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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Iveder Konnnunismus noch Kapitalismus

Nechtsanwalts Mnnckel erfolgt. Sie gehörte zu der Schlacht, die man dem
Antisemitismus liefern wollte.

Bon dem ergangne" Urteil können wir sagen: es ist weit maßvoller, als
da5 vvransgegangne erwarten ließ. Inwieweit sich der Angeklagte schon durch
die Form seiner Anschuldigungen strafbar gemacht habe, können wir nicht be¬
urteilen, da uns die Broschüren nicht vorliegen. Eine eingehende Beurteilung
der Entscheidungsgründe ist dadurch erschwert, daß die Blätter sie in verschieden
lautenden Aufzeichnungen gebracht haben. Gleichwohl läßt sich erkennen, daß
es auch in diesem Falle das Urteil nicht als seine Aufgabe betrachtet hat, in
knapper Form das für die Schuld und die Strafbarkeit des Angeklagten ma߬
gebende zu bringen, daß es sich vielmehr in allen möglichen Betrachtungen
ergeht. Die modernen Urteile klingen dadurch meist wie Zeitungsartikel von
größerer oder geringerer Güte. So sagt unter anderm das uns vorliegende
Urteil: "Der Angeklagte beleidigt darauf los; und wenn man behauptet, daß
er dies gewerbsmäßig betreibe, so ist das keineswegs zu viel gesagt. Wenn
es Hunderte von Ahlwardts gäbe, würde bald niemand mehr ruhig auf der
Straße gehen." Entspreche" solche Sätze wohl der Würde eiues Urteils?
Es siud Phrase", mit denen mau nur Ol in den lodernden Brand gießt.

Wie man auch über die Persönlichkeit Ahlwardts denken mag: er hatte
ein Recht darauf, daß seine Sache vor Gericht eine objektive Behandlung er¬
fahre. Die Art, wie die Sache geleitet worden ist, hat nichts weniger gethan
als dazu gedient, über die Hauptfrage dem Volke Beruhigung zu verschaffen.
Im Gegenteil, nach der Einseitigkeit, mit der die Sache betrieben und geleitet
wurde, argwöhnte man um so mehr, daß hier doch el" Stuck Wahrheit unter,
drückt werde" solle. I" dieser Beziehung ist die Erörterung im Reichstage
von unschätzbarem Werte gewesen. Wir wollen auch hoffen, daß eine solche
Gerichtsverhandlung nicht wieder vorkommt. Die Justiz würde allzu sehr
darunter leide".




Weder Kommunismus noch Kapitalismus
5

he wir von der gute" Zeit Alte"glands Abschied nehme", mag
noch bemerkt werden, daß auch die Steuerlast gerecht verteilt
war. Die Commons fühlten sich so wenig bedrückt, daß sie dem
Könige zuweilen mehr anboten, als dieser sich zu nehmen ent¬
schließen konnte. Als die einmaligen Bewilligungen durch eine
dauernde Einkommensteuer ersetzt wurden, gestaltete man diese progressiv. Die


Iveder Konnnunismus noch Kapitalismus

Nechtsanwalts Mnnckel erfolgt. Sie gehörte zu der Schlacht, die man dem
Antisemitismus liefern wollte.

Bon dem ergangne» Urteil können wir sagen: es ist weit maßvoller, als
da5 vvransgegangne erwarten ließ. Inwieweit sich der Angeklagte schon durch
die Form seiner Anschuldigungen strafbar gemacht habe, können wir nicht be¬
urteilen, da uns die Broschüren nicht vorliegen. Eine eingehende Beurteilung
der Entscheidungsgründe ist dadurch erschwert, daß die Blätter sie in verschieden
lautenden Aufzeichnungen gebracht haben. Gleichwohl läßt sich erkennen, daß
es auch in diesem Falle das Urteil nicht als seine Aufgabe betrachtet hat, in
knapper Form das für die Schuld und die Strafbarkeit des Angeklagten ma߬
gebende zu bringen, daß es sich vielmehr in allen möglichen Betrachtungen
ergeht. Die modernen Urteile klingen dadurch meist wie Zeitungsartikel von
größerer oder geringerer Güte. So sagt unter anderm das uns vorliegende
Urteil: „Der Angeklagte beleidigt darauf los; und wenn man behauptet, daß
er dies gewerbsmäßig betreibe, so ist das keineswegs zu viel gesagt. Wenn
es Hunderte von Ahlwardts gäbe, würde bald niemand mehr ruhig auf der
Straße gehen." Entspreche» solche Sätze wohl der Würde eiues Urteils?
Es siud Phrase», mit denen mau nur Ol in den lodernden Brand gießt.

Wie man auch über die Persönlichkeit Ahlwardts denken mag: er hatte
ein Recht darauf, daß seine Sache vor Gericht eine objektive Behandlung er¬
fahre. Die Art, wie die Sache geleitet worden ist, hat nichts weniger gethan
als dazu gedient, über die Hauptfrage dem Volke Beruhigung zu verschaffen.
Im Gegenteil, nach der Einseitigkeit, mit der die Sache betrieben und geleitet
wurde, argwöhnte man um so mehr, daß hier doch el» Stuck Wahrheit unter,
drückt werde» solle. I» dieser Beziehung ist die Erörterung im Reichstage
von unschätzbarem Werte gewesen. Wir wollen auch hoffen, daß eine solche
Gerichtsverhandlung nicht wieder vorkommt. Die Justiz würde allzu sehr
darunter leide».




Weder Kommunismus noch Kapitalismus
5

he wir von der gute» Zeit Alte»glands Abschied nehme», mag
noch bemerkt werden, daß auch die Steuerlast gerecht verteilt
war. Die Commons fühlten sich so wenig bedrückt, daß sie dem
Könige zuweilen mehr anboten, als dieser sich zu nehmen ent¬
schließen konnte. Als die einmaligen Bewilligungen durch eine
dauernde Einkommensteuer ersetzt wurden, gestaltete man diese progressiv. Die


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[0628] Iveder Konnnunismus noch Kapitalismus Nechtsanwalts Mnnckel erfolgt. Sie gehörte zu der Schlacht, die man dem Antisemitismus liefern wollte. Bon dem ergangne» Urteil können wir sagen: es ist weit maßvoller, als da5 vvransgegangne erwarten ließ. Inwieweit sich der Angeklagte schon durch die Form seiner Anschuldigungen strafbar gemacht habe, können wir nicht be¬ urteilen, da uns die Broschüren nicht vorliegen. Eine eingehende Beurteilung der Entscheidungsgründe ist dadurch erschwert, daß die Blätter sie in verschieden lautenden Aufzeichnungen gebracht haben. Gleichwohl läßt sich erkennen, daß es auch in diesem Falle das Urteil nicht als seine Aufgabe betrachtet hat, in knapper Form das für die Schuld und die Strafbarkeit des Angeklagten ma߬ gebende zu bringen, daß es sich vielmehr in allen möglichen Betrachtungen ergeht. Die modernen Urteile klingen dadurch meist wie Zeitungsartikel von größerer oder geringerer Güte. So sagt unter anderm das uns vorliegende Urteil: „Der Angeklagte beleidigt darauf los; und wenn man behauptet, daß er dies gewerbsmäßig betreibe, so ist das keineswegs zu viel gesagt. Wenn es Hunderte von Ahlwardts gäbe, würde bald niemand mehr ruhig auf der Straße gehen." Entspreche» solche Sätze wohl der Würde eiues Urteils? Es siud Phrase», mit denen mau nur Ol in den lodernden Brand gießt. Wie man auch über die Persönlichkeit Ahlwardts denken mag: er hatte ein Recht darauf, daß seine Sache vor Gericht eine objektive Behandlung er¬ fahre. Die Art, wie die Sache geleitet worden ist, hat nichts weniger gethan als dazu gedient, über die Hauptfrage dem Volke Beruhigung zu verschaffen. Im Gegenteil, nach der Einseitigkeit, mit der die Sache betrieben und geleitet wurde, argwöhnte man um so mehr, daß hier doch el» Stuck Wahrheit unter, drückt werde» solle. I» dieser Beziehung ist die Erörterung im Reichstage von unschätzbarem Werte gewesen. Wir wollen auch hoffen, daß eine solche Gerichtsverhandlung nicht wieder vorkommt. Die Justiz würde allzu sehr darunter leide». Weder Kommunismus noch Kapitalismus 5 he wir von der gute» Zeit Alte»glands Abschied nehme», mag noch bemerkt werden, daß auch die Steuerlast gerecht verteilt war. Die Commons fühlten sich so wenig bedrückt, daß sie dem Könige zuweilen mehr anboten, als dieser sich zu nehmen ent¬ schließen konnte. Als die einmaligen Bewilligungen durch eine dauernde Einkommensteuer ersetzt wurden, gestaltete man diese progressiv. Die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/628>, abgerufen am 27.04.2024.