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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Zu Goethes Campagne in Frankreich

Zelt- und Lagerlebens, in Einquartierungen, wo es vor allem galt, die Be¬
dürfnisse des Tages zu befriedigen, da war die Muße der italienischen Reise
nicht zu finden. Es ist nicht so wie mit den Briefen aus Venedig, Rom und
Neapel, die, an einander gereiht, so ziemlich den Text des spätern Werks dar¬
stellen; alle diese Briefe, zusammengefügt, geben noch lange nicht die Cam¬
pagne in Frankreich, wie wir sie kennen.

Die Briefe aus Frankfurt und Mainz, die den vorliegenden Band er¬
öffnen, drücken alle die große Unlust aus, mit der Goethe der Teilnahme am
Feldzug entgegenging. Was er darüber an Jacobi schrieb, ist wohl in jeder¬
manns Erinnerung, Christianer gegenüber ergeht er sich in Bedauern, daß er
fern von ihr sein muß, in sorglichen Bemerkungen über Haus und Wirtschaft,
in Hoffnungen auf baldige Rückkehr, wo ihm dann der "liebe Küchenfchatz"
recht gute Speisen bereiten und ihn für die Entbehrungen des Kriegs entschä¬
digen soll. Ein Billet an Meyer, in Trier um 25. August geschrieben, drückt
gleichfalls Mißbehagen an der Gegenwart aus: "Die gegenwärtige Welt geht
bunt durch einander," schreibt er, und "die deutsche Welt" ist ihm "leer an
allem echten." Nur die Betrachtung des altrömischen Mauerwerks von Igel
läßt ihn "nicht ganz verzweifeln." Ein anschauliches Bild aus dem Leben,
das ihn nun umgab, findet sich zuerst in einem Vriefchen um Christiane, drei
Tage später und schon aus Longwy geschrieben: "Ich schreibe dir in seinem
Jdes Herzogs^ Zelt mitten nnter dem Geräusch der Menschen, die an einer
Seite Holz fällen und es an der andern verbrennen." Aber weder hat sich
Goethe in der spätern Erzählung in solcher Situation vorgeführt, noch findet
sich in diesem Brief etwas von den Ereignissen, die dort unter demselben
Datum mitgeteilt sind: nichts von dem Kramladen, wo er die wollnen Decken
kaufte, nichts von den Gesprächen im Gasthof und im Zelte, nichts von der
Misere des Lagers, dagegen eine Menge Erinnerungen an Weimar, an alles,
was um Christiane ist, auch an die Kohlrüben im Garten. Von dem Bom¬
bardement von Verdun, das von der Mitternacht des 31. August bis zum
Morgen des 1. September dauerte und in der "Campagne" mit einer Fülle
von Episoden geschildert wird, melden hier nur ein paar Zeilen, gleichfalls
an Christiane gerichtet; sie enthalten nichts neues, aber wir möchten sie doch
nicht missen, denn sie sprechen ein schönes persönliches Mitgefühl für die Be¬
lagerten ernst und einfach aus: "Es ist ein schrecklicher Anblick, und man
möchte sich nicht denken, daß man was liebes darin hätte." Die Übergabe
geschah am 2. September und erfüllte die preußische Armee mit Zuversicht;
es zweifelte niemand mehr, heißt es in der "Campagne," "daß wir bald darüber
hinausgelassen und in Chalons und Epernay uns von den bisherigen Leiden
an gutem Wein bestens erholen sollten. Ich ließ daher ungesäumt die Jäge¬
rischen Karten, welche den Weg nach Paris bezeichneten, zerschneiden und sorg¬
fältig nufziehn." Aber viel zuversichtlicher und siegesgewisser noch spricht das


Zu Goethes Campagne in Frankreich

Zelt- und Lagerlebens, in Einquartierungen, wo es vor allem galt, die Be¬
dürfnisse des Tages zu befriedigen, da war die Muße der italienischen Reise
nicht zu finden. Es ist nicht so wie mit den Briefen aus Venedig, Rom und
Neapel, die, an einander gereiht, so ziemlich den Text des spätern Werks dar¬
stellen; alle diese Briefe, zusammengefügt, geben noch lange nicht die Cam¬
pagne in Frankreich, wie wir sie kennen.

Die Briefe aus Frankfurt und Mainz, die den vorliegenden Band er¬
öffnen, drücken alle die große Unlust aus, mit der Goethe der Teilnahme am
Feldzug entgegenging. Was er darüber an Jacobi schrieb, ist wohl in jeder¬
manns Erinnerung, Christianer gegenüber ergeht er sich in Bedauern, daß er
fern von ihr sein muß, in sorglichen Bemerkungen über Haus und Wirtschaft,
in Hoffnungen auf baldige Rückkehr, wo ihm dann der „liebe Küchenfchatz"
recht gute Speisen bereiten und ihn für die Entbehrungen des Kriegs entschä¬
digen soll. Ein Billet an Meyer, in Trier um 25. August geschrieben, drückt
gleichfalls Mißbehagen an der Gegenwart aus: „Die gegenwärtige Welt geht
bunt durch einander," schreibt er, und „die deutsche Welt" ist ihm „leer an
allem echten." Nur die Betrachtung des altrömischen Mauerwerks von Igel
läßt ihn „nicht ganz verzweifeln." Ein anschauliches Bild aus dem Leben,
das ihn nun umgab, findet sich zuerst in einem Vriefchen um Christiane, drei
Tage später und schon aus Longwy geschrieben: „Ich schreibe dir in seinem
Jdes Herzogs^ Zelt mitten nnter dem Geräusch der Menschen, die an einer
Seite Holz fällen und es an der andern verbrennen." Aber weder hat sich
Goethe in der spätern Erzählung in solcher Situation vorgeführt, noch findet
sich in diesem Brief etwas von den Ereignissen, die dort unter demselben
Datum mitgeteilt sind: nichts von dem Kramladen, wo er die wollnen Decken
kaufte, nichts von den Gesprächen im Gasthof und im Zelte, nichts von der
Misere des Lagers, dagegen eine Menge Erinnerungen an Weimar, an alles,
was um Christiane ist, auch an die Kohlrüben im Garten. Von dem Bom¬
bardement von Verdun, das von der Mitternacht des 31. August bis zum
Morgen des 1. September dauerte und in der „Campagne" mit einer Fülle
von Episoden geschildert wird, melden hier nur ein paar Zeilen, gleichfalls
an Christiane gerichtet; sie enthalten nichts neues, aber wir möchten sie doch
nicht missen, denn sie sprechen ein schönes persönliches Mitgefühl für die Be¬
lagerten ernst und einfach aus: „Es ist ein schrecklicher Anblick, und man
möchte sich nicht denken, daß man was liebes darin hätte." Die Übergabe
geschah am 2. September und erfüllte die preußische Armee mit Zuversicht;
es zweifelte niemand mehr, heißt es in der „Campagne," „daß wir bald darüber
hinausgelassen und in Chalons und Epernay uns von den bisherigen Leiden
an gutem Wein bestens erholen sollten. Ich ließ daher ungesäumt die Jäge¬
rischen Karten, welche den Weg nach Paris bezeichneten, zerschneiden und sorg¬
fältig nufziehn." Aber viel zuversichtlicher und siegesgewisser noch spricht das


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[0535] Zu Goethes Campagne in Frankreich Zelt- und Lagerlebens, in Einquartierungen, wo es vor allem galt, die Be¬ dürfnisse des Tages zu befriedigen, da war die Muße der italienischen Reise nicht zu finden. Es ist nicht so wie mit den Briefen aus Venedig, Rom und Neapel, die, an einander gereiht, so ziemlich den Text des spätern Werks dar¬ stellen; alle diese Briefe, zusammengefügt, geben noch lange nicht die Cam¬ pagne in Frankreich, wie wir sie kennen. Die Briefe aus Frankfurt und Mainz, die den vorliegenden Band er¬ öffnen, drücken alle die große Unlust aus, mit der Goethe der Teilnahme am Feldzug entgegenging. Was er darüber an Jacobi schrieb, ist wohl in jeder¬ manns Erinnerung, Christianer gegenüber ergeht er sich in Bedauern, daß er fern von ihr sein muß, in sorglichen Bemerkungen über Haus und Wirtschaft, in Hoffnungen auf baldige Rückkehr, wo ihm dann der „liebe Küchenfchatz" recht gute Speisen bereiten und ihn für die Entbehrungen des Kriegs entschä¬ digen soll. Ein Billet an Meyer, in Trier um 25. August geschrieben, drückt gleichfalls Mißbehagen an der Gegenwart aus: „Die gegenwärtige Welt geht bunt durch einander," schreibt er, und „die deutsche Welt" ist ihm „leer an allem echten." Nur die Betrachtung des altrömischen Mauerwerks von Igel läßt ihn „nicht ganz verzweifeln." Ein anschauliches Bild aus dem Leben, das ihn nun umgab, findet sich zuerst in einem Vriefchen um Christiane, drei Tage später und schon aus Longwy geschrieben: „Ich schreibe dir in seinem Jdes Herzogs^ Zelt mitten nnter dem Geräusch der Menschen, die an einer Seite Holz fällen und es an der andern verbrennen." Aber weder hat sich Goethe in der spätern Erzählung in solcher Situation vorgeführt, noch findet sich in diesem Brief etwas von den Ereignissen, die dort unter demselben Datum mitgeteilt sind: nichts von dem Kramladen, wo er die wollnen Decken kaufte, nichts von den Gesprächen im Gasthof und im Zelte, nichts von der Misere des Lagers, dagegen eine Menge Erinnerungen an Weimar, an alles, was um Christiane ist, auch an die Kohlrüben im Garten. Von dem Bom¬ bardement von Verdun, das von der Mitternacht des 31. August bis zum Morgen des 1. September dauerte und in der „Campagne" mit einer Fülle von Episoden geschildert wird, melden hier nur ein paar Zeilen, gleichfalls an Christiane gerichtet; sie enthalten nichts neues, aber wir möchten sie doch nicht missen, denn sie sprechen ein schönes persönliches Mitgefühl für die Be¬ lagerten ernst und einfach aus: „Es ist ein schrecklicher Anblick, und man möchte sich nicht denken, daß man was liebes darin hätte." Die Übergabe geschah am 2. September und erfüllte die preußische Armee mit Zuversicht; es zweifelte niemand mehr, heißt es in der „Campagne," „daß wir bald darüber hinausgelassen und in Chalons und Epernay uns von den bisherigen Leiden an gutem Wein bestens erholen sollten. Ich ließ daher ungesäumt die Jäge¬ rischen Karten, welche den Weg nach Paris bezeichneten, zerschneiden und sorg¬ fältig nufziehn." Aber viel zuversichtlicher und siegesgewisser noch spricht das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/535>, abgerufen am 09.05.2024.