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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Friedrich Hölderlin
von Adolf Stern

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O"n Wenigen Jahren erfüllt sich ein Jahrhundert, seit Schillers
schwäbischer Landsmann und Schüler, Friedrich Hölderlin, jenen
tief elegischen lyrischen Roman herausgab, in dessen Schlnß-
briefen die bitterste Verurteilung enthalten war, die deutscher
Idealismus jemals über das eigne Volk verhängt hat. den
Hyperion. ,,Es ist ein hartes Wort, und dennoch sag ichs, weil es Wahrheit
ist: ich kann kein Volk mir denken, das zerrissener wäre wie die Deutschen.
Handwerker siehst du, aber keine Menschen. Denker, aber keine Menschen,
Priester, aber keine Menschen, Herrn und Knechte, Jungen und gesetzte Leute,
aber keine Menschen -- ist das nicht wie ein Schlachtfeld, wo Hände und
Arme und alle Glieder zerstückelt unter einander liegen, indessen das vergvßne
Lebensblut im Sande zerrinnt? Deine Deutschen bleiben gerne beim Not¬
wendigsten, und darum ist auch bei ihnen so viele Stümperarbeit und so wenig
Freies, Echterfreuliches. Doch das wäre zu verschmerzen, müßten solche
Menschen nur uicht fühllos sein für alles schöne Leben, ruhte nur nicht
überall der Fluch der gottverlaßncn Unnatur auf solchem Volke!" Wenn
Hölderlin zu Ausgang der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts so
empfand und urteilte, wie müßte er erst heute fühlen, wie würde er heute
urteilen, heute, wo wir mehr als je ,,jede Kraft ersticken, die nicht zum Titel
paßt," mehr als je "mit karger Angst, buchstäblich heuchlerisch" nur sind,
was wir heißen, wo das "Fach" in ganz andrer Weise als vor hundert Jahren
den Menschen verschlingt, und wo der Fluch nahezu erfüllt scheint, den schon
Hyperion über den Deutschen schweben sieht, daß "bei ihnen eigentlich das
Leben schal und sorgenschwer und übervoll von kalter, stummer Zwietracht"
ist, und daß "der Rausch wächst mit den Sorgen, und mit der Üppigkeit der
Hunger und die Nahrnngsangst; zum Fluche wird der Segen jedes Jahrs,
und alle Götter fliehn." Wie eine düstre Prophezeiung unsrer eignen Tage
erklingen diese Klagen Hyperion-Hvlderlins.

Es ist freilich leicht zu sagen, daß in ihnen der Wahnsinn, der den
Dichter wenige Jahre später umnachtete, seine Schatten bereits vorausgeworfen


Grenzboten IV 1892 15


Friedrich Hölderlin
von Adolf Stern

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O«n Wenigen Jahren erfüllt sich ein Jahrhundert, seit Schillers
schwäbischer Landsmann und Schüler, Friedrich Hölderlin, jenen
tief elegischen lyrischen Roman herausgab, in dessen Schlnß-
briefen die bitterste Verurteilung enthalten war, die deutscher
Idealismus jemals über das eigne Volk verhängt hat. den
Hyperion. ,,Es ist ein hartes Wort, und dennoch sag ichs, weil es Wahrheit
ist: ich kann kein Volk mir denken, das zerrissener wäre wie die Deutschen.
Handwerker siehst du, aber keine Menschen. Denker, aber keine Menschen,
Priester, aber keine Menschen, Herrn und Knechte, Jungen und gesetzte Leute,
aber keine Menschen — ist das nicht wie ein Schlachtfeld, wo Hände und
Arme und alle Glieder zerstückelt unter einander liegen, indessen das vergvßne
Lebensblut im Sande zerrinnt? Deine Deutschen bleiben gerne beim Not¬
wendigsten, und darum ist auch bei ihnen so viele Stümperarbeit und so wenig
Freies, Echterfreuliches. Doch das wäre zu verschmerzen, müßten solche
Menschen nur uicht fühllos sein für alles schöne Leben, ruhte nur nicht
überall der Fluch der gottverlaßncn Unnatur auf solchem Volke!" Wenn
Hölderlin zu Ausgang der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts so
empfand und urteilte, wie müßte er erst heute fühlen, wie würde er heute
urteilen, heute, wo wir mehr als je ,,jede Kraft ersticken, die nicht zum Titel
paßt," mehr als je „mit karger Angst, buchstäblich heuchlerisch" nur sind,
was wir heißen, wo das „Fach" in ganz andrer Weise als vor hundert Jahren
den Menschen verschlingt, und wo der Fluch nahezu erfüllt scheint, den schon
Hyperion über den Deutschen schweben sieht, daß „bei ihnen eigentlich das
Leben schal und sorgenschwer und übervoll von kalter, stummer Zwietracht"
ist, und daß „der Rausch wächst mit den Sorgen, und mit der Üppigkeit der
Hunger und die Nahrnngsangst; zum Fluche wird der Segen jedes Jahrs,
und alle Götter fliehn." Wie eine düstre Prophezeiung unsrer eignen Tage
erklingen diese Klagen Hyperion-Hvlderlins.

Es ist freilich leicht zu sagen, daß in ihnen der Wahnsinn, der den
Dichter wenige Jahre später umnachtete, seine Schatten bereits vorausgeworfen


Grenzboten IV 1892 15
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[0121] [Abbildung] Friedrich Hölderlin von Adolf Stern lZWL^A Ä5UM^ '^^^UW O«n Wenigen Jahren erfüllt sich ein Jahrhundert, seit Schillers schwäbischer Landsmann und Schüler, Friedrich Hölderlin, jenen tief elegischen lyrischen Roman herausgab, in dessen Schlnß- briefen die bitterste Verurteilung enthalten war, die deutscher Idealismus jemals über das eigne Volk verhängt hat. den Hyperion. ,,Es ist ein hartes Wort, und dennoch sag ichs, weil es Wahrheit ist: ich kann kein Volk mir denken, das zerrissener wäre wie die Deutschen. Handwerker siehst du, aber keine Menschen. Denker, aber keine Menschen, Priester, aber keine Menschen, Herrn und Knechte, Jungen und gesetzte Leute, aber keine Menschen — ist das nicht wie ein Schlachtfeld, wo Hände und Arme und alle Glieder zerstückelt unter einander liegen, indessen das vergvßne Lebensblut im Sande zerrinnt? Deine Deutschen bleiben gerne beim Not¬ wendigsten, und darum ist auch bei ihnen so viele Stümperarbeit und so wenig Freies, Echterfreuliches. Doch das wäre zu verschmerzen, müßten solche Menschen nur uicht fühllos sein für alles schöne Leben, ruhte nur nicht überall der Fluch der gottverlaßncn Unnatur auf solchem Volke!" Wenn Hölderlin zu Ausgang der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts so empfand und urteilte, wie müßte er erst heute fühlen, wie würde er heute urteilen, heute, wo wir mehr als je ,,jede Kraft ersticken, die nicht zum Titel paßt," mehr als je „mit karger Angst, buchstäblich heuchlerisch" nur sind, was wir heißen, wo das „Fach" in ganz andrer Weise als vor hundert Jahren den Menschen verschlingt, und wo der Fluch nahezu erfüllt scheint, den schon Hyperion über den Deutschen schweben sieht, daß „bei ihnen eigentlich das Leben schal und sorgenschwer und übervoll von kalter, stummer Zwietracht" ist, und daß „der Rausch wächst mit den Sorgen, und mit der Üppigkeit der Hunger und die Nahrnngsangst; zum Fluche wird der Segen jedes Jahrs, und alle Götter fliehn." Wie eine düstre Prophezeiung unsrer eignen Tage erklingen diese Klagen Hyperion-Hvlderlins. Es ist freilich leicht zu sagen, daß in ihnen der Wahnsinn, der den Dichter wenige Jahre später umnachtete, seine Schatten bereits vorausgeworfen Grenzboten IV 1892 15

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/121>, abgerufen am 27.04.2024.