darf, die je Dorfgeschichten
geschrieben haben, an die Seite Gotthclfs, Anzengrubers und Roseggcrs,
und der dabei in voller Wirklichkeit ein Bauer geblieben ist, ein Mann, der
den Pflug nicht ans der Hand gestellt hat, auch nachdem er kunstvoll mit
der Feder hatte schaffen lernen, so dürfen wir billig über den seltsamen Bauer
verwundert sein, und es ist wohl gerechtfertigt, wenn wir ihn uns etwas
näher betrachten. Joseph Joachim heißt dieser seltne Bauersmann, von dem
im vorigen Jahre in rascher Folge mehrere Bücher^) erschienen sind, darunter
eines ("Die Brüder"), das ganz besondre Aufmerksamkeit verdient.

Zu Hause ist Joachim in der Schweiz, und da im Kürschnerischeu Aller-
weltskaleuder nicht einmal sein Name angeführt ist, so geben wir einige bio¬
graphische Mitteilungen über ihn. Er wurde als das jüngste von sechs Ge¬
schwistern in Kesteuholz, einem freundlichen Bauerndorfe des solothnrnischeu
Buchsgnus, am 4. April Z835 geboren. "In der Anfangsschulc -- schreibt
er selbst -- verriet der an einem Augenübel leidende Knabe nur wenig Talent;
desto rascher und kräftiger begann er sich in der damals noch sehr primitiv
gestalteten Sekundärschule (Neuendorf), die gleichzeitig auch von dem nach¬
maligen Lehrer und Volksdichter Bernhard Wyß, dem frühverstorbnen Maler
B. Studer und andern wohlbegabter Knaben besticht wurde, zu entwickeln.
Allzugerne wäre der wissensdurstige Knabe "studiren gegangen," allein das
eben wollte sein Vater, ein eingefleischter und jedem "Herrentum" abholder
Bauersmann, nicht zugeben. Nachdem ihm noch gestattet worden, ein Jährchen
"Welschlcind" zu genießen, worden dem angehenden Jünglinge, anstatt der
Feder und des Schulbuches, Hacke, Dreschflegel und Pflugsterze in die
Hand gegeben, und ihm die Aufgabe gestellt, als angehender Landwirt gegen
die anbrechenden schlechten Zeiten anzukämpfen. Er verbauerte vollständig,



*) Loiniy, die Heimatlose. Erzählung aus dem schweizerischen Kultur- und Volks-
leben in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts von Joseph Joachim. Basel, Schwabe, 138!)-
-- Erzwungene Sachen, Novelle. Ebenda, 1890. -- Die Brüder. Eine Volksgeschichte
in zwei Büchern, 2 Bde. Ebenda, 1891. - Fünfzig Jahre auf dem Erlen Hofe.
Erzählung. Ebenda, 1891.

erfassen will, der muß mehr Leute und andre Stände als die Bauern kennen,
der muß aus dem engen Dorfe hinaus in die weite Welt gekommen sein.
Wer sich einmal so objektiv zum Bauerntum gestellt hat, daß er es in seiner
Beschränktheit erfaßt hat, der ist innerlich kein Bauer mehr und wird zu dem
harten und schweren Berufe und in die empfindliche Enge des Bauernlebens
nicht mehr zurückkehren können. Ergänzt doch der Bauernstand, wenn er es
einmal zu einiger Wohlhabenheit gebracht hat, seit den ältesten Zeiten die vor¬
nehmern Stunde des Klerus und der Staatsbeamten, ist doch sein Ehrgeiz
geradezu eine seiner typischen Eigenschaften.

Wenn wir nnn in der neuesten Litteratur auf eine» Mann stoßen, der sich
als ein Ebenbürtiger an die Seite der Besten stellen darf, die je Dorfgeschichten
geschrieben haben, an die Seite Gotthclfs, Anzengrubers und Roseggcrs,
und der dabei in voller Wirklichkeit ein Bauer geblieben ist, ein Mann, der
den Pflug nicht ans der Hand gestellt hat, auch nachdem er kunstvoll mit
der Feder hatte schaffen lernen, so dürfen wir billig über den seltsamen Bauer
verwundert sein, und es ist wohl gerechtfertigt, wenn wir ihn uns etwas
näher betrachten. Joseph Joachim heißt dieser seltne Bauersmann, von dem
im vorigen Jahre in rascher Folge mehrere Bücher^) erschienen sind, darunter
eines („Die Brüder"), das ganz besondre Aufmerksamkeit verdient.

Zu Hause ist Joachim in der Schweiz, und da im Kürschnerischeu Aller-
weltskaleuder nicht einmal sein Name angeführt ist, so geben wir einige bio¬
graphische Mitteilungen über ihn. Er wurde als das jüngste von sechs Ge¬
schwistern in Kesteuholz, einem freundlichen Bauerndorfe des solothnrnischeu
Buchsgnus, am 4. April Z835 geboren. „In der Anfangsschulc — schreibt
er selbst — verriet der an einem Augenübel leidende Knabe nur wenig Talent;
desto rascher und kräftiger begann er sich in der damals noch sehr primitiv
gestalteten Sekundärschule (Neuendorf), die gleichzeitig auch von dem nach¬
maligen Lehrer und Volksdichter Bernhard Wyß, dem frühverstorbnen Maler
B. Studer und andern wohlbegabter Knaben besticht wurde, zu entwickeln.
Allzugerne wäre der wissensdurstige Knabe »studiren gegangen,« allein das
eben wollte sein Vater, ein eingefleischter und jedem »Herrentum« abholder
Bauersmann, nicht zugeben. Nachdem ihm noch gestattet worden, ein Jährchen
»Welschlcind« zu genießen, worden dem angehenden Jünglinge, anstatt der
Feder und des Schulbuches, Hacke, Dreschflegel und Pflugsterze in die
Hand gegeben, und ihm die Aufgabe gestellt, als angehender Landwirt gegen
die anbrechenden schlechten Zeiten anzukämpfen. Er verbauerte vollständig,



*) Loiniy, die Heimatlose. Erzählung aus dem schweizerischen Kultur- und Volks-
leben in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts von Joseph Joachim. Basel, Schwabe, 138!)-
— Erzwungene Sachen, Novelle. Ebenda, 1890. — Die Brüder. Eine Volksgeschichte
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/350>, abgerufen am 28.05.2024.