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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Forderungen büßte; weil ich Ihnen so viel sein wollte, mußte ich mir sagen,
daß ich Ihnen nichts wäre. Aber ich freue mich, daß ich so gewiß mir sagen
kann, daß ich den Wert des Geistes, den ich achte, so weit ich ihn ermessen
kann, in mancher guten Stunde rein empfand, und daß mein Streben, ihm
recht viel zu sein, im Grunde nichts andres war, als der gerechte Wunsch,
dem Guten, Schönen und Wahren, sei es unerreichbar oder erreichbar, sich mit
seinem Individuum zu nähern, und daß man nicht gerne dabei einzig sein
Richter ist, ist gewiß auch menschlich, gewiß natürlich."

Sicherlich hat Litzmann Recht, wenn er die Zeit des Dichters in Nür-
tingen vom August 1795 bis zum Januar 1796 als eine trübe und uner¬
freuliche betrachtet. Ja er legt ihr vielleicht für die wachsende Verdüsterung
von Hölderlins Geiste noch nicht genng Gewicht bei. Daß sich der Fünfnnd-
zwanzigjcihrige als ein Gescheiterter erschien, daß er den Abstand seiner
heimatlichen Verhältnisse gegen das eben erlebte bitterer und schärfer als zuvor
empfand, daß er sich vorkam "wie ein hohler Hafen," nicht gern einen Ton
von sich gab, von dein Unbestimmten seiner Lage, seiner Einsamkeit und dem
Gedanken, daß er daheim allmählich ein lästiger Gast sein möchte, nieder¬
gedrückt wurde, daß er aufseufzte: "Wär ich doch geblieben, wo ich war. Es
war mein dümmster Streich, daß ich ins Land zurückging," daß er sich anch
körperlich leidend fühlte, entfremdete ihn der Wirklichkeit immer mehr. Die
Beseligung, die er in seinem zugleich überschwänglichen und wunderbar feinen
Nnturgefühl in sich trug, die Hoffnung auf freiere Flüge und höheres Ge¬
lingen als lyrischer Dichter erwies sich wirkungslos gegen die nagende Em¬
pfindung seines Alleinsteheus, gegen die gesteigerte Wehmut über die Ohnmacht
des Menschen, den es gelüstet, die Natter zu zertreten, "das kriechende Jahr¬
hundert, das alle schöne Natur im Keime vergiftet," gegen die pantheistische
Tvdessehnsncht, die mit dem heiligen Äther und dem brüderlichen Licht eins
zu werden strebte. scharfblickend hatte Schiller diesen Wurm in der Seele
des jungen Laudsmnuns erkannt: als er im Juni 1797 Hölderlins Gedichte
>,Der Äther" und "Der Wanderer" an Goethe geschickt hatte und dieser den
Gedichten "nicht ganz ungünstig war," bemerkte Schiller: "Es ist nicht das
erstemal, daß mich der Verfasser an mich mahnte. Er hat eine heftige Sub¬
jektivität und verbindet damit einen gewissen philosophischen Geist und Tief¬
sinn. Sein Zustand ist gefährlich, da solchen Naturen so gar schwer beizu-
kommen ist."

Und nun wollte es Hölderlins Verhängnis, daß er den unsühubaren
tiefen Zwiespalt zwischen seinem Verlangen nach höchster und reinster Har¬
monie des Daseins und der wirklichen Gestalt des gebrechlichen Lebens nicht
mehr bloß innerlich träumen und vorempfinden, sondern in erschütternder
Weise durchleben sollte. Im Januar 1796 trat er als Hauslehrer in das
Haus des Kaufmnuns Jakob Friedrich Goulard zu Frankfurt am Main, der


Forderungen büßte; weil ich Ihnen so viel sein wollte, mußte ich mir sagen,
daß ich Ihnen nichts wäre. Aber ich freue mich, daß ich so gewiß mir sagen
kann, daß ich den Wert des Geistes, den ich achte, so weit ich ihn ermessen
kann, in mancher guten Stunde rein empfand, und daß mein Streben, ihm
recht viel zu sein, im Grunde nichts andres war, als der gerechte Wunsch,
dem Guten, Schönen und Wahren, sei es unerreichbar oder erreichbar, sich mit
seinem Individuum zu nähern, und daß man nicht gerne dabei einzig sein
Richter ist, ist gewiß auch menschlich, gewiß natürlich."

Sicherlich hat Litzmann Recht, wenn er die Zeit des Dichters in Nür-
tingen vom August 1795 bis zum Januar 1796 als eine trübe und uner¬
freuliche betrachtet. Ja er legt ihr vielleicht für die wachsende Verdüsterung
von Hölderlins Geiste noch nicht genng Gewicht bei. Daß sich der Fünfnnd-
zwanzigjcihrige als ein Gescheiterter erschien, daß er den Abstand seiner
heimatlichen Verhältnisse gegen das eben erlebte bitterer und schärfer als zuvor
empfand, daß er sich vorkam „wie ein hohler Hafen," nicht gern einen Ton
von sich gab, von dein Unbestimmten seiner Lage, seiner Einsamkeit und dem
Gedanken, daß er daheim allmählich ein lästiger Gast sein möchte, nieder¬
gedrückt wurde, daß er aufseufzte: „Wär ich doch geblieben, wo ich war. Es
war mein dümmster Streich, daß ich ins Land zurückging," daß er sich anch
körperlich leidend fühlte, entfremdete ihn der Wirklichkeit immer mehr. Die
Beseligung, die er in seinem zugleich überschwänglichen und wunderbar feinen
Nnturgefühl in sich trug, die Hoffnung auf freiere Flüge und höheres Ge¬
lingen als lyrischer Dichter erwies sich wirkungslos gegen die nagende Em¬
pfindung seines Alleinsteheus, gegen die gesteigerte Wehmut über die Ohnmacht
des Menschen, den es gelüstet, die Natter zu zertreten, „das kriechende Jahr¬
hundert, das alle schöne Natur im Keime vergiftet," gegen die pantheistische
Tvdessehnsncht, die mit dem heiligen Äther und dem brüderlichen Licht eins
zu werden strebte. scharfblickend hatte Schiller diesen Wurm in der Seele
des jungen Laudsmnuns erkannt: als er im Juni 1797 Hölderlins Gedichte
>,Der Äther" und „Der Wanderer" an Goethe geschickt hatte und dieser den
Gedichten „nicht ganz ungünstig war," bemerkte Schiller: „Es ist nicht das
erstemal, daß mich der Verfasser an mich mahnte. Er hat eine heftige Sub¬
jektivität und verbindet damit einen gewissen philosophischen Geist und Tief¬
sinn. Sein Zustand ist gefährlich, da solchen Naturen so gar schwer beizu-
kommen ist."

Und nun wollte es Hölderlins Verhängnis, daß er den unsühubaren
tiefen Zwiespalt zwischen seinem Verlangen nach höchster und reinster Har¬
monie des Daseins und der wirklichen Gestalt des gebrechlichen Lebens nicht
mehr bloß innerlich träumen und vorempfinden, sondern in erschütternder
Weise durchleben sollte. Im Januar 1796 trat er als Hauslehrer in das
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/175>, abgerufen am 09.05.2024.