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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Die Schlacht bei Marathon

fürchten, daß man nie imstande sein wird, mit absoluter Sicherheit die Rich¬
tung des Schallerzengers zu bestimmen. Hier, auf dem Gebiete der Akustik,
ist noch ein großes Feld, auf dem die Wissenschaft dem Seewesen und so
der Menschheit Nutzen bringen kann. Erörterungen über die verschiednen in
Frage kommenden Apparate müssen den technischen Zeitschriften überlassen
bleiben.




Die Schlacht bei Marathon

le methodische Geschichtsforschung unsrer Zeit hat so viele Rätsel
der Vergangenheit gelöst, so viele neue Wahrheiten ans Licht
gefördert und so zahlreiche Vorurteile zerstört, daß man jeden
Versuch, bisher als feststehende Wahrheiten geltende Erzählungen
in nichtige Sagen oder unbegründete Vorurteile aufzulösen, auch
dann willkommen heißen muß, wenn sie mit Anschauungen aufräumen, die
Alt und Jung lieb gewonnen hat. Freilich muß sich dann die skeptische Ge¬
schichtsforschung auch gefallen lassen, daraufhin nachgeprüft zu werden, ob sie
das Rüstzeug der historischen Methode richtig angewendet hat; denn wollte
man urtcilslos dem bloßen Zweifel Recht geben, so gäbe es z. V. keinen
Shakespeare mehr, und wir verehrten in Bneon den Dichter von Dramen, die
der Philosoph, so viel man wenigstens aus seinem Schweigen urteilen kann,
überhaupt niemals auch nur gelesen hat.

Die Schlacht bei Marathon (richtiger im Marathon, einem ländlichen
senchelbewachsenen Distrikt in Attika) galt bisher für einen Tag wie der von
La Belle Alliance oder Sedan. Als die semitische Herrschaft der Völker
Mesopotamiens Ägypten und das vorderasiatische Küstenland unterworfen
hatte, begnügte sie sich damit, Griechenland in eine Art von Abhängigkeit zu
bringen, die an keine eigentlich politische Form gebunden war, sondern in
einem kommerziellen Übergewicht bestand, mehr oder weniger energische Kolo¬
nisation betrieb und den Griechen sehr nützliche Kulturelemente brachte. Aber
auch gegen diese immerhin milde Art fremden Einflusses Pflegt ein seiner selbst
bewußt werdendes Volk anzukämpfen, sobald es aus dem "vorhistorischen"
Traumleben crmacht und seine Geschicke selbst in die Hand nimmt: die Griechen
erscheinen in den Homerischen Gedichten als so völlig national, daß selbst die
kostbarste Gabe, die sie ans dem Osten erhalten hatten, die Kenntnis des
Alphabets, mit keinem Worte darin erwähnt wird.


Die Schlacht bei Marathon

fürchten, daß man nie imstande sein wird, mit absoluter Sicherheit die Rich¬
tung des Schallerzengers zu bestimmen. Hier, auf dem Gebiete der Akustik,
ist noch ein großes Feld, auf dem die Wissenschaft dem Seewesen und so
der Menschheit Nutzen bringen kann. Erörterungen über die verschiednen in
Frage kommenden Apparate müssen den technischen Zeitschriften überlassen
bleiben.




Die Schlacht bei Marathon

le methodische Geschichtsforschung unsrer Zeit hat so viele Rätsel
der Vergangenheit gelöst, so viele neue Wahrheiten ans Licht
gefördert und so zahlreiche Vorurteile zerstört, daß man jeden
Versuch, bisher als feststehende Wahrheiten geltende Erzählungen
in nichtige Sagen oder unbegründete Vorurteile aufzulösen, auch
dann willkommen heißen muß, wenn sie mit Anschauungen aufräumen, die
Alt und Jung lieb gewonnen hat. Freilich muß sich dann die skeptische Ge¬
schichtsforschung auch gefallen lassen, daraufhin nachgeprüft zu werden, ob sie
das Rüstzeug der historischen Methode richtig angewendet hat; denn wollte
man urtcilslos dem bloßen Zweifel Recht geben, so gäbe es z. V. keinen
Shakespeare mehr, und wir verehrten in Bneon den Dichter von Dramen, die
der Philosoph, so viel man wenigstens aus seinem Schweigen urteilen kann,
überhaupt niemals auch nur gelesen hat.

Die Schlacht bei Marathon (richtiger im Marathon, einem ländlichen
senchelbewachsenen Distrikt in Attika) galt bisher für einen Tag wie der von
La Belle Alliance oder Sedan. Als die semitische Herrschaft der Völker
Mesopotamiens Ägypten und das vorderasiatische Küstenland unterworfen
hatte, begnügte sie sich damit, Griechenland in eine Art von Abhängigkeit zu
bringen, die an keine eigentlich politische Form gebunden war, sondern in
einem kommerziellen Übergewicht bestand, mehr oder weniger energische Kolo¬
nisation betrieb und den Griechen sehr nützliche Kulturelemente brachte. Aber
auch gegen diese immerhin milde Art fremden Einflusses Pflegt ein seiner selbst
bewußt werdendes Volk anzukämpfen, sobald es aus dem „vorhistorischen"
Traumleben crmacht und seine Geschicke selbst in die Hand nimmt: die Griechen
erscheinen in den Homerischen Gedichten als so völlig national, daß selbst die
kostbarste Gabe, die sie ans dem Osten erhalten hatten, die Kenntnis des
Alphabets, mit keinem Worte darin erwähnt wird.


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[0586] Die Schlacht bei Marathon fürchten, daß man nie imstande sein wird, mit absoluter Sicherheit die Rich¬ tung des Schallerzengers zu bestimmen. Hier, auf dem Gebiete der Akustik, ist noch ein großes Feld, auf dem die Wissenschaft dem Seewesen und so der Menschheit Nutzen bringen kann. Erörterungen über die verschiednen in Frage kommenden Apparate müssen den technischen Zeitschriften überlassen bleiben. Die Schlacht bei Marathon le methodische Geschichtsforschung unsrer Zeit hat so viele Rätsel der Vergangenheit gelöst, so viele neue Wahrheiten ans Licht gefördert und so zahlreiche Vorurteile zerstört, daß man jeden Versuch, bisher als feststehende Wahrheiten geltende Erzählungen in nichtige Sagen oder unbegründete Vorurteile aufzulösen, auch dann willkommen heißen muß, wenn sie mit Anschauungen aufräumen, die Alt und Jung lieb gewonnen hat. Freilich muß sich dann die skeptische Ge¬ schichtsforschung auch gefallen lassen, daraufhin nachgeprüft zu werden, ob sie das Rüstzeug der historischen Methode richtig angewendet hat; denn wollte man urtcilslos dem bloßen Zweifel Recht geben, so gäbe es z. V. keinen Shakespeare mehr, und wir verehrten in Bneon den Dichter von Dramen, die der Philosoph, so viel man wenigstens aus seinem Schweigen urteilen kann, überhaupt niemals auch nur gelesen hat. Die Schlacht bei Marathon (richtiger im Marathon, einem ländlichen senchelbewachsenen Distrikt in Attika) galt bisher für einen Tag wie der von La Belle Alliance oder Sedan. Als die semitische Herrschaft der Völker Mesopotamiens Ägypten und das vorderasiatische Küstenland unterworfen hatte, begnügte sie sich damit, Griechenland in eine Art von Abhängigkeit zu bringen, die an keine eigentlich politische Form gebunden war, sondern in einem kommerziellen Übergewicht bestand, mehr oder weniger energische Kolo¬ nisation betrieb und den Griechen sehr nützliche Kulturelemente brachte. Aber auch gegen diese immerhin milde Art fremden Einflusses Pflegt ein seiner selbst bewußt werdendes Volk anzukämpfen, sobald es aus dem „vorhistorischen" Traumleben crmacht und seine Geschicke selbst in die Hand nimmt: die Griechen erscheinen in den Homerischen Gedichten als so völlig national, daß selbst die kostbarste Gabe, die sie ans dem Osten erhalten hatten, die Kenntnis des Alphabets, mit keinem Worte darin erwähnt wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/586>, abgerufen am 06.05.2024.