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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Friedrich Hölderlin
von Adolf Stern , (Schluß)

n der ersten Hälfte des Jahres 1795 erfuhr Hölderlin den
verhängnisvollen Widerspruch, daß die echte Poesie zwar ein
Beruf, der unter Umständen den ganzen Menschen fordert, aber
niemals ein Geschäft und nur in besonders günstigen Fällen
eine nährende Kunst ist. Wohl hatte Schiller den junge"
Landsmann, in dem er Züge seines eignen Wesens, Züge seiner eignen Jugend
erkannte, und der ganz offenbar die Keime einer bedeutenden Entwicklung in
sich trug, freundlich, ja freundschaftlich bei sich aufgenommen, er hatte den
Lyriker durch die Aufnahme einiger Gedichte in die "Thalia" ehrenvoller
und gewichtiger in die Öffentlichkeit eingeführt, als es durch Stäudlius
schwäbischen Musenalmanach hätte geschehen können, hatte ihn durch die Auf¬
forderung zur Mitarbeit an seinem eignen Musenalmanach beglückt und selbst
dem Roman "Hyperion," an dem Hölderlin arbeitete (und von dem ein Bruch¬
stück als Probe gleichfalls in Schillers "Thalia" erschien) durch seine nach¬
drückliche Empfehlung an Cotta einen Verleger gewonnen, aber der junge
Dichter erkannte bald, daß ein halbes und ein ganzes Jahr nicht hinreichen
würden, den Roman zu vollenden, daß er zu nichts ungeschickter sei, als
seinen poetischen Ideen und Empfindungen um des Bedürfnisses willen Ge¬
stalt zu leihen. Er konnte nicht daran denken, sich durch deu Ertrag des
"Hyperion" ein Jahr in Jena zu behaupten, "vorauf es ursprünglich abge¬
sehen gewesen war, kehrte im Hochsommer 1795 nach Schwaben zurück und
richtete von Nürtiugen aus jenen bekannten Brief an Schiller, in dem er ihm
sagte: "Ich wußte wohl, daß ich mich nicht, ohne meinem Innern merklichen
Abbruch zu thun, aus Ihrer Nahe würde entfernen können. Ich Hütte es
auch schwerlich mit all meinen Motiven über mich gewonnen, zu gehen, wenn
nicht eben diese Nähe mich von der andern Seite so oft beunruhigt hätte. Ich
war immer in Versuchung, Sie zu sehen, und sah Sie immer nur, um zu
fühlen, daß ich Ihnen nichts sein konnte. Ich sehe wohl, daß ich mit dem
Schmerze, den ich so oft mit mir herumtrug, notwendigerweise meine stolzen




Friedrich Hölderlin
von Adolf Stern , (Schluß)

n der ersten Hälfte des Jahres 1795 erfuhr Hölderlin den
verhängnisvollen Widerspruch, daß die echte Poesie zwar ein
Beruf, der unter Umständen den ganzen Menschen fordert, aber
niemals ein Geschäft und nur in besonders günstigen Fällen
eine nährende Kunst ist. Wohl hatte Schiller den junge»
Landsmann, in dem er Züge seines eignen Wesens, Züge seiner eignen Jugend
erkannte, und der ganz offenbar die Keime einer bedeutenden Entwicklung in
sich trug, freundlich, ja freundschaftlich bei sich aufgenommen, er hatte den
Lyriker durch die Aufnahme einiger Gedichte in die „Thalia" ehrenvoller
und gewichtiger in die Öffentlichkeit eingeführt, als es durch Stäudlius
schwäbischen Musenalmanach hätte geschehen können, hatte ihn durch die Auf¬
forderung zur Mitarbeit an seinem eignen Musenalmanach beglückt und selbst
dem Roman „Hyperion," an dem Hölderlin arbeitete (und von dem ein Bruch¬
stück als Probe gleichfalls in Schillers „Thalia" erschien) durch seine nach¬
drückliche Empfehlung an Cotta einen Verleger gewonnen, aber der junge
Dichter erkannte bald, daß ein halbes und ein ganzes Jahr nicht hinreichen
würden, den Roman zu vollenden, daß er zu nichts ungeschickter sei, als
seinen poetischen Ideen und Empfindungen um des Bedürfnisses willen Ge¬
stalt zu leihen. Er konnte nicht daran denken, sich durch deu Ertrag des
„Hyperion" ein Jahr in Jena zu behaupten, »vorauf es ursprünglich abge¬
sehen gewesen war, kehrte im Hochsommer 1795 nach Schwaben zurück und
richtete von Nürtiugen aus jenen bekannten Brief an Schiller, in dem er ihm
sagte: „Ich wußte wohl, daß ich mich nicht, ohne meinem Innern merklichen
Abbruch zu thun, aus Ihrer Nahe würde entfernen können. Ich Hütte es
auch schwerlich mit all meinen Motiven über mich gewonnen, zu gehen, wenn
nicht eben diese Nähe mich von der andern Seite so oft beunruhigt hätte. Ich
war immer in Versuchung, Sie zu sehen, und sah Sie immer nur, um zu
fühlen, daß ich Ihnen nichts sein konnte. Ich sehe wohl, daß ich mit dem
Schmerze, den ich so oft mit mir herumtrug, notwendigerweise meine stolzen


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[0174] [Abbildung] Friedrich Hölderlin von Adolf Stern , (Schluß) n der ersten Hälfte des Jahres 1795 erfuhr Hölderlin den verhängnisvollen Widerspruch, daß die echte Poesie zwar ein Beruf, der unter Umständen den ganzen Menschen fordert, aber niemals ein Geschäft und nur in besonders günstigen Fällen eine nährende Kunst ist. Wohl hatte Schiller den junge» Landsmann, in dem er Züge seines eignen Wesens, Züge seiner eignen Jugend erkannte, und der ganz offenbar die Keime einer bedeutenden Entwicklung in sich trug, freundlich, ja freundschaftlich bei sich aufgenommen, er hatte den Lyriker durch die Aufnahme einiger Gedichte in die „Thalia" ehrenvoller und gewichtiger in die Öffentlichkeit eingeführt, als es durch Stäudlius schwäbischen Musenalmanach hätte geschehen können, hatte ihn durch die Auf¬ forderung zur Mitarbeit an seinem eignen Musenalmanach beglückt und selbst dem Roman „Hyperion," an dem Hölderlin arbeitete (und von dem ein Bruch¬ stück als Probe gleichfalls in Schillers „Thalia" erschien) durch seine nach¬ drückliche Empfehlung an Cotta einen Verleger gewonnen, aber der junge Dichter erkannte bald, daß ein halbes und ein ganzes Jahr nicht hinreichen würden, den Roman zu vollenden, daß er zu nichts ungeschickter sei, als seinen poetischen Ideen und Empfindungen um des Bedürfnisses willen Ge¬ stalt zu leihen. Er konnte nicht daran denken, sich durch deu Ertrag des „Hyperion" ein Jahr in Jena zu behaupten, »vorauf es ursprünglich abge¬ sehen gewesen war, kehrte im Hochsommer 1795 nach Schwaben zurück und richtete von Nürtiugen aus jenen bekannten Brief an Schiller, in dem er ihm sagte: „Ich wußte wohl, daß ich mich nicht, ohne meinem Innern merklichen Abbruch zu thun, aus Ihrer Nahe würde entfernen können. Ich Hütte es auch schwerlich mit all meinen Motiven über mich gewonnen, zu gehen, wenn nicht eben diese Nähe mich von der andern Seite so oft beunruhigt hätte. Ich war immer in Versuchung, Sie zu sehen, und sah Sie immer nur, um zu fühlen, daß ich Ihnen nichts sein konnte. Ich sehe wohl, daß ich mit dem Schmerze, den ich so oft mit mir herumtrug, notwendigerweise meine stolzen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/174>, abgerufen am 27.04.2024.