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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Bilder aus dem Universitätsleben

Ermattung und Lebenslust - sie konnte sich in diesen wirr durch einander
flutenden Seelenstimmungen nicht zurecht finden. Sie war kein sentimentales,
sondern ein entschloßnes, willensstarkes Mädchen, aber seit dem Tage, wo sie
ihre Mutter verloren hatte, hatte sie nie so bitterlich geweint, wie in dieser
Stunde.

Professor Knorre ging leichten Schritts und den Stock schwenkend nach
seiner Wohnung zurück. Er wußte nicht, ob er sich mehr darüber freuen sollte,
das; sein Kolleg nun ganz weiberfrei war, oder darüber, daß er einem guten,
verlaßnen Menschenkinde eine Wohlthat erwiesen hatte. --

Nach einigen Tagen erhielt er einen Brief mit dem Poststempel Nen-
dietendorf. Er kam von Fräulein Schmidt. Der Professor brummte, als er
darin ein paar überschwängliche Ausdrücke vou Dankbarkeit las, aber im
Grunde seines Herzens freute er sich, denn Luise schrieb, das Landleben thue
ihr wohl, und sie würde sich dort bald zurechtfinden. Es würde wohl eine
kleine Umgestaltung mit ihr vorgehen. Seine Schwägerin, Frau Knorre, sei
eine ausgezeichnete Frau von wohlwollender Gesinnung und stiller Mildthätig¬
keit, keine geheimnisvolle Vase, sondern eine einfache, offne und ehrliche Natur,
trotz ihres Reichtums frei von aller Überhebung und aller Selbstgerechtigkeit,
überdies eine Fran von Mutterwitz und richtigem Urteil, deren geistige Be¬
dürfnisse weit über illustrirte Familienjonrnalc hinaufginge". Aber es sei
auch eine Freude, sie in Küche und Keller zu begleiten.

Der Sommer verging schnell. Professor Knorre machte in den Univcrsi-
tätsferien eine Reise, und als die Ferien zu Ende waren, kehrte er mit Fräu¬
lein Schmidt nach der Universitätsstadt zurück. Aber sie studirte von nnn um
nicht mehr, sondern blieb bei dem Professor und leitete seinen Haushalt, denn
die Hotelwirtschaft hatte der Alte gründlich satt. Sie hatte sich in die prak¬
tische Arbeit so eingelebt, daß sie an den gelehrten Büchern immer mit einem
gewissen Gruseln vorbeiging. Nur den Beowulf ließ sie sich recht schön
einbinden und stellte ihn ganz vorn in ihren Bücherschrank. Und wenn sie in
ihren Mußestunden die unzähligen Aufsätze über die Frauenfrage sah, womit
alle Zeitungen und Zeitschriften gefüllt waren, dann fühlte sie sich so sicher
und behaglich, wie ein Seemann, der seine kleine Jolle glücklich durch die auf¬
geregten Wogen in den Hafen gebracht hat.

Ich muß mich jetzt, sagte sie dann oft, davor hüte", in die Selbstsucht
und Engherzigkeit der deutschen Durchschuittsweiber zu verfallen, die durch
irgend einen glücklichen Zufall oder durch einen ererbten Geldsack in den Besitz
eines eignen Herdes gelangt sind, die sich aber den Zufall als ihr eignes
Verdienst anrechnen und von einer Not nnter den Frauen nichts wissen wollen,
weil sie zu beschränkt sind, die ganze Frage zu verstehen, und zu egoistisch,
sich in ihrem spießbürgerlichen Glück stören zu lassen.

Die Frauenfrage ist doch recht schwer zu lösen, sagte sie eines Abends


Bilder aus dem Universitätsleben

Ermattung und Lebenslust - sie konnte sich in diesen wirr durch einander
flutenden Seelenstimmungen nicht zurecht finden. Sie war kein sentimentales,
sondern ein entschloßnes, willensstarkes Mädchen, aber seit dem Tage, wo sie
ihre Mutter verloren hatte, hatte sie nie so bitterlich geweint, wie in dieser
Stunde.

Professor Knorre ging leichten Schritts und den Stock schwenkend nach
seiner Wohnung zurück. Er wußte nicht, ob er sich mehr darüber freuen sollte,
das; sein Kolleg nun ganz weiberfrei war, oder darüber, daß er einem guten,
verlaßnen Menschenkinde eine Wohlthat erwiesen hatte. —

Nach einigen Tagen erhielt er einen Brief mit dem Poststempel Nen-
dietendorf. Er kam von Fräulein Schmidt. Der Professor brummte, als er
darin ein paar überschwängliche Ausdrücke vou Dankbarkeit las, aber im
Grunde seines Herzens freute er sich, denn Luise schrieb, das Landleben thue
ihr wohl, und sie würde sich dort bald zurechtfinden. Es würde wohl eine
kleine Umgestaltung mit ihr vorgehen. Seine Schwägerin, Frau Knorre, sei
eine ausgezeichnete Frau von wohlwollender Gesinnung und stiller Mildthätig¬
keit, keine geheimnisvolle Vase, sondern eine einfache, offne und ehrliche Natur,
trotz ihres Reichtums frei von aller Überhebung und aller Selbstgerechtigkeit,
überdies eine Fran von Mutterwitz und richtigem Urteil, deren geistige Be¬
dürfnisse weit über illustrirte Familienjonrnalc hinaufginge». Aber es sei
auch eine Freude, sie in Küche und Keller zu begleiten.

Der Sommer verging schnell. Professor Knorre machte in den Univcrsi-
tätsferien eine Reise, und als die Ferien zu Ende waren, kehrte er mit Fräu¬
lein Schmidt nach der Universitätsstadt zurück. Aber sie studirte von nnn um
nicht mehr, sondern blieb bei dem Professor und leitete seinen Haushalt, denn
die Hotelwirtschaft hatte der Alte gründlich satt. Sie hatte sich in die prak¬
tische Arbeit so eingelebt, daß sie an den gelehrten Büchern immer mit einem
gewissen Gruseln vorbeiging. Nur den Beowulf ließ sie sich recht schön
einbinden und stellte ihn ganz vorn in ihren Bücherschrank. Und wenn sie in
ihren Mußestunden die unzähligen Aufsätze über die Frauenfrage sah, womit
alle Zeitungen und Zeitschriften gefüllt waren, dann fühlte sie sich so sicher
und behaglich, wie ein Seemann, der seine kleine Jolle glücklich durch die auf¬
geregten Wogen in den Hafen gebracht hat.

Ich muß mich jetzt, sagte sie dann oft, davor hüte», in die Selbstsucht
und Engherzigkeit der deutschen Durchschuittsweiber zu verfallen, die durch
irgend einen glücklichen Zufall oder durch einen ererbten Geldsack in den Besitz
eines eignen Herdes gelangt sind, die sich aber den Zufall als ihr eignes
Verdienst anrechnen und von einer Not nnter den Frauen nichts wissen wollen,
weil sie zu beschränkt sind, die ganze Frage zu verstehen, und zu egoistisch,
sich in ihrem spießbürgerlichen Glück stören zu lassen.

Die Frauenfrage ist doch recht schwer zu lösen, sagte sie eines Abends


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/194>, abgerufen am 26.05.2024.