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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Das Nichtige wäre es doch wohl, wenn man alle Stellen, wo offenbare Flüchtig¬
keit des Komponisten vorliegt, stillschweigend berichtigte, an allen Stellen aber, wo
der Komponist vielleicht oder offenbar mit einer bestimmten künstlerischen Absicht
den Text verändert hat, wenigstens in Anmerkungen oder in einem Anhange den
echten Text gäbe, damit ihn der Sänger wenigstens kennen lernte. Wir möchten
diesen Vorschlag solchen Musikalienhandlungen, wie denen von Breitkopf und Härtel,
C. F. Peters und andern, die eine Ehre darein setzen, die besten und korrektesten
Ausgaben zu liefern, zur Erwägung geben.


Die Landwehr.

Der Wahlsieg vom Frühjahr 1887, der der Reichs-
tagsmchrheit Windthoist-Richter-Grillenberger ein Ende machte, ist unter dem
Zeichen der damaligen Militärvvrlage vor allen auch von den alten Soldaten er¬
fochten worden. Der Neichsregierung müßte deßhalb, so sollte man meinen, dringend
daran gelegen sein, sich und ihrer neuen Militärvorlage für den Fall einer Reichs¬
tagsauflösung auch jetzt wieder die Sympathien der Landwehrwähler zu sicher,:.
Es gehört zu den Unbegreiflichkeiten des neuen Kurses, daß statt dessen gerade
diese Wähler durch den Mund des Militärwochenblattes aufs empfindlichste
verletzt werden. Die Landwehr weiß recht gut, daß sie es nu Eleganz,
Raschheit und Präzision der Bewegungen mit der Linie nicht aufnehmen kann.
Für eine minderwertige und nur beschränkt felddienstfähige Truppe hat sie sich aber
niemals halten mögen. An reifem Ehrgefühl, an Kraft und Zähigkeit des Ent¬
schlusses glaubte sie den Zwanzigjährigen sogar überlegen zu sein. Sie will sich
auch deshalb nicht schlechter schlagen, weil sie -- gleich den meisten ältern Offi¬
zieren und Unteroffizieren der Linie -- außer für Kaiser und Vaterland auch für
Weib und Kind zu fechten hat. Sache der Militärverwaltung ist es, auch die
Chargen der Landwehr schon im Frieden so zu erziehen, daß sie im Kriege ihrer
besonders schwierigen Aufgabe genügen können. Dazu müßte, beiläufig bemerkt,
das Gefühl der Verantwortlichkeit noch ganz anders gekräftigt werden, als es jetzt
bei den Friedensübungen der Reserve- und Landwehrosfiziere der Fall ist. Manche
uuter ihnen, und gerade die eifrigsten Soldaten, kommen sich bei den langausge-
dehntcn Einziehungen zuweilen recht überflüssig vor, sei es daß man sich zu wenig
um sie kümmert, sei es daß man sie, wenn auch in guter Absicht, zu sehr bevor¬
mundet. Im Felde stehn sie ja doch allein, da tritt kein andrer für sie ein! Die
deutsche Landwehr wird sich auch vom Militärwochenblatt den Glauben nicht nehmen
lassen, daß sie uuter energischen Führern, die es zugleich verstehen, die ihr eigen¬
tümlichen moralischen Elemente zur Geltung zu bringe", keinem Truppenteil unsrer
östlichen und westlichen Feinde nachsteht. Sie soll mich nach der neuen Militärvorlage
ganz unverändert bestehen bleiben. Zu was soll es führen, gerade an ihr zuversichtliches
Selbstgefühl und damit an eine ihrer Existenzbedingungen die Axt zu legen?






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig -- Druck von Carl Marquart in Leipzig

Das Nichtige wäre es doch wohl, wenn man alle Stellen, wo offenbare Flüchtig¬
keit des Komponisten vorliegt, stillschweigend berichtigte, an allen Stellen aber, wo
der Komponist vielleicht oder offenbar mit einer bestimmten künstlerischen Absicht
den Text verändert hat, wenigstens in Anmerkungen oder in einem Anhange den
echten Text gäbe, damit ihn der Sänger wenigstens kennen lernte. Wir möchten
diesen Vorschlag solchen Musikalienhandlungen, wie denen von Breitkopf und Härtel,
C. F. Peters und andern, die eine Ehre darein setzen, die besten und korrektesten
Ausgaben zu liefern, zur Erwägung geben.


Die Landwehr.

Der Wahlsieg vom Frühjahr 1887, der der Reichs-
tagsmchrheit Windthoist-Richter-Grillenberger ein Ende machte, ist unter dem
Zeichen der damaligen Militärvvrlage vor allen auch von den alten Soldaten er¬
fochten worden. Der Neichsregierung müßte deßhalb, so sollte man meinen, dringend
daran gelegen sein, sich und ihrer neuen Militärvorlage für den Fall einer Reichs¬
tagsauflösung auch jetzt wieder die Sympathien der Landwehrwähler zu sicher,:.
Es gehört zu den Unbegreiflichkeiten des neuen Kurses, daß statt dessen gerade
diese Wähler durch den Mund des Militärwochenblattes aufs empfindlichste
verletzt werden. Die Landwehr weiß recht gut, daß sie es nu Eleganz,
Raschheit und Präzision der Bewegungen mit der Linie nicht aufnehmen kann.
Für eine minderwertige und nur beschränkt felddienstfähige Truppe hat sie sich aber
niemals halten mögen. An reifem Ehrgefühl, an Kraft und Zähigkeit des Ent¬
schlusses glaubte sie den Zwanzigjährigen sogar überlegen zu sein. Sie will sich
auch deshalb nicht schlechter schlagen, weil sie — gleich den meisten ältern Offi¬
zieren und Unteroffizieren der Linie — außer für Kaiser und Vaterland auch für
Weib und Kind zu fechten hat. Sache der Militärverwaltung ist es, auch die
Chargen der Landwehr schon im Frieden so zu erziehen, daß sie im Kriege ihrer
besonders schwierigen Aufgabe genügen können. Dazu müßte, beiläufig bemerkt,
das Gefühl der Verantwortlichkeit noch ganz anders gekräftigt werden, als es jetzt
bei den Friedensübungen der Reserve- und Landwehrosfiziere der Fall ist. Manche
uuter ihnen, und gerade die eifrigsten Soldaten, kommen sich bei den langausge-
dehntcn Einziehungen zuweilen recht überflüssig vor, sei es daß man sich zu wenig
um sie kümmert, sei es daß man sie, wenn auch in guter Absicht, zu sehr bevor¬
mundet. Im Felde stehn sie ja doch allein, da tritt kein andrer für sie ein! Die
deutsche Landwehr wird sich auch vom Militärwochenblatt den Glauben nicht nehmen
lassen, daß sie uuter energischen Führern, die es zugleich verstehen, die ihr eigen¬
tümlichen moralischen Elemente zur Geltung zu bringe», keinem Truppenteil unsrer
östlichen und westlichen Feinde nachsteht. Sie soll mich nach der neuen Militärvorlage
ganz unverändert bestehen bleiben. Zu was soll es führen, gerade an ihr zuversichtliches
Selbstgefühl und damit an eine ihrer Existenzbedingungen die Axt zu legen?






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/352>, abgerufen am 27.04.2024.