Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die technischen Hochschulen

überall schlechthin als albern bezeichnet werden würden. Die ausschließliche
Anwendung dieser Forderungen und Folgerungen auf die Technik macht sie
aber nicht geistreicher.

Aus dem Dargelegte" werden die Leser leicht ersehen können, wo die
wurzeln der Widerstände und Hemmnisse liegen, mit denen die neuen tech¬
nischen Hochschulen des deutschen Reichs, die einen schwerer, die andern leichter
zu kämpfen haben. Daß die Entwicklung aufgehalten und rückläufig gemacht
werden könnte, ist freilich ganz undenkbar, aber ebenso wenig darf man sich
darüber wundern, daß das Publikum -- und hier nehmen wir den Begriff
des Publikums im weitesten Sinne und rechnen unzählige Hochstehende, Hoch¬
gebildete mit hinzu -- noch immer eine schwankende und durchaus unklare Vor¬
stellung von der technischen Wissenschaft und von den gelehrten Technikern hat!

An den technischen Hochschulen hat man sich im allgemeinen sür den
staubanfwirbelnden Streit und die Schulreform uicht sonderlich erwärme"
können. Mau darf in gewissem Sinne selbst die Frage, ob die Vorbildung
der künftigen Studenten auf dem humanistischen Gymnasium oder dem Real¬
gymnasium stattfinden soll, für die technischen Hochschulen fast untergeordnet
nenne". Das Stück verfrühter Fachbildung, das die Realgymnasien mit beson¬
derm Hinblick ans die technische Hochschule zu gebe" Pflegen, wird an dieser
selbst für keinen Gewinn erachtet, und im Großen und Ganzen steht man in den
Kreise" der Hochschullehrer fast durchgehend auf dem Standpunkte, den Lothar
Meyer in Tübingen treffend mit den Worten bezeichnet hat: "Ich wage zu
sage", daß eine genaue Würdigung der Bedürfnisse unsrer verschiednen Stu-
direnden mit Notwendigkeit zu der Erkenntnis führt, daß ein Gymnasium,
welches sowohl den künftigen Philologen, Theologen und Juristen wie auch
den Naturforschern und Medizinern eine wirklich gute, ihren Zwecken ent¬
sprechende Vorbildung giebt, auch den Studirenden aller andern Fächer, also
auch der sogenannten technischen, in richtiger Weise vorbilden wird und daß
andrerseits ein Gymnasium, von dessen Zöglingen keiner imstande wäre, mit
Erfolg ein technisches Studium zu ergreifen, auch auf das Studium der
Naturwissenschaft und der Medizin nicht in geeigneter Weise vorbereitet." Man
würde, wenn sich am klassischen Gymnasium eine sichere Vertrautheit mit der
elementaren Mathematik, ein klares Auffassungsvermögen für naturwissenschaft¬
liche Lehren und Demonstrationen, eine gute Übung im Zeichnen und endlich
eine wirkliche Herrschaft über die Muttersprache erzielen ließe, gegen die Auf¬
hebung der Realgymnasien kaum allzuviel einzuwenden haben. Das klare und
unabänderliche Interesse der technischen Hochschule bleibt es, daß ihre Stu¬
denten so vorgebildet sind, daß sie erforderlichenfalls für die verwandten
und um beiden Hochschulen gepflegten Studien auch die Universität beziehen
können. Und in diesem Sinne muß die Berechtigung, die man der Oberreal-
schule ohne Latein für die technische Hochschule zusprechen will, als eine neue


Die technischen Hochschulen

überall schlechthin als albern bezeichnet werden würden. Die ausschließliche
Anwendung dieser Forderungen und Folgerungen auf die Technik macht sie
aber nicht geistreicher.

Aus dem Dargelegte» werden die Leser leicht ersehen können, wo die
wurzeln der Widerstände und Hemmnisse liegen, mit denen die neuen tech¬
nischen Hochschulen des deutschen Reichs, die einen schwerer, die andern leichter
zu kämpfen haben. Daß die Entwicklung aufgehalten und rückläufig gemacht
werden könnte, ist freilich ganz undenkbar, aber ebenso wenig darf man sich
darüber wundern, daß das Publikum — und hier nehmen wir den Begriff
des Publikums im weitesten Sinne und rechnen unzählige Hochstehende, Hoch¬
gebildete mit hinzu — noch immer eine schwankende und durchaus unklare Vor¬
stellung von der technischen Wissenschaft und von den gelehrten Technikern hat!

An den technischen Hochschulen hat man sich im allgemeinen sür den
staubanfwirbelnden Streit und die Schulreform uicht sonderlich erwärme»
können. Mau darf in gewissem Sinne selbst die Frage, ob die Vorbildung
der künftigen Studenten auf dem humanistischen Gymnasium oder dem Real¬
gymnasium stattfinden soll, für die technischen Hochschulen fast untergeordnet
nenne». Das Stück verfrühter Fachbildung, das die Realgymnasien mit beson¬
derm Hinblick ans die technische Hochschule zu gebe» Pflegen, wird an dieser
selbst für keinen Gewinn erachtet, und im Großen und Ganzen steht man in den
Kreise» der Hochschullehrer fast durchgehend auf dem Standpunkte, den Lothar
Meyer in Tübingen treffend mit den Worten bezeichnet hat: „Ich wage zu
sage», daß eine genaue Würdigung der Bedürfnisse unsrer verschiednen Stu-
direnden mit Notwendigkeit zu der Erkenntnis führt, daß ein Gymnasium,
welches sowohl den künftigen Philologen, Theologen und Juristen wie auch
den Naturforschern und Medizinern eine wirklich gute, ihren Zwecken ent¬
sprechende Vorbildung giebt, auch den Studirenden aller andern Fächer, also
auch der sogenannten technischen, in richtiger Weise vorbilden wird und daß
andrerseits ein Gymnasium, von dessen Zöglingen keiner imstande wäre, mit
Erfolg ein technisches Studium zu ergreifen, auch auf das Studium der
Naturwissenschaft und der Medizin nicht in geeigneter Weise vorbereitet." Man
würde, wenn sich am klassischen Gymnasium eine sichere Vertrautheit mit der
elementaren Mathematik, ein klares Auffassungsvermögen für naturwissenschaft¬
liche Lehren und Demonstrationen, eine gute Übung im Zeichnen und endlich
eine wirkliche Herrschaft über die Muttersprache erzielen ließe, gegen die Auf¬
hebung der Realgymnasien kaum allzuviel einzuwenden haben. Das klare und
unabänderliche Interesse der technischen Hochschule bleibt es, daß ihre Stu¬
denten so vorgebildet sind, daß sie erforderlichenfalls für die verwandten
und um beiden Hochschulen gepflegten Studien auch die Universität beziehen
können. Und in diesem Sinne muß die Berechtigung, die man der Oberreal-
schule ohne Latein für die technische Hochschule zusprechen will, als eine neue


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0437" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/211605"/>
          <fw type="header" place="top"> Die technischen Hochschulen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1308" prev="#ID_1307"> überall schlechthin als albern bezeichnet werden würden. Die ausschließliche<lb/>
Anwendung dieser Forderungen und Folgerungen auf die Technik macht sie<lb/>
aber nicht geistreicher.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1309"> Aus dem Dargelegte» werden die Leser leicht ersehen können, wo die<lb/>
wurzeln der Widerstände und Hemmnisse liegen, mit denen die neuen tech¬<lb/>
nischen Hochschulen des deutschen Reichs, die einen schwerer, die andern leichter<lb/>
zu kämpfen haben. Daß die Entwicklung aufgehalten und rückläufig gemacht<lb/>
werden könnte, ist freilich ganz undenkbar, aber ebenso wenig darf man sich<lb/>
darüber wundern, daß das Publikum &#x2014; und hier nehmen wir den Begriff<lb/>
des Publikums im weitesten Sinne und rechnen unzählige Hochstehende, Hoch¬<lb/>
gebildete mit hinzu &#x2014; noch immer eine schwankende und durchaus unklare Vor¬<lb/>
stellung von der technischen Wissenschaft und von den gelehrten Technikern hat!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1310" next="#ID_1311"> An den technischen Hochschulen hat man sich im allgemeinen sür den<lb/>
staubanfwirbelnden Streit und die Schulreform uicht sonderlich erwärme»<lb/>
können. Mau darf in gewissem Sinne selbst die Frage, ob die Vorbildung<lb/>
der künftigen Studenten auf dem humanistischen Gymnasium oder dem Real¬<lb/>
gymnasium stattfinden soll, für die technischen Hochschulen fast untergeordnet<lb/>
nenne». Das Stück verfrühter Fachbildung, das die Realgymnasien mit beson¬<lb/>
derm Hinblick ans die technische Hochschule zu gebe» Pflegen, wird an dieser<lb/>
selbst für keinen Gewinn erachtet, und im Großen und Ganzen steht man in den<lb/>
Kreise» der Hochschullehrer fast durchgehend auf dem Standpunkte, den Lothar<lb/>
Meyer in Tübingen treffend mit den Worten bezeichnet hat: &#x201E;Ich wage zu<lb/>
sage», daß eine genaue Würdigung der Bedürfnisse unsrer verschiednen Stu-<lb/>
direnden mit Notwendigkeit zu der Erkenntnis führt, daß ein Gymnasium,<lb/>
welches sowohl den künftigen Philologen, Theologen und Juristen wie auch<lb/>
den Naturforschern und Medizinern eine wirklich gute, ihren Zwecken ent¬<lb/>
sprechende Vorbildung giebt, auch den Studirenden aller andern Fächer, also<lb/>
auch der sogenannten technischen, in richtiger Weise vorbilden wird und daß<lb/>
andrerseits ein Gymnasium, von dessen Zöglingen keiner imstande wäre, mit<lb/>
Erfolg ein technisches Studium zu ergreifen, auch auf das Studium der<lb/>
Naturwissenschaft und der Medizin nicht in geeigneter Weise vorbereitet." Man<lb/>
würde, wenn sich am klassischen Gymnasium eine sichere Vertrautheit mit der<lb/>
elementaren Mathematik, ein klares Auffassungsvermögen für naturwissenschaft¬<lb/>
liche Lehren und Demonstrationen, eine gute Übung im Zeichnen und endlich<lb/>
eine wirkliche Herrschaft über die Muttersprache erzielen ließe, gegen die Auf¬<lb/>
hebung der Realgymnasien kaum allzuviel einzuwenden haben. Das klare und<lb/>
unabänderliche Interesse der technischen Hochschule bleibt es, daß ihre Stu¬<lb/>
denten so vorgebildet sind, daß sie erforderlichenfalls für die verwandten<lb/>
und um beiden Hochschulen gepflegten Studien auch die Universität beziehen<lb/>
können. Und in diesem Sinne muß die Berechtigung, die man der Oberreal-<lb/>
schule ohne Latein für die technische Hochschule zusprechen will, als eine neue</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0437] Die technischen Hochschulen überall schlechthin als albern bezeichnet werden würden. Die ausschließliche Anwendung dieser Forderungen und Folgerungen auf die Technik macht sie aber nicht geistreicher. Aus dem Dargelegte» werden die Leser leicht ersehen können, wo die wurzeln der Widerstände und Hemmnisse liegen, mit denen die neuen tech¬ nischen Hochschulen des deutschen Reichs, die einen schwerer, die andern leichter zu kämpfen haben. Daß die Entwicklung aufgehalten und rückläufig gemacht werden könnte, ist freilich ganz undenkbar, aber ebenso wenig darf man sich darüber wundern, daß das Publikum — und hier nehmen wir den Begriff des Publikums im weitesten Sinne und rechnen unzählige Hochstehende, Hoch¬ gebildete mit hinzu — noch immer eine schwankende und durchaus unklare Vor¬ stellung von der technischen Wissenschaft und von den gelehrten Technikern hat! An den technischen Hochschulen hat man sich im allgemeinen sür den staubanfwirbelnden Streit und die Schulreform uicht sonderlich erwärme» können. Mau darf in gewissem Sinne selbst die Frage, ob die Vorbildung der künftigen Studenten auf dem humanistischen Gymnasium oder dem Real¬ gymnasium stattfinden soll, für die technischen Hochschulen fast untergeordnet nenne». Das Stück verfrühter Fachbildung, das die Realgymnasien mit beson¬ derm Hinblick ans die technische Hochschule zu gebe» Pflegen, wird an dieser selbst für keinen Gewinn erachtet, und im Großen und Ganzen steht man in den Kreise» der Hochschullehrer fast durchgehend auf dem Standpunkte, den Lothar Meyer in Tübingen treffend mit den Worten bezeichnet hat: „Ich wage zu sage», daß eine genaue Würdigung der Bedürfnisse unsrer verschiednen Stu- direnden mit Notwendigkeit zu der Erkenntnis führt, daß ein Gymnasium, welches sowohl den künftigen Philologen, Theologen und Juristen wie auch den Naturforschern und Medizinern eine wirklich gute, ihren Zwecken ent¬ sprechende Vorbildung giebt, auch den Studirenden aller andern Fächer, also auch der sogenannten technischen, in richtiger Weise vorbilden wird und daß andrerseits ein Gymnasium, von dessen Zöglingen keiner imstande wäre, mit Erfolg ein technisches Studium zu ergreifen, auch auf das Studium der Naturwissenschaft und der Medizin nicht in geeigneter Weise vorbereitet." Man würde, wenn sich am klassischen Gymnasium eine sichere Vertrautheit mit der elementaren Mathematik, ein klares Auffassungsvermögen für naturwissenschaft¬ liche Lehren und Demonstrationen, eine gute Übung im Zeichnen und endlich eine wirkliche Herrschaft über die Muttersprache erzielen ließe, gegen die Auf¬ hebung der Realgymnasien kaum allzuviel einzuwenden haben. Das klare und unabänderliche Interesse der technischen Hochschule bleibt es, daß ihre Stu¬ denten so vorgebildet sind, daß sie erforderlichenfalls für die verwandten und um beiden Hochschulen gepflegten Studien auch die Universität beziehen können. Und in diesem Sinne muß die Berechtigung, die man der Oberreal- schule ohne Latein für die technische Hochschule zusprechen will, als eine neue

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/437
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/437>, abgerufen am 19.05.2024.