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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Lin amerikanischer Sozialist

gefordert; was das aber ist, ist den meisten Menschen, auch vielen unsrer
Hausfrauen trotz des Scheuertenfels eine völlig verborgne Sache. Peinliche
Sauberkeit muß anerzogen werden, sie will gelernt sein wie das Mikroskopiren.
Das unbequeme dabei ist, daß man stets an sie denken muß, daß man sich
vorstellen muß, man lebe in eiuer Welt, die mit einem unsichtbaren Ruß über¬
zogen ist.

Dasselbe gilt vom Desinsiziren; auch dies will gelernt sein. Es ist keine
Thätigkeit, die mechanisch ausgeübt werden kann, man muß Zweck und Mittel
stets vor Augen haben. Wenn man in Halbstadt an der schlesisch-öster-
reichischen Grenze unter Desinfiziren "moderirt verwüsten" verstanden hat, so
ist das ebenso verkehrt, als wenn man sich einbildet, man habe desinfizirt,
sobald man einen tüchtigen Gestank angerichtet habe. Das große Publikum
ist immer noch der Meinung, daß die Cholera in der Luft stecke und durch
Räucherei Vertrieben werden könne. Es müßte durch Gesetz angeordnet werden,
daß an jedem Orte ein Jsvlirraum, Desinfektionsmittel und ein eingeübtes
Personal ebenso zu finden sei, wie jeder Ort seine Feuerspritze und seinen
Spritzenmeister hat.

Wir sind noch keineswegs über den Berg hinweg. Was man so lange
zu verhüten gesucht hat, scheint nnn doch einzutreten, es bilden sich neue
Seuchenherde. Die verunreinigten Wnsscrläufe bringen die Gefahr. Bon
Amsterdam aus hat sich die Cholera durch die Kanäle ins Land verbreitet.
Man muß annehmen, daß Oder, Spree und Havel und die verbindenden Kanäle
bereits insizirt sind. Aber die Hauptgefahr droht erst im nächsten Jahre,
denn der Winter ist kein sichres Gegenmittel. Man kann eine kurzsichtige
und träge Bevölkerung bis dahin nicht umwandeln, aber man kann eine gute
Gesundheitsbehörde organisiren, und das ist es, was not thut.




(Lin amerikanischer ^ozialist
i

in Freund unsrer Zeitschrift übersendet uns zwei Bücher des
Amerikaners Laurence Gronlund mit der Bitte, ihren Ge-
dankengang den Lesern zu übermitteln. Die Titel lauten:
Ins Loovörativv LiomlnvuviZAlt^, ^Vn öxxoÄtion ol' inoclsrn
Mvmlisin, und: Our Osse-in^, Imo inllv.0no6 ok ZooiMsin, on
morals g.na rsliAon. ^.n sssii-y in ötniv8. Beide sind 1891 in London bei


Lin amerikanischer Sozialist

gefordert; was das aber ist, ist den meisten Menschen, auch vielen unsrer
Hausfrauen trotz des Scheuertenfels eine völlig verborgne Sache. Peinliche
Sauberkeit muß anerzogen werden, sie will gelernt sein wie das Mikroskopiren.
Das unbequeme dabei ist, daß man stets an sie denken muß, daß man sich
vorstellen muß, man lebe in eiuer Welt, die mit einem unsichtbaren Ruß über¬
zogen ist.

Dasselbe gilt vom Desinsiziren; auch dies will gelernt sein. Es ist keine
Thätigkeit, die mechanisch ausgeübt werden kann, man muß Zweck und Mittel
stets vor Augen haben. Wenn man in Halbstadt an der schlesisch-öster-
reichischen Grenze unter Desinfiziren „moderirt verwüsten" verstanden hat, so
ist das ebenso verkehrt, als wenn man sich einbildet, man habe desinfizirt,
sobald man einen tüchtigen Gestank angerichtet habe. Das große Publikum
ist immer noch der Meinung, daß die Cholera in der Luft stecke und durch
Räucherei Vertrieben werden könne. Es müßte durch Gesetz angeordnet werden,
daß an jedem Orte ein Jsvlirraum, Desinfektionsmittel und ein eingeübtes
Personal ebenso zu finden sei, wie jeder Ort seine Feuerspritze und seinen
Spritzenmeister hat.

Wir sind noch keineswegs über den Berg hinweg. Was man so lange
zu verhüten gesucht hat, scheint nnn doch einzutreten, es bilden sich neue
Seuchenherde. Die verunreinigten Wnsscrläufe bringen die Gefahr. Bon
Amsterdam aus hat sich die Cholera durch die Kanäle ins Land verbreitet.
Man muß annehmen, daß Oder, Spree und Havel und die verbindenden Kanäle
bereits insizirt sind. Aber die Hauptgefahr droht erst im nächsten Jahre,
denn der Winter ist kein sichres Gegenmittel. Man kann eine kurzsichtige
und träge Bevölkerung bis dahin nicht umwandeln, aber man kann eine gute
Gesundheitsbehörde organisiren, und das ist es, was not thut.




(Lin amerikanischer ^ozialist
i

in Freund unsrer Zeitschrift übersendet uns zwei Bücher des
Amerikaners Laurence Gronlund mit der Bitte, ihren Ge-
dankengang den Lesern zu übermitteln. Die Titel lauten:
Ins Loovörativv LiomlnvuviZAlt^, ^Vn öxxoÄtion ol' inoclsrn
Mvmlisin, und: Our Osse-in^, Imo inllv.0no6 ok ZooiMsin, on
morals g.na rsliAon. ^.n sssii-y in ötniv8. Beide sind 1891 in London bei


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[0018] Lin amerikanischer Sozialist gefordert; was das aber ist, ist den meisten Menschen, auch vielen unsrer Hausfrauen trotz des Scheuertenfels eine völlig verborgne Sache. Peinliche Sauberkeit muß anerzogen werden, sie will gelernt sein wie das Mikroskopiren. Das unbequeme dabei ist, daß man stets an sie denken muß, daß man sich vorstellen muß, man lebe in eiuer Welt, die mit einem unsichtbaren Ruß über¬ zogen ist. Dasselbe gilt vom Desinsiziren; auch dies will gelernt sein. Es ist keine Thätigkeit, die mechanisch ausgeübt werden kann, man muß Zweck und Mittel stets vor Augen haben. Wenn man in Halbstadt an der schlesisch-öster- reichischen Grenze unter Desinfiziren „moderirt verwüsten" verstanden hat, so ist das ebenso verkehrt, als wenn man sich einbildet, man habe desinfizirt, sobald man einen tüchtigen Gestank angerichtet habe. Das große Publikum ist immer noch der Meinung, daß die Cholera in der Luft stecke und durch Räucherei Vertrieben werden könne. Es müßte durch Gesetz angeordnet werden, daß an jedem Orte ein Jsvlirraum, Desinfektionsmittel und ein eingeübtes Personal ebenso zu finden sei, wie jeder Ort seine Feuerspritze und seinen Spritzenmeister hat. Wir sind noch keineswegs über den Berg hinweg. Was man so lange zu verhüten gesucht hat, scheint nnn doch einzutreten, es bilden sich neue Seuchenherde. Die verunreinigten Wnsscrläufe bringen die Gefahr. Bon Amsterdam aus hat sich die Cholera durch die Kanäle ins Land verbreitet. Man muß annehmen, daß Oder, Spree und Havel und die verbindenden Kanäle bereits insizirt sind. Aber die Hauptgefahr droht erst im nächsten Jahre, denn der Winter ist kein sichres Gegenmittel. Man kann eine kurzsichtige und träge Bevölkerung bis dahin nicht umwandeln, aber man kann eine gute Gesundheitsbehörde organisiren, und das ist es, was not thut. (Lin amerikanischer ^ozialist i in Freund unsrer Zeitschrift übersendet uns zwei Bücher des Amerikaners Laurence Gronlund mit der Bitte, ihren Ge- dankengang den Lesern zu übermitteln. Die Titel lauten: Ins Loovörativv LiomlnvuviZAlt^, ^Vn öxxoÄtion ol' inoclsrn Mvmlisin, und: Our Osse-in^, Imo inllv.0no6 ok ZooiMsin, on morals g.na rsliAon. ^.n sssii-y in ötniv8. Beide sind 1891 in London bei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/18>, abgerufen am 27.04.2024.