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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Die Schlacht bei Marathon

Die semitische Herrschaft über die östliche Welt wurde von den iranischen
Persern zertrümmert, Ihr Streben nach Erweiterung des Reichs mußte
naturgemäß uach Westen, nicht nach Osten gerichtet sein. Das ägeische Meer
mit seinen Buchten und Küsten, eine Seestraße der Völker, wie sie nicht
günstiger gedacht werden kann, lockte die neuen Herrscher mit derselben Gewalt,
die ihre Vorgänger in der Herrschaft nach Griechenland und noch weiter
westlich getrieben hatte. Sie übernahmen zugleich die Erbschaft der Phöniker
mit den Bestrebungen der allmählich von ihnen unterjochten Griechen Klein¬
asiens: was in den persisch gewordnen Griechcnstädten der Gegenwart und
ihrem Genusse lebte, fühlte sich zu Persien hingezogen. Für die fortwäh¬
renden innern Zwistigkeiten und Parteiungen hatten sie eine im ganzen milde
und gerechte Knechtschaft, statt unsicherer Verhältnisse Ruhe und Stetigkeit des
äußern Lebens eingetauscht. Hatten sie früher die Gewaltherrschaft eines
Einzelnen oder die unberechenbare Souveränität der mir zu oft verblendeten
Vürgergcmeinschaft abwechseln sehen, so genossen sie jetzt die Vorteile eines
großen, im Frieden befestigten Reichs und waren sehr wohl geneigt, ihren
Handel und die ihn beschützenden Einrichtungen über den Archipelagos nach
dem Mutterlande zu tragen. Die persische Herrschaft hatte nichts von der
modernen Unifvrmitüt der Verwaltnngseinrichtungen, die Unterwvrfnen behielten
^ in verschiednen Graden und je nach der augenblicklichen Sachlage - die
gewohnten Formen staatlichen Lebens; konnte Dareios Athen und Sparta dazu
bewegen, seine Oberherrschaft anzuerkennen, so hätten dort republikanische Ein¬
richtungen, hier die Zweikönigsherrschaft ohne irgend welche äußere Störung
weiter bestehen können.

Wären die Athener nichts weiter gewesen als kluge Kaufleute, so hätten
sie sich die persische Oberherrschaft in irgend einer Weise gefallen lassen, der
Peloponnesische Krieg wäre nicht gekümpft worden, kein Alexander Hütte Persien
unterjocht, und Griechenland wäre mit den andern persische" Provinzen in
ähnlicher Weise römische Provinz geworden wie Kleinasien oder Ägypten.
Ströme von Blut wären nicht geflossen, kein Simonides hätte von den
Kämpfen von Thermvpylci gesungen, kein Aischylvs sich an den Perserkriegen
begeistert --- kurz, griechische Kunst und griechische Poesie wären nicht erwacht,
wie sie nach den Tagen von Platäa und Salamis erwachten, um der grie¬
chischen Welt den Inhalt zu geben, dnrch den sie innerlich Rom bezwang
und uus bis heute mittelbar oder unmittelbar beherrscht. Vor zwanzig Jahren
hätte man solche Betrachtungen nicht aussprechen können, denn damals waren
sie trivial, weil sie jeder Gebildete im Herzen, wenn auch nicht ans der Zunge
hatte; heute sind" zwar Jlas und Odyssee in der Prima der preußischen
Gymnasien "thunlichst ganz zu lesen," aber "so weit dies in der Ursprache
uicht möglich ist, sind behufs Ergänzung von dem Lehrer gute Übersetzungen
heranzuziehen" (Lehrpläne u. s. w. 1892, S. 30). Unsre Söhne brauchen


Die Schlacht bei Marathon

Die semitische Herrschaft über die östliche Welt wurde von den iranischen
Persern zertrümmert, Ihr Streben nach Erweiterung des Reichs mußte
naturgemäß uach Westen, nicht nach Osten gerichtet sein. Das ägeische Meer
mit seinen Buchten und Küsten, eine Seestraße der Völker, wie sie nicht
günstiger gedacht werden kann, lockte die neuen Herrscher mit derselben Gewalt,
die ihre Vorgänger in der Herrschaft nach Griechenland und noch weiter
westlich getrieben hatte. Sie übernahmen zugleich die Erbschaft der Phöniker
mit den Bestrebungen der allmählich von ihnen unterjochten Griechen Klein¬
asiens: was in den persisch gewordnen Griechcnstädten der Gegenwart und
ihrem Genusse lebte, fühlte sich zu Persien hingezogen. Für die fortwäh¬
renden innern Zwistigkeiten und Parteiungen hatten sie eine im ganzen milde
und gerechte Knechtschaft, statt unsicherer Verhältnisse Ruhe und Stetigkeit des
äußern Lebens eingetauscht. Hatten sie früher die Gewaltherrschaft eines
Einzelnen oder die unberechenbare Souveränität der mir zu oft verblendeten
Vürgergcmeinschaft abwechseln sehen, so genossen sie jetzt die Vorteile eines
großen, im Frieden befestigten Reichs und waren sehr wohl geneigt, ihren
Handel und die ihn beschützenden Einrichtungen über den Archipelagos nach
dem Mutterlande zu tragen. Die persische Herrschaft hatte nichts von der
modernen Unifvrmitüt der Verwaltnngseinrichtungen, die Unterwvrfnen behielten
^ in verschiednen Graden und je nach der augenblicklichen Sachlage - die
gewohnten Formen staatlichen Lebens; konnte Dareios Athen und Sparta dazu
bewegen, seine Oberherrschaft anzuerkennen, so hätten dort republikanische Ein¬
richtungen, hier die Zweikönigsherrschaft ohne irgend welche äußere Störung
weiter bestehen können.

Wären die Athener nichts weiter gewesen als kluge Kaufleute, so hätten
sie sich die persische Oberherrschaft in irgend einer Weise gefallen lassen, der
Peloponnesische Krieg wäre nicht gekümpft worden, kein Alexander Hütte Persien
unterjocht, und Griechenland wäre mit den andern persische« Provinzen in
ähnlicher Weise römische Provinz geworden wie Kleinasien oder Ägypten.
Ströme von Blut wären nicht geflossen, kein Simonides hätte von den
Kämpfen von Thermvpylci gesungen, kein Aischylvs sich an den Perserkriegen
begeistert —- kurz, griechische Kunst und griechische Poesie wären nicht erwacht,
wie sie nach den Tagen von Platäa und Salamis erwachten, um der grie¬
chischen Welt den Inhalt zu geben, dnrch den sie innerlich Rom bezwang
und uus bis heute mittelbar oder unmittelbar beherrscht. Vor zwanzig Jahren
hätte man solche Betrachtungen nicht aussprechen können, denn damals waren
sie trivial, weil sie jeder Gebildete im Herzen, wenn auch nicht ans der Zunge
hatte; heute sind" zwar Jlas und Odyssee in der Prima der preußischen
Gymnasien „thunlichst ganz zu lesen," aber „so weit dies in der Ursprache
uicht möglich ist, sind behufs Ergänzung von dem Lehrer gute Übersetzungen
heranzuziehen" (Lehrpläne u. s. w. 1892, S. 30). Unsre Söhne brauchen


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[0587] Die Schlacht bei Marathon Die semitische Herrschaft über die östliche Welt wurde von den iranischen Persern zertrümmert, Ihr Streben nach Erweiterung des Reichs mußte naturgemäß uach Westen, nicht nach Osten gerichtet sein. Das ägeische Meer mit seinen Buchten und Küsten, eine Seestraße der Völker, wie sie nicht günstiger gedacht werden kann, lockte die neuen Herrscher mit derselben Gewalt, die ihre Vorgänger in der Herrschaft nach Griechenland und noch weiter westlich getrieben hatte. Sie übernahmen zugleich die Erbschaft der Phöniker mit den Bestrebungen der allmählich von ihnen unterjochten Griechen Klein¬ asiens: was in den persisch gewordnen Griechcnstädten der Gegenwart und ihrem Genusse lebte, fühlte sich zu Persien hingezogen. Für die fortwäh¬ renden innern Zwistigkeiten und Parteiungen hatten sie eine im ganzen milde und gerechte Knechtschaft, statt unsicherer Verhältnisse Ruhe und Stetigkeit des äußern Lebens eingetauscht. Hatten sie früher die Gewaltherrschaft eines Einzelnen oder die unberechenbare Souveränität der mir zu oft verblendeten Vürgergcmeinschaft abwechseln sehen, so genossen sie jetzt die Vorteile eines großen, im Frieden befestigten Reichs und waren sehr wohl geneigt, ihren Handel und die ihn beschützenden Einrichtungen über den Archipelagos nach dem Mutterlande zu tragen. Die persische Herrschaft hatte nichts von der modernen Unifvrmitüt der Verwaltnngseinrichtungen, die Unterwvrfnen behielten ^ in verschiednen Graden und je nach der augenblicklichen Sachlage - die gewohnten Formen staatlichen Lebens; konnte Dareios Athen und Sparta dazu bewegen, seine Oberherrschaft anzuerkennen, so hätten dort republikanische Ein¬ richtungen, hier die Zweikönigsherrschaft ohne irgend welche äußere Störung weiter bestehen können. Wären die Athener nichts weiter gewesen als kluge Kaufleute, so hätten sie sich die persische Oberherrschaft in irgend einer Weise gefallen lassen, der Peloponnesische Krieg wäre nicht gekümpft worden, kein Alexander Hütte Persien unterjocht, und Griechenland wäre mit den andern persische« Provinzen in ähnlicher Weise römische Provinz geworden wie Kleinasien oder Ägypten. Ströme von Blut wären nicht geflossen, kein Simonides hätte von den Kämpfen von Thermvpylci gesungen, kein Aischylvs sich an den Perserkriegen begeistert —- kurz, griechische Kunst und griechische Poesie wären nicht erwacht, wie sie nach den Tagen von Platäa und Salamis erwachten, um der grie¬ chischen Welt den Inhalt zu geben, dnrch den sie innerlich Rom bezwang und uus bis heute mittelbar oder unmittelbar beherrscht. Vor zwanzig Jahren hätte man solche Betrachtungen nicht aussprechen können, denn damals waren sie trivial, weil sie jeder Gebildete im Herzen, wenn auch nicht ans der Zunge hatte; heute sind" zwar Jlas und Odyssee in der Prima der preußischen Gymnasien „thunlichst ganz zu lesen," aber „so weit dies in der Ursprache uicht möglich ist, sind behufs Ergänzung von dem Lehrer gute Übersetzungen heranzuziehen" (Lehrpläne u. s. w. 1892, S. 30). Unsre Söhne brauchen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/587>, abgerufen am 28.05.2024.