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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Litteratur

habe ich Anteil an dir, Jakob, sagte sie mit bebender Stimme, denn du weißt
nicht, wie sehr ich mich heute Nacht um dich gesorgt habe. Nun vergesse ich
dich nie wieder.

Nun scharten sich auch die Kinder um ihn. Fröhliches Weihnachten! riefen
sie und streckten die Hände aus, die voller Gaben waren. Da regnete es auf
ihn herab, er hatte gar nicht Zeit, zu sehen, wo alles herkam, es flog ihm
alles von selber in die Hände, bis er den ganzen Arm voll hatte, und es ihm
fast zu viel zu tragen wurde. Der Pfarrer aber legte die Hand auf seinen Kopf
und wünschte ihm guten Abend und Gottes Frieden.

Jakob stand da und sah bald den einen, bald den andern an. Er konnte
es kaum glauben, daß er wache, denn das war ja alles nur sein Traum,
und es wurde immer schöner und schöner, am allerschönsten aber zuletzt, das
fühlte und begriff er.

Armer kleiner Jakob! sagte die Pfarrerin und streichelte seine Wange.
Das war ein trauriger Christabend! Und ich, der Gott einen so schönen hei¬
ligen Abend beschert hatte, ich konnte dich vergessen!

Da wandte sich Jakob nach Nero um und nickte ihm zu, denn die beiden
wußten recht wohl, wer deu schönsten Christabend gehabt hatte. Und Nero
schlug mit dem Schwanz ans den Boden, ließ die Zunge lang aus dem Halse
heraushangen und sah unbeschreiblich dumm aus, wie es seiue Gewohnheit
war, wenn er gründlich über eine Sache nachdachte, die er nicht verstand. Es
siel ihm nicht im geringsten ein, daß er selber ein wenig Verdienst bei der
ganzen Geschichte gehabt hatte, und das war im Grunde hübsch von ihm.

Aber da fiel es Jakob ein, und plötzlich kniete er neben Nero nieder,
schlang beide Arme um seinen Hals und weinte vor Dankbarkeit und Freude.




Litteratur
^Dies Neugestaltung des Geschichtsunterrichts aus höhern Lehranstalten. V"n
Richard Mariens. Leipzig, W. Engelmann, 1892. VI und 118 S.

Der Titel dieser kleinen Schrift würde genauer lauten: "Die Neugestaltung
des Geschichtsunterrichts auf deu preußischen Gymnasien," denn nnr von diesen
ist die Rede, und weder auf die Realgymnasien noch auf außerpreußische Schulen
nimmt der Verfasser, Direktor des königl. Gymnasiums zu Marienburg in West-
preußen, unmittelbar Rücksicht. Es erklärt sich das hinlänglich ans der Veran¬
lassung seiner Arbeit, die als ein Bericht für die im Juli 1392 zu Memel abge¬
haltene dreizehnte Direktorenversammlung der Provinzen Ost- und Westpreußen ent¬
standen ist und diese Entstehung auch in dem vorliegenden Svnderabdrnck nicht
verleugnet, beiläufig zur großen Unbequemlichkeit des Lesers, der uicht nur die
sämtlichen ihm ziemlich gleichgiltigen Äußerungen andrer Gutachten mit hinnehmen
muß, sondern much fortwährend über unverständliche Abkürzungen stolpert. Gewiß
wäre der Sache besser gedient gewesen, wenn der Verfasser nnr seine eignen An¬
sichten ungefähr auf der halben Seitenzahl entwickelt hätte, und hoffentlich thut


Grenzboten IV 1892 83
Litteratur

habe ich Anteil an dir, Jakob, sagte sie mit bebender Stimme, denn du weißt
nicht, wie sehr ich mich heute Nacht um dich gesorgt habe. Nun vergesse ich
dich nie wieder.

Nun scharten sich auch die Kinder um ihn. Fröhliches Weihnachten! riefen
sie und streckten die Hände aus, die voller Gaben waren. Da regnete es auf
ihn herab, er hatte gar nicht Zeit, zu sehen, wo alles herkam, es flog ihm
alles von selber in die Hände, bis er den ganzen Arm voll hatte, und es ihm
fast zu viel zu tragen wurde. Der Pfarrer aber legte die Hand auf seinen Kopf
und wünschte ihm guten Abend und Gottes Frieden.

Jakob stand da und sah bald den einen, bald den andern an. Er konnte
es kaum glauben, daß er wache, denn das war ja alles nur sein Traum,
und es wurde immer schöner und schöner, am allerschönsten aber zuletzt, das
fühlte und begriff er.

Armer kleiner Jakob! sagte die Pfarrerin und streichelte seine Wange.
Das war ein trauriger Christabend! Und ich, der Gott einen so schönen hei¬
ligen Abend beschert hatte, ich konnte dich vergessen!

Da wandte sich Jakob nach Nero um und nickte ihm zu, denn die beiden
wußten recht wohl, wer deu schönsten Christabend gehabt hatte. Und Nero
schlug mit dem Schwanz ans den Boden, ließ die Zunge lang aus dem Halse
heraushangen und sah unbeschreiblich dumm aus, wie es seiue Gewohnheit
war, wenn er gründlich über eine Sache nachdachte, die er nicht verstand. Es
siel ihm nicht im geringsten ein, daß er selber ein wenig Verdienst bei der
ganzen Geschichte gehabt hatte, und das war im Grunde hübsch von ihm.

Aber da fiel es Jakob ein, und plötzlich kniete er neben Nero nieder,
schlang beide Arme um seinen Hals und weinte vor Dankbarkeit und Freude.




Litteratur
^Dies Neugestaltung des Geschichtsunterrichts aus höhern Lehranstalten. V»n
Richard Mariens. Leipzig, W. Engelmann, 1892. VI und 118 S.

Der Titel dieser kleinen Schrift würde genauer lauten: „Die Neugestaltung
des Geschichtsunterrichts auf deu preußischen Gymnasien," denn nnr von diesen
ist die Rede, und weder auf die Realgymnasien noch auf außerpreußische Schulen
nimmt der Verfasser, Direktor des königl. Gymnasiums zu Marienburg in West-
preußen, unmittelbar Rücksicht. Es erklärt sich das hinlänglich ans der Veran¬
lassung seiner Arbeit, die als ein Bericht für die im Juli 1392 zu Memel abge¬
haltene dreizehnte Direktorenversammlung der Provinzen Ost- und Westpreußen ent¬
standen ist und diese Entstehung auch in dem vorliegenden Svnderabdrnck nicht
verleugnet, beiläufig zur großen Unbequemlichkeit des Lesers, der uicht nur die
sämtlichen ihm ziemlich gleichgiltigen Äußerungen andrer Gutachten mit hinnehmen
muß, sondern much fortwährend über unverständliche Abkürzungen stolpert. Gewiß
wäre der Sache besser gedient gewesen, wenn der Verfasser nnr seine eignen An¬
sichten ungefähr auf der halben Seitenzahl entwickelt hätte, und hoffentlich thut


Grenzboten IV 1892 83
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[0665] Litteratur habe ich Anteil an dir, Jakob, sagte sie mit bebender Stimme, denn du weißt nicht, wie sehr ich mich heute Nacht um dich gesorgt habe. Nun vergesse ich dich nie wieder. Nun scharten sich auch die Kinder um ihn. Fröhliches Weihnachten! riefen sie und streckten die Hände aus, die voller Gaben waren. Da regnete es auf ihn herab, er hatte gar nicht Zeit, zu sehen, wo alles herkam, es flog ihm alles von selber in die Hände, bis er den ganzen Arm voll hatte, und es ihm fast zu viel zu tragen wurde. Der Pfarrer aber legte die Hand auf seinen Kopf und wünschte ihm guten Abend und Gottes Frieden. Jakob stand da und sah bald den einen, bald den andern an. Er konnte es kaum glauben, daß er wache, denn das war ja alles nur sein Traum, und es wurde immer schöner und schöner, am allerschönsten aber zuletzt, das fühlte und begriff er. Armer kleiner Jakob! sagte die Pfarrerin und streichelte seine Wange. Das war ein trauriger Christabend! Und ich, der Gott einen so schönen hei¬ ligen Abend beschert hatte, ich konnte dich vergessen! Da wandte sich Jakob nach Nero um und nickte ihm zu, denn die beiden wußten recht wohl, wer deu schönsten Christabend gehabt hatte. Und Nero schlug mit dem Schwanz ans den Boden, ließ die Zunge lang aus dem Halse heraushangen und sah unbeschreiblich dumm aus, wie es seiue Gewohnheit war, wenn er gründlich über eine Sache nachdachte, die er nicht verstand. Es siel ihm nicht im geringsten ein, daß er selber ein wenig Verdienst bei der ganzen Geschichte gehabt hatte, und das war im Grunde hübsch von ihm. Aber da fiel es Jakob ein, und plötzlich kniete er neben Nero nieder, schlang beide Arme um seinen Hals und weinte vor Dankbarkeit und Freude. Litteratur ^Dies Neugestaltung des Geschichtsunterrichts aus höhern Lehranstalten. V»n Richard Mariens. Leipzig, W. Engelmann, 1892. VI und 118 S. Der Titel dieser kleinen Schrift würde genauer lauten: „Die Neugestaltung des Geschichtsunterrichts auf deu preußischen Gymnasien," denn nnr von diesen ist die Rede, und weder auf die Realgymnasien noch auf außerpreußische Schulen nimmt der Verfasser, Direktor des königl. Gymnasiums zu Marienburg in West- preußen, unmittelbar Rücksicht. Es erklärt sich das hinlänglich ans der Veran¬ lassung seiner Arbeit, die als ein Bericht für die im Juli 1392 zu Memel abge¬ haltene dreizehnte Direktorenversammlung der Provinzen Ost- und Westpreußen ent¬ standen ist und diese Entstehung auch in dem vorliegenden Svnderabdrnck nicht verleugnet, beiläufig zur großen Unbequemlichkeit des Lesers, der uicht nur die sämtlichen ihm ziemlich gleichgiltigen Äußerungen andrer Gutachten mit hinnehmen muß, sondern much fortwährend über unverständliche Abkürzungen stolpert. Gewiß wäre der Sache besser gedient gewesen, wenn der Verfasser nnr seine eignen An¬ sichten ungefähr auf der halben Seitenzahl entwickelt hätte, und hoffentlich thut Grenzboten IV 1892 83

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/665>, abgerufen am 27.04.2024.