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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Ma Professor Knorre, als er ihr die Rektorcitsrede eines Schweizer Profes¬
sors über die Bestimmung der Frau mitgebracht hatte.

Doch nicht so schwer, erwiderte Knorre. Haben wirs nicht fertig ge¬
bracht? Es gäbe keine Frauenfrage mehr, wenn jeder alte Junggeselle zur
praktischen Lösung soviel beitrüge, wie ich, wenn wir die Madchen nicht zu
geheimnisvollen Nasen für den Salon und für die Badereise erzogen, sondern
zu einfachen, praktischen Berufsarten, wenn wir sie nicht zu geschwätzigen
Elstern heranbildeten, die drei Sprachen treiben und sich dabei in ihrer Mutter¬
sprache nicht verständig ausdrücken können, wenn wir ihnen wieder gesundes
Blut, frische Sinne und krüstige Nerven verschafften, wenn wir sie nicht täg¬
lich fünf oder sechs Stunden lang in einen dumpfen Schulraum einpferchten
und ihnen später die innern Organe dnrch eine ganz verkehrte Lebensweise
und dnrch unsinnige Gewohnheiten verdürben, sondern sie in einfachen Ver¬
hältnissen, im Sonnenlicht und in reiner Luft aufwachsen ließen, mit einem
Wort, wenn die deutschen Mütter vernünftiger würden.

Und die deutschen Väter auch, sagte Luise, denn solche Männer wie Pro¬
fessor Knorre sind in Deutschland selten. --

Bis hierher ist "reine Geschichte wahr, ganz wahr. Nun würde ich ge¬
wiß den Leserinnen und manchen: alten Junggesellen eine große Freude machen,
wenn ich zum Schluß noch erzählte, daß Professor Knorre Fräulein Luise
Schmidt geheiratet habe. Das wäre aber nicht wahr, denn vor einigen Tagen
s"gte mir mein Freund, der Landgerichtsrat Bergmann, es sei von ihm eine
Advptionsurkunde unterzeichnet worden, worin Professor Knorre die Luise
Schmidt an Kindesstatt angenommen habe.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Der Distauzritt.

Nichts ist mehr geeignet, wegen des Bestandes der gegeu-
wiirtigcn Gesellschaftsordnung Zweifel zu erregen, als die grundverschcedne" Äuf-
snssungeu der verschieime" BevölterungSklnssen über Erscheinungen auf poete.sehen
"ut sittlichen. Gebiete. Die Berschiedeuheit ist se> groß, die Gegensatze sind ,o
uuversllhnlich, daß mau eine Ausgleichung, ja auch uur eine Annäherung sur an^
"eschlosseu halten muß. ,

^^
In Wien wie in Berlin wurde" in diese" Tage" die .tzerre". die den Distanz-
^i" mitgemacht hatte", gefeiert, als wen" sie das Vaterland gerettet hatte". ^iele
Tausende bezeugte" für das Unternehmen das größte Interesse, d.e Ze.einigen wäre"
""t eingehenden' Berichte" angefüllt, die Spannung eines großen Teilv deo ^uMctum-
Srmzte an Fieberparoxysmus. der Bewundrung war kein Ende. Und daneben
sprach ein großer Teil der urteilsfähigen Menge von den. Unternehmen in.t der


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Ma Professor Knorre, als er ihr die Rektorcitsrede eines Schweizer Profes¬
sors über die Bestimmung der Frau mitgebracht hatte.

Doch nicht so schwer, erwiderte Knorre. Haben wirs nicht fertig ge¬
bracht? Es gäbe keine Frauenfrage mehr, wenn jeder alte Junggeselle zur
praktischen Lösung soviel beitrüge, wie ich, wenn wir die Madchen nicht zu
geheimnisvollen Nasen für den Salon und für die Badereise erzogen, sondern
zu einfachen, praktischen Berufsarten, wenn wir sie nicht zu geschwätzigen
Elstern heranbildeten, die drei Sprachen treiben und sich dabei in ihrer Mutter¬
sprache nicht verständig ausdrücken können, wenn wir ihnen wieder gesundes
Blut, frische Sinne und krüstige Nerven verschafften, wenn wir sie nicht täg¬
lich fünf oder sechs Stunden lang in einen dumpfen Schulraum einpferchten
und ihnen später die innern Organe dnrch eine ganz verkehrte Lebensweise
und dnrch unsinnige Gewohnheiten verdürben, sondern sie in einfachen Ver¬
hältnissen, im Sonnenlicht und in reiner Luft aufwachsen ließen, mit einem
Wort, wenn die deutschen Mütter vernünftiger würden.

Und die deutschen Väter auch, sagte Luise, denn solche Männer wie Pro¬
fessor Knorre sind in Deutschland selten. —

Bis hierher ist »reine Geschichte wahr, ganz wahr. Nun würde ich ge¬
wiß den Leserinnen und manchen: alten Junggesellen eine große Freude machen,
wenn ich zum Schluß noch erzählte, daß Professor Knorre Fräulein Luise
Schmidt geheiratet habe. Das wäre aber nicht wahr, denn vor einigen Tagen
s"gte mir mein Freund, der Landgerichtsrat Bergmann, es sei von ihm eine
Advptionsurkunde unterzeichnet worden, worin Professor Knorre die Luise
Schmidt an Kindesstatt angenommen habe.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Der Distauzritt.

Nichts ist mehr geeignet, wegen des Bestandes der gegeu-
wiirtigcn Gesellschaftsordnung Zweifel zu erregen, als die grundverschcedne» Äuf-
snssungeu der verschieime» BevölterungSklnssen über Erscheinungen auf poete.sehen
"ut sittlichen. Gebiete. Die Berschiedeuheit ist se> groß, die Gegensatze sind ,o
uuversllhnlich, daß mau eine Ausgleichung, ja auch uur eine Annäherung sur an^
»eschlosseu halten muß. ,

^^
In Wien wie in Berlin wurde» in diese» Tage» die .tzerre». die den Distanz-
^i" mitgemacht hatte», gefeiert, als wen» sie das Vaterland gerettet hatte». ^iele
Tausende bezeugte» für das Unternehmen das größte Interesse, d.e Ze.einigen wäre»
""t eingehenden' Berichte» angefüllt, die Spannung eines großen Teilv deo ^uMctum-
Srmzte an Fieberparoxysmus. der Bewundrung war kein Ende. Und daneben
sprach ein großer Teil der urteilsfähigen Menge von den. Unternehmen in.t der


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[0195] Maßgebliches und Unmaßgebliches Ma Professor Knorre, als er ihr die Rektorcitsrede eines Schweizer Profes¬ sors über die Bestimmung der Frau mitgebracht hatte. Doch nicht so schwer, erwiderte Knorre. Haben wirs nicht fertig ge¬ bracht? Es gäbe keine Frauenfrage mehr, wenn jeder alte Junggeselle zur praktischen Lösung soviel beitrüge, wie ich, wenn wir die Madchen nicht zu geheimnisvollen Nasen für den Salon und für die Badereise erzogen, sondern zu einfachen, praktischen Berufsarten, wenn wir sie nicht zu geschwätzigen Elstern heranbildeten, die drei Sprachen treiben und sich dabei in ihrer Mutter¬ sprache nicht verständig ausdrücken können, wenn wir ihnen wieder gesundes Blut, frische Sinne und krüstige Nerven verschafften, wenn wir sie nicht täg¬ lich fünf oder sechs Stunden lang in einen dumpfen Schulraum einpferchten und ihnen später die innern Organe dnrch eine ganz verkehrte Lebensweise und dnrch unsinnige Gewohnheiten verdürben, sondern sie in einfachen Ver¬ hältnissen, im Sonnenlicht und in reiner Luft aufwachsen ließen, mit einem Wort, wenn die deutschen Mütter vernünftiger würden. Und die deutschen Väter auch, sagte Luise, denn solche Männer wie Pro¬ fessor Knorre sind in Deutschland selten. — Bis hierher ist »reine Geschichte wahr, ganz wahr. Nun würde ich ge¬ wiß den Leserinnen und manchen: alten Junggesellen eine große Freude machen, wenn ich zum Schluß noch erzählte, daß Professor Knorre Fräulein Luise Schmidt geheiratet habe. Das wäre aber nicht wahr, denn vor einigen Tagen s"gte mir mein Freund, der Landgerichtsrat Bergmann, es sei von ihm eine Advptionsurkunde unterzeichnet worden, worin Professor Knorre die Luise Schmidt an Kindesstatt angenommen habe. Maßgebliches und Unmaßgebliches Der Distauzritt. Nichts ist mehr geeignet, wegen des Bestandes der gegeu- wiirtigcn Gesellschaftsordnung Zweifel zu erregen, als die grundverschcedne» Äuf- snssungeu der verschieime» BevölterungSklnssen über Erscheinungen auf poete.sehen "ut sittlichen. Gebiete. Die Berschiedeuheit ist se> groß, die Gegensatze sind ,o uuversllhnlich, daß mau eine Ausgleichung, ja auch uur eine Annäherung sur an^ »eschlosseu halten muß. , ^^ In Wien wie in Berlin wurde» in diese» Tage» die .tzerre». die den Distanz- ^i" mitgemacht hatte», gefeiert, als wen» sie das Vaterland gerettet hatte». ^iele Tausende bezeugte» für das Unternehmen das größte Interesse, d.e Ze.einigen wäre» ""t eingehenden' Berichte» angefüllt, die Spannung eines großen Teilv deo ^uMctum- Srmzte an Fieberparoxysmus. der Bewundrung war kein Ende. Und daneben sprach ein großer Teil der urteilsfähigen Menge von den. Unternehmen in.t der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/195>, abgerufen am 27.04.2024.