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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Daß Bechstein nicht den gegenwärtigen Zustand unsrer Schriftsprache
sehen sollte, ist ganz undenkbar; ebenso, daß er nicht den Kampf für Einfach¬
heit, Natur und Wahrheit in der Sprache vollauf zu würdigen wüßte. Was
hat es nun da für Sinn, dem, der endlich einmal mit einiger Aussicht auf
Erfolg diesen Kampf aufnimmt, in den Arm zu fallen, angeblich, weil einige
Hiebe nicht ganz akademisch kunstgerecht geführt worden, in Wahrheit weil
einem als müßigem Zuschauer ein paar Sandkörner ins Gesicht geflogen sind?

Der Herr Professor hat beim Lesen meines Buches immer an Rumpel¬
stilzchen gedacht. Wie nett! Ich habe beim Lesen seiner (und mancher andern)
Kritik auch immer an ein Geschichtchen denken müssen. In dem hübschen
Buche von Reichenau "Aus unsern vier Wänden" wird auch der "Frühauf¬
steher" Ferdinand geschildert. Bruder Karl versucht es auf alle erdenkliche
Weise, ihn aus den Federn zu bringen, aber es gelingt ihm nicht. Da zieht
er ihm endlich die Bettdecke weg und läuft fort damit, und nun steigt Fer¬
dinand mit den Worten: Gemeiner Grobian! in die Hosen. Manche Leser
und Kritiker der ,,Sprachdnmmhciten" haben mich lebhaft an Ferdinand er¬
innert. Ich aber denke: Immer schimpft! wenn ihr nur aufsteht.


<3, Ivnstmann


Bilder aus dem Universitätsleben
2. Die Wahlschlacht

le winzigen, staarkasteuähnlichen Dachstuben, in denen die Stu¬
denten der kleinen norddeutschen Universitätsstadt zu Hausen
pflegten, waren wieder einmal in Ordnung gebracht. Statt der
grauen, verräucherten Gardinen, die den Tabaksqualm eines
ganzen Semesters in sich bargen, sah man wieder bläulich weiße
aus den offnen Fenstern freundlich hervorgucken. Alles war
sauber und schien auf den Einzug irgend eines neuen "Dokting" zu warten,
wie man dort den Studenten nennt, der noch nicht Doktor ist.

Es war richtig: die Osterferien hatten schon lange ihr Ende erreicht, und
das Sommersemester sollte nach dem Anschlag des Rektors am schwarzen Brete
definitiv beginnen. Wer aber an dem alten, einem Getreidespeicher gleichenden
Universitätsgebäude vorbeiging, der erkannte bald an den verschlossenen Thüren
und deu verriegelten Fenstern, daß der Anschlag nicht so böse gemeint sei,


mag bei manchen Lesern sich eingestellt haben (statt: mag sich). Mir ist es immer, als
mußte ich vor einem so falsch gestellten Fürwort erst einen Seufzer ausstoßen oder einmal
Atem holen. Auch mit den Nebensätzen in der Orirtin obliqim weiß er noch nicht recht
umzugehen; er schreibt z, B,: "dn werde sichs freilich um Dinge handeln, die für unsre
Sprache noch weit gefahrdrohender sind." Es muß seien heißen, Herr Professor!

Daß Bechstein nicht den gegenwärtigen Zustand unsrer Schriftsprache
sehen sollte, ist ganz undenkbar; ebenso, daß er nicht den Kampf für Einfach¬
heit, Natur und Wahrheit in der Sprache vollauf zu würdigen wüßte. Was
hat es nun da für Sinn, dem, der endlich einmal mit einiger Aussicht auf
Erfolg diesen Kampf aufnimmt, in den Arm zu fallen, angeblich, weil einige
Hiebe nicht ganz akademisch kunstgerecht geführt worden, in Wahrheit weil
einem als müßigem Zuschauer ein paar Sandkörner ins Gesicht geflogen sind?

Der Herr Professor hat beim Lesen meines Buches immer an Rumpel¬
stilzchen gedacht. Wie nett! Ich habe beim Lesen seiner (und mancher andern)
Kritik auch immer an ein Geschichtchen denken müssen. In dem hübschen
Buche von Reichenau „Aus unsern vier Wänden" wird auch der „Frühauf¬
steher" Ferdinand geschildert. Bruder Karl versucht es auf alle erdenkliche
Weise, ihn aus den Federn zu bringen, aber es gelingt ihm nicht. Da zieht
er ihm endlich die Bettdecke weg und läuft fort damit, und nun steigt Fer¬
dinand mit den Worten: Gemeiner Grobian! in die Hosen. Manche Leser
und Kritiker der ,,Sprachdnmmhciten" haben mich lebhaft an Ferdinand er¬
innert. Ich aber denke: Immer schimpft! wenn ihr nur aufsteht.


<3, Ivnstmann


Bilder aus dem Universitätsleben
2. Die Wahlschlacht

le winzigen, staarkasteuähnlichen Dachstuben, in denen die Stu¬
denten der kleinen norddeutschen Universitätsstadt zu Hausen
pflegten, waren wieder einmal in Ordnung gebracht. Statt der
grauen, verräucherten Gardinen, die den Tabaksqualm eines
ganzen Semesters in sich bargen, sah man wieder bläulich weiße
aus den offnen Fenstern freundlich hervorgucken. Alles war
sauber und schien auf den Einzug irgend eines neuen „Dokting" zu warten,
wie man dort den Studenten nennt, der noch nicht Doktor ist.

Es war richtig: die Osterferien hatten schon lange ihr Ende erreicht, und
das Sommersemester sollte nach dem Anschlag des Rektors am schwarzen Brete
definitiv beginnen. Wer aber an dem alten, einem Getreidespeicher gleichenden
Universitätsgebäude vorbeiging, der erkannte bald an den verschlossenen Thüren
und deu verriegelten Fenstern, daß der Anschlag nicht so böse gemeint sei,


mag bei manchen Lesern sich eingestellt haben (statt: mag sich). Mir ist es immer, als
mußte ich vor einem so falsch gestellten Fürwort erst einen Seufzer ausstoßen oder einmal
Atem holen. Auch mit den Nebensätzen in der Orirtin obliqim weiß er noch nicht recht
umzugehen; er schreibt z, B,: „dn werde sichs freilich um Dinge handeln, die für unsre
Sprache noch weit gefahrdrohender sind." Es muß seien heißen, Herr Professor!
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[0604] Daß Bechstein nicht den gegenwärtigen Zustand unsrer Schriftsprache sehen sollte, ist ganz undenkbar; ebenso, daß er nicht den Kampf für Einfach¬ heit, Natur und Wahrheit in der Sprache vollauf zu würdigen wüßte. Was hat es nun da für Sinn, dem, der endlich einmal mit einiger Aussicht auf Erfolg diesen Kampf aufnimmt, in den Arm zu fallen, angeblich, weil einige Hiebe nicht ganz akademisch kunstgerecht geführt worden, in Wahrheit weil einem als müßigem Zuschauer ein paar Sandkörner ins Gesicht geflogen sind? Der Herr Professor hat beim Lesen meines Buches immer an Rumpel¬ stilzchen gedacht. Wie nett! Ich habe beim Lesen seiner (und mancher andern) Kritik auch immer an ein Geschichtchen denken müssen. In dem hübschen Buche von Reichenau „Aus unsern vier Wänden" wird auch der „Frühauf¬ steher" Ferdinand geschildert. Bruder Karl versucht es auf alle erdenkliche Weise, ihn aus den Federn zu bringen, aber es gelingt ihm nicht. Da zieht er ihm endlich die Bettdecke weg und läuft fort damit, und nun steigt Fer¬ dinand mit den Worten: Gemeiner Grobian! in die Hosen. Manche Leser und Kritiker der ,,Sprachdnmmhciten" haben mich lebhaft an Ferdinand er¬ innert. Ich aber denke: Immer schimpft! wenn ihr nur aufsteht. <3, Ivnstmann Bilder aus dem Universitätsleben 2. Die Wahlschlacht le winzigen, staarkasteuähnlichen Dachstuben, in denen die Stu¬ denten der kleinen norddeutschen Universitätsstadt zu Hausen pflegten, waren wieder einmal in Ordnung gebracht. Statt der grauen, verräucherten Gardinen, die den Tabaksqualm eines ganzen Semesters in sich bargen, sah man wieder bläulich weiße aus den offnen Fenstern freundlich hervorgucken. Alles war sauber und schien auf den Einzug irgend eines neuen „Dokting" zu warten, wie man dort den Studenten nennt, der noch nicht Doktor ist. Es war richtig: die Osterferien hatten schon lange ihr Ende erreicht, und das Sommersemester sollte nach dem Anschlag des Rektors am schwarzen Brete definitiv beginnen. Wer aber an dem alten, einem Getreidespeicher gleichenden Universitätsgebäude vorbeiging, der erkannte bald an den verschlossenen Thüren und deu verriegelten Fenstern, daß der Anschlag nicht so böse gemeint sei, mag bei manchen Lesern sich eingestellt haben (statt: mag sich). Mir ist es immer, als mußte ich vor einem so falsch gestellten Fürwort erst einen Seufzer ausstoßen oder einmal Atem holen. Auch mit den Nebensätzen in der Orirtin obliqim weiß er noch nicht recht umzugehen; er schreibt z, B,: „dn werde sichs freilich um Dinge handeln, die für unsre Sprache noch weit gefahrdrohender sind." Es muß seien heißen, Herr Professor!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/604>, abgerufen am 07.05.2024.