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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Der Rückgang der französischen Bevölkerung

le von Montesquieu ausgesprochnc Befürchtung, daß die Völker
dieser Erde zum allmählichen Nussterben bestimmt seien, hat
sich nicht bestätigt; im Gegenteil haben die seitdem veranstalteten
Zählungen ergeben, daß sich die Bevölkerung von Europa seit
Beginn dieses Jahrhunderts mehr als verdoppelt hat; es sind
in Europa 1801 175, 1890 360 Millionen gezählt worden.

Die statistischen Erhebungen haben aber auch ^daneben gezeigt, daß diese
Thatsache, die eine Bestätigung der entgegengesetzten Befürchtung von Malthus
zu enthalten scheint, uns nicht beirren darf. Wenn sich im Laufe von 90 bis 100
Jahren eine Bevölkerung regelmäßig verdoppelte, dann freilich würde die Über¬
völkerung mit allen damit verbundnen Schrecken eine unabwendbare Gefahr sein;
dann wäre aber auch nicht zu bezweifeln, daß Europa zu Beginn des vierzehnten
Jahrhunderts kaum etwas mehr als S Millionen, um Christi Geburt etwa
500 Einwohner gezählt haben müßte. Mit solcher Regelmäßigkeit, wie Malthus
angenommen hat, der meinte, daß sich nach nenn Geschlechtsfolgen das Verhältnis
einer natürlich angewachsene" Bevölkerung zu den inzwischen vermehrten
Nahrungsmitteln stellen würde wie 25)"i (2") zu 9, vermehren sich eben die
Völker nicht. Es ist ein besondres Verdienst der Statistik, die sich auch der
Beobachtung, der Zählung und Messung vergangner Erscheinungen zugewendet
hat, daß sie uns immer mehr Thatsachen vorführt, aus denen wir dnrch Ver¬
gleiche den Schluß ziehen können, daß die Meinungen von Malthus, sowohl
die über eine gewisse Gesetzmäßigkeit in der Bewegung der Bevölkerung, als
auch die über eine regelmäßige Bermehrnng der Mittel zum Dasein, gerade
dnrch die Erfahrungen unsers Jahrhunderts widerlegt werden. Während
sich in der That die Bevölkerung Europas innerhalb von 90 Jahren ungefähr
verdoppelt hat, macht sich allenthalben eine rückläufige Bewegung geltend, die


Grenzboten IV 1892 70


Der Rückgang der französischen Bevölkerung

le von Montesquieu ausgesprochnc Befürchtung, daß die Völker
dieser Erde zum allmählichen Nussterben bestimmt seien, hat
sich nicht bestätigt; im Gegenteil haben die seitdem veranstalteten
Zählungen ergeben, daß sich die Bevölkerung von Europa seit
Beginn dieses Jahrhunderts mehr als verdoppelt hat; es sind
in Europa 1801 175, 1890 360 Millionen gezählt worden.

Die statistischen Erhebungen haben aber auch ^daneben gezeigt, daß diese
Thatsache, die eine Bestätigung der entgegengesetzten Befürchtung von Malthus
zu enthalten scheint, uns nicht beirren darf. Wenn sich im Laufe von 90 bis 100
Jahren eine Bevölkerung regelmäßig verdoppelte, dann freilich würde die Über¬
völkerung mit allen damit verbundnen Schrecken eine unabwendbare Gefahr sein;
dann wäre aber auch nicht zu bezweifeln, daß Europa zu Beginn des vierzehnten
Jahrhunderts kaum etwas mehr als S Millionen, um Christi Geburt etwa
500 Einwohner gezählt haben müßte. Mit solcher Regelmäßigkeit, wie Malthus
angenommen hat, der meinte, daß sich nach nenn Geschlechtsfolgen das Verhältnis
einer natürlich angewachsene» Bevölkerung zu den inzwischen vermehrten
Nahrungsmitteln stellen würde wie 25)«i (2") zu 9, vermehren sich eben die
Völker nicht. Es ist ein besondres Verdienst der Statistik, die sich auch der
Beobachtung, der Zählung und Messung vergangner Erscheinungen zugewendet
hat, daß sie uns immer mehr Thatsachen vorführt, aus denen wir dnrch Ver¬
gleiche den Schluß ziehen können, daß die Meinungen von Malthus, sowohl
die über eine gewisse Gesetzmäßigkeit in der Bewegung der Bevölkerung, als
auch die über eine regelmäßige Bermehrnng der Mittel zum Dasein, gerade
dnrch die Erfahrungen unsers Jahrhunderts widerlegt werden. Während
sich in der That die Bevölkerung Europas innerhalb von 90 Jahren ungefähr
verdoppelt hat, macht sich allenthalben eine rückläufige Bewegung geltend, die


Grenzboten IV 1892 70
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[0561] [Abbildung] Der Rückgang der französischen Bevölkerung le von Montesquieu ausgesprochnc Befürchtung, daß die Völker dieser Erde zum allmählichen Nussterben bestimmt seien, hat sich nicht bestätigt; im Gegenteil haben die seitdem veranstalteten Zählungen ergeben, daß sich die Bevölkerung von Europa seit Beginn dieses Jahrhunderts mehr als verdoppelt hat; es sind in Europa 1801 175, 1890 360 Millionen gezählt worden. Die statistischen Erhebungen haben aber auch ^daneben gezeigt, daß diese Thatsache, die eine Bestätigung der entgegengesetzten Befürchtung von Malthus zu enthalten scheint, uns nicht beirren darf. Wenn sich im Laufe von 90 bis 100 Jahren eine Bevölkerung regelmäßig verdoppelte, dann freilich würde die Über¬ völkerung mit allen damit verbundnen Schrecken eine unabwendbare Gefahr sein; dann wäre aber auch nicht zu bezweifeln, daß Europa zu Beginn des vierzehnten Jahrhunderts kaum etwas mehr als S Millionen, um Christi Geburt etwa 500 Einwohner gezählt haben müßte. Mit solcher Regelmäßigkeit, wie Malthus angenommen hat, der meinte, daß sich nach nenn Geschlechtsfolgen das Verhältnis einer natürlich angewachsene» Bevölkerung zu den inzwischen vermehrten Nahrungsmitteln stellen würde wie 25)«i (2") zu 9, vermehren sich eben die Völker nicht. Es ist ein besondres Verdienst der Statistik, die sich auch der Beobachtung, der Zählung und Messung vergangner Erscheinungen zugewendet hat, daß sie uns immer mehr Thatsachen vorführt, aus denen wir dnrch Ver¬ gleiche den Schluß ziehen können, daß die Meinungen von Malthus, sowohl die über eine gewisse Gesetzmäßigkeit in der Bewegung der Bevölkerung, als auch die über eine regelmäßige Bermehrnng der Mittel zum Dasein, gerade dnrch die Erfahrungen unsers Jahrhunderts widerlegt werden. Während sich in der That die Bevölkerung Europas innerhalb von 90 Jahren ungefähr verdoppelt hat, macht sich allenthalben eine rückläufige Bewegung geltend, die Grenzboten IV 1892 70

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/561>, abgerufen am 27.04.2024.