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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Das Verhältnis der Sittlichkeit zu Christentum, Staat und Airche

schwere Schädigung der letzter" erachtet werden. Die wissenschaftliche Er¬
hebung der Techniker hat schlimmere Hemmnisse als dieses überwunden, aber
wissen sollte man an den entscheidenden Stellen, daß man in den Kreisen der
technischen Hochschulen jede Rückverweisnng in glücklich überwundne oder doch
beinahe überwundne Zustände als einen Schlag empfindet und mit Über¬
zeugung und Energie gegen jede Rückschicbung ankämpfen wird. Natürlich fehlt
es auch an deu technischen Hochschulen selbst nicht an einzelnen Heißspornen
der Neformschule, die es in ihrem Hasse gegen die alten Sprachen als einen
Gewinn betrachten, wenigstens einzelne vom Latein unentweihte Gehirne zu
Schülern zu erhalten, und die dafür die Degradirung des Polytechnikums mit
in den Kauf nehmen, in der Hoffnung, daß auch für die Universität die Zeit
kommen werde, wo das letzte Stündlein der alten Sprachen geschlagen hat.
Aber ihre Zahl ist doch verschwindend klein, und im Großen lind Ganzen hält
die Mehrzahl der Dozenten, nicht nur die Mathematiker, Physiker und Chemiker,
die Humanisten der allgemein bildenden Wissenschaften, sondern auch die Tech¬
niker im engern Sinne, an der Anschauung sest, daß die Gleichheit des wissen¬
schaftlichen Lebens und der höchsten Ziele an Universitäten und technischen
Hochschulen auch die Gleichheit der Vorbildung erfordre. Und eben daraus
erklärt sichs, daß in dem gegenwärtigen Kampfe die technische Hochschule so
ausfallend neutral geblieben ist. Wo aber die eigensten Lebensinteressen bedroht
erscheinen, pflegt alle Neutralität ein Ende zu haben, und die preußische
Lchnlrefvrm rückt diese Bedrohung zweifellos näher.




Das Verhältnis der Sittlichkeit zu Christentum,
Staat und Kirche
Geschichtsphilosophische Gedanken ^5

aß das Christentum keine neue Moral gebracht hat, und daß
das Sittengesetz uicht in der Religion, sondern mit der Religion
und unabhängig von ihr in der Menschenuatu.r wurzelt, darüber
dürfte man heutzutage wohl einig sein. In der Christenheit
begegnen uns dieselben verschiednen Charaktergattungen wie bei
den heidnischen Kulturvölkern. Eine Gruppe guter Charaktere: der Helden-
charakter, der sanftmütige Duldercharakter, der opferfreudige, der edelmütige,
der hochherzige, der strenge, ordnungliebende und pflichtgetreue, , der offne und


Das Verhältnis der Sittlichkeit zu Christentum, Staat und Airche

schwere Schädigung der letzter» erachtet werden. Die wissenschaftliche Er¬
hebung der Techniker hat schlimmere Hemmnisse als dieses überwunden, aber
wissen sollte man an den entscheidenden Stellen, daß man in den Kreisen der
technischen Hochschulen jede Rückverweisnng in glücklich überwundne oder doch
beinahe überwundne Zustände als einen Schlag empfindet und mit Über¬
zeugung und Energie gegen jede Rückschicbung ankämpfen wird. Natürlich fehlt
es auch an deu technischen Hochschulen selbst nicht an einzelnen Heißspornen
der Neformschule, die es in ihrem Hasse gegen die alten Sprachen als einen
Gewinn betrachten, wenigstens einzelne vom Latein unentweihte Gehirne zu
Schülern zu erhalten, und die dafür die Degradirung des Polytechnikums mit
in den Kauf nehmen, in der Hoffnung, daß auch für die Universität die Zeit
kommen werde, wo das letzte Stündlein der alten Sprachen geschlagen hat.
Aber ihre Zahl ist doch verschwindend klein, und im Großen lind Ganzen hält
die Mehrzahl der Dozenten, nicht nur die Mathematiker, Physiker und Chemiker,
die Humanisten der allgemein bildenden Wissenschaften, sondern auch die Tech¬
niker im engern Sinne, an der Anschauung sest, daß die Gleichheit des wissen¬
schaftlichen Lebens und der höchsten Ziele an Universitäten und technischen
Hochschulen auch die Gleichheit der Vorbildung erfordre. Und eben daraus
erklärt sichs, daß in dem gegenwärtigen Kampfe die technische Hochschule so
ausfallend neutral geblieben ist. Wo aber die eigensten Lebensinteressen bedroht
erscheinen, pflegt alle Neutralität ein Ende zu haben, und die preußische
Lchnlrefvrm rückt diese Bedrohung zweifellos näher.




Das Verhältnis der Sittlichkeit zu Christentum,
Staat und Kirche
Geschichtsphilosophische Gedanken ^5

aß das Christentum keine neue Moral gebracht hat, und daß
das Sittengesetz uicht in der Religion, sondern mit der Religion
und unabhängig von ihr in der Menschenuatu.r wurzelt, darüber
dürfte man heutzutage wohl einig sein. In der Christenheit
begegnen uns dieselben verschiednen Charaktergattungen wie bei
den heidnischen Kulturvölkern. Eine Gruppe guter Charaktere: der Helden-
charakter, der sanftmütige Duldercharakter, der opferfreudige, der edelmütige,
der hochherzige, der strenge, ordnungliebende und pflichtgetreue, , der offne und


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[0438] Das Verhältnis der Sittlichkeit zu Christentum, Staat und Airche schwere Schädigung der letzter» erachtet werden. Die wissenschaftliche Er¬ hebung der Techniker hat schlimmere Hemmnisse als dieses überwunden, aber wissen sollte man an den entscheidenden Stellen, daß man in den Kreisen der technischen Hochschulen jede Rückverweisnng in glücklich überwundne oder doch beinahe überwundne Zustände als einen Schlag empfindet und mit Über¬ zeugung und Energie gegen jede Rückschicbung ankämpfen wird. Natürlich fehlt es auch an deu technischen Hochschulen selbst nicht an einzelnen Heißspornen der Neformschule, die es in ihrem Hasse gegen die alten Sprachen als einen Gewinn betrachten, wenigstens einzelne vom Latein unentweihte Gehirne zu Schülern zu erhalten, und die dafür die Degradirung des Polytechnikums mit in den Kauf nehmen, in der Hoffnung, daß auch für die Universität die Zeit kommen werde, wo das letzte Stündlein der alten Sprachen geschlagen hat. Aber ihre Zahl ist doch verschwindend klein, und im Großen lind Ganzen hält die Mehrzahl der Dozenten, nicht nur die Mathematiker, Physiker und Chemiker, die Humanisten der allgemein bildenden Wissenschaften, sondern auch die Tech¬ niker im engern Sinne, an der Anschauung sest, daß die Gleichheit des wissen¬ schaftlichen Lebens und der höchsten Ziele an Universitäten und technischen Hochschulen auch die Gleichheit der Vorbildung erfordre. Und eben daraus erklärt sichs, daß in dem gegenwärtigen Kampfe die technische Hochschule so ausfallend neutral geblieben ist. Wo aber die eigensten Lebensinteressen bedroht erscheinen, pflegt alle Neutralität ein Ende zu haben, und die preußische Lchnlrefvrm rückt diese Bedrohung zweifellos näher. Das Verhältnis der Sittlichkeit zu Christentum, Staat und Kirche Geschichtsphilosophische Gedanken ^5 aß das Christentum keine neue Moral gebracht hat, und daß das Sittengesetz uicht in der Religion, sondern mit der Religion und unabhängig von ihr in der Menschenuatu.r wurzelt, darüber dürfte man heutzutage wohl einig sein. In der Christenheit begegnen uns dieselben verschiednen Charaktergattungen wie bei den heidnischen Kulturvölkern. Eine Gruppe guter Charaktere: der Helden- charakter, der sanftmütige Duldercharakter, der opferfreudige, der edelmütige, der hochherzige, der strenge, ordnungliebende und pflichtgetreue, , der offne und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/438>, abgerufen am 06.05.2024.