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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Z" Goethes Campagne in Frankreich

bedachtsam zerstörten Klosterschulen. In jenen einheimischen Volkspredigern
und volkstümlichen Brüderschaften des vierzehnten Jahrhunderts, nicht im tat-'
vinischen Genf, sieht Rogers die eigentliche Wurzel des Pnritanertums. Und
er meint bei dieser Gelegenheit, nur dadurch, daß eine religiöse Bewegung in
der sittlichen und sozialen Hebung der Massen Erfolg habe, könne sie sich als
neue Religion legitim iren; sonst sei sie nur ein neuer Aberglaube.




Zu Goethes Campagne in Frankreich

n die Jahreszahl zweiundneunzig knüpft sich für uns Deutsche
eine traurige Erinnerung. 1792, im Herbst, war es ja, wo
jener verhängnisvolle Feldzug stattfand, der eine Reihe von
nationalen Unglücksfällen eröffnete. Was damals versehn und
gesündigt ward, ist eigentlich erst 1870 wieder völlig gut ge¬
macht worden. An solchen Gedenktagen geht man gern still vorüber, und
auch uns wäre es kaum eingefallen, jene Ereignisse gerade jetzt noch einmal
zu berühren, wenn nicht eine litterarische Erscheinung dazu aufforderte: ein
vor kurzem ausgegebncr Band der großen Weimarer Goetheausgabc enthält
die Briefe, die Goethe von seiner Kriegsfahrt nach Hause geschrieben hat; bereits
gedruckte, wie die an Jacobi und Herder, sind mit völlig unbekannten, an
Christiane Vulpius und an Voigt, darin vereinigt. Und dazu fällt uns eine
neue Ausgabe der Campagne in Frankreich, von einem Franzosen für die
französische Jugend eingeleitet und erklärt, als willkommene Zugabe in die
Hände.*)

Bekanntlich stammt die Abfassung der Campagne in Frankreich aus den
Jahren 1821 und 1822; ein volles Menschenalter also nach den Ereignissen,
die sie erzählt, ist sie erst niedergeschrieben worden. Der jüngste französische
Herausgeber vermißt denn auch darin den Reiz des frisch erlebten und em-
pfundnen, den "schönsten unmittelbarsten Lebenshauch," wie es Goethe selbst
in den Wahlverwandtschaften genannt hat. Wer aber die Briefe liest, den
wird etwas von jenem Hauch berühren, etwas von jenem Reiz ansprechen.
Nur daß leider alles zu fragmentarisch ist; inmitten der Unbequemlichkeit eines



*) Goethes Werke. Herausgegeben im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen.
Vierte Abteilung (Briefe), 10. Band. Weimar, Bohlen, 1892. -- tlo-Mg, Lamp-ex-no in
VrknKrsiol,. Läition QouvoUo "?co nov iutroÄuotion, um vomwont-ürs se uns osrto x"r
^V. Olwiznot. Il'nisivws Midian. 1'frih, 1)?I.T^r".of, 1892.
Z» Goethes Campagne in Frankreich

bedachtsam zerstörten Klosterschulen. In jenen einheimischen Volkspredigern
und volkstümlichen Brüderschaften des vierzehnten Jahrhunderts, nicht im tat-'
vinischen Genf, sieht Rogers die eigentliche Wurzel des Pnritanertums. Und
er meint bei dieser Gelegenheit, nur dadurch, daß eine religiöse Bewegung in
der sittlichen und sozialen Hebung der Massen Erfolg habe, könne sie sich als
neue Religion legitim iren; sonst sei sie nur ein neuer Aberglaube.




Zu Goethes Campagne in Frankreich

n die Jahreszahl zweiundneunzig knüpft sich für uns Deutsche
eine traurige Erinnerung. 1792, im Herbst, war es ja, wo
jener verhängnisvolle Feldzug stattfand, der eine Reihe von
nationalen Unglücksfällen eröffnete. Was damals versehn und
gesündigt ward, ist eigentlich erst 1870 wieder völlig gut ge¬
macht worden. An solchen Gedenktagen geht man gern still vorüber, und
auch uns wäre es kaum eingefallen, jene Ereignisse gerade jetzt noch einmal
zu berühren, wenn nicht eine litterarische Erscheinung dazu aufforderte: ein
vor kurzem ausgegebncr Band der großen Weimarer Goetheausgabc enthält
die Briefe, die Goethe von seiner Kriegsfahrt nach Hause geschrieben hat; bereits
gedruckte, wie die an Jacobi und Herder, sind mit völlig unbekannten, an
Christiane Vulpius und an Voigt, darin vereinigt. Und dazu fällt uns eine
neue Ausgabe der Campagne in Frankreich, von einem Franzosen für die
französische Jugend eingeleitet und erklärt, als willkommene Zugabe in die
Hände.*)

Bekanntlich stammt die Abfassung der Campagne in Frankreich aus den
Jahren 1821 und 1822; ein volles Menschenalter also nach den Ereignissen,
die sie erzählt, ist sie erst niedergeschrieben worden. Der jüngste französische
Herausgeber vermißt denn auch darin den Reiz des frisch erlebten und em-
pfundnen, den „schönsten unmittelbarsten Lebenshauch," wie es Goethe selbst
in den Wahlverwandtschaften genannt hat. Wer aber die Briefe liest, den
wird etwas von jenem Hauch berühren, etwas von jenem Reiz ansprechen.
Nur daß leider alles zu fragmentarisch ist; inmitten der Unbequemlichkeit eines



*) Goethes Werke. Herausgegeben im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen.
Vierte Abteilung (Briefe), 10. Band. Weimar, Bohlen, 1892. — tlo-Mg, Lamp-ex-no in
VrknKrsiol,. Läition QouvoUo »?co nov iutroÄuotion, um vomwont-ürs se uns osrto x»r
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[0534] Z» Goethes Campagne in Frankreich bedachtsam zerstörten Klosterschulen. In jenen einheimischen Volkspredigern und volkstümlichen Brüderschaften des vierzehnten Jahrhunderts, nicht im tat-' vinischen Genf, sieht Rogers die eigentliche Wurzel des Pnritanertums. Und er meint bei dieser Gelegenheit, nur dadurch, daß eine religiöse Bewegung in der sittlichen und sozialen Hebung der Massen Erfolg habe, könne sie sich als neue Religion legitim iren; sonst sei sie nur ein neuer Aberglaube. Zu Goethes Campagne in Frankreich n die Jahreszahl zweiundneunzig knüpft sich für uns Deutsche eine traurige Erinnerung. 1792, im Herbst, war es ja, wo jener verhängnisvolle Feldzug stattfand, der eine Reihe von nationalen Unglücksfällen eröffnete. Was damals versehn und gesündigt ward, ist eigentlich erst 1870 wieder völlig gut ge¬ macht worden. An solchen Gedenktagen geht man gern still vorüber, und auch uns wäre es kaum eingefallen, jene Ereignisse gerade jetzt noch einmal zu berühren, wenn nicht eine litterarische Erscheinung dazu aufforderte: ein vor kurzem ausgegebncr Band der großen Weimarer Goetheausgabc enthält die Briefe, die Goethe von seiner Kriegsfahrt nach Hause geschrieben hat; bereits gedruckte, wie die an Jacobi und Herder, sind mit völlig unbekannten, an Christiane Vulpius und an Voigt, darin vereinigt. Und dazu fällt uns eine neue Ausgabe der Campagne in Frankreich, von einem Franzosen für die französische Jugend eingeleitet und erklärt, als willkommene Zugabe in die Hände.*) Bekanntlich stammt die Abfassung der Campagne in Frankreich aus den Jahren 1821 und 1822; ein volles Menschenalter also nach den Ereignissen, die sie erzählt, ist sie erst niedergeschrieben worden. Der jüngste französische Herausgeber vermißt denn auch darin den Reiz des frisch erlebten und em- pfundnen, den „schönsten unmittelbarsten Lebenshauch," wie es Goethe selbst in den Wahlverwandtschaften genannt hat. Wer aber die Briefe liest, den wird etwas von jenem Hauch berühren, etwas von jenem Reiz ansprechen. Nur daß leider alles zu fragmentarisch ist; inmitten der Unbequemlichkeit eines *) Goethes Werke. Herausgegeben im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen. Vierte Abteilung (Briefe), 10. Band. Weimar, Bohlen, 1892. — tlo-Mg, Lamp-ex-no in VrknKrsiol,. Läition QouvoUo »?co nov iutroÄuotion, um vomwont-ürs se uns osrto x»r ^V. Olwiznot. Il'nisivws Midian. 1'frih, 1)?I.T^r«.of, 1892.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/534>, abgerufen am 27.04.2024.