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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Ferdinand Gregorovius

ach dem Tode eines bedeutenden Mannes empfinden die Über¬
lebenden das leicht erklärliche Bedürfnis, genaueres über seinen
Lebensgang, die Wurzeln seiner Thätigkeit, seine mit ihm zu
Grabe getragnen Wünsche und Hoffnungen, kurz alles das zu
erfahren, was er bei seinen Lebzeiten in seinen Werken der Welt
nicht selbst mitgeteilt hat. Ferdinand Gregvrovius war uicht allein ein her¬
vorragender Schriftsteller, sondern er gehörte auch viele Jahre lang gewisser¬
maßen zur Staffage der Stadt Rom. Ans der kosmopolitischen Bühne, über die
in jedem Winter große Scharen von Fremden aus allen gebildeten Nationen
ziehen, nahm er eine feste, ganz eigentümliche Stellung ein. Er war nicht wie
Winckelmann und seine Nachfolger der ^utiqrmrio mobil", der vornehme Besucher
in die Kenntnis der Denkmäler Roms einweihte, sondern er ließ die Fremden
gemächlich an sich herankommen und nahm es nicht übel, wenn man in seiner
Person dem Genius des weltbeherrscheuden Roms und seiner Geschichte opferte.
Dazu kam sein Verhältnis zu zahlreichen historischen römischen Familien,
denen er sich bewußt war durch seine Geschichte Roms im Mittelalter einiger¬
maßen mit zur Unsterblichkeit verholfen zu haben.

Einen solchen Mann näher kennen zu lernen ist nicht bloß denen, die ihm
im Leben nahe getreten sind, ein Bedürfnis, sondern wird auch den zahlreichen
Lesern seiner Schriften willkommen sein. So hat sein langjähriger Freund
Friedrich Althaus ein verdienstvolles Werk durch die Veröffentlichung von
Gregvrovius Römischen Tagebüchern unternommen, die kürzlich im Ver¬
lage der Cvttaischen Buchhandlung in Stuttgart erschienen sind.

Freilich enttäuschen diese Aufzeichnungen insofern, als man kein Wort über
das vorrömische Leben des Geschichtschreibers erführe. Denn eine ausführ¬
liche Biographie von ihm -- sagt Althaus in der Vorrede -- wird wohl nie ver¬
öffentlicht werden. Er selbst war, statt Materialien zu einer solchen zu sammeln,
während seiner letzten Lebensjahre bemüht, die vorhandnen zu zerstören, indem
er sowohl seine eignen Papiere den Flammen übergab, als von Freunden, mit
denen er korrespondirt hatte, die Vernichtung seiner Papiere forderte.

So erfahren wir denn auch von Althaus nichts über den eigentlichen
Grund, der Gregvrovius uach Rom getrieben hat. In dem letzten Winter


Greuzboteii IV 1392 es


Ferdinand Gregorovius

ach dem Tode eines bedeutenden Mannes empfinden die Über¬
lebenden das leicht erklärliche Bedürfnis, genaueres über seinen
Lebensgang, die Wurzeln seiner Thätigkeit, seine mit ihm zu
Grabe getragnen Wünsche und Hoffnungen, kurz alles das zu
erfahren, was er bei seinen Lebzeiten in seinen Werken der Welt
nicht selbst mitgeteilt hat. Ferdinand Gregvrovius war uicht allein ein her¬
vorragender Schriftsteller, sondern er gehörte auch viele Jahre lang gewisser¬
maßen zur Staffage der Stadt Rom. Ans der kosmopolitischen Bühne, über die
in jedem Winter große Scharen von Fremden aus allen gebildeten Nationen
ziehen, nahm er eine feste, ganz eigentümliche Stellung ein. Er war nicht wie
Winckelmann und seine Nachfolger der ^utiqrmrio mobil«, der vornehme Besucher
in die Kenntnis der Denkmäler Roms einweihte, sondern er ließ die Fremden
gemächlich an sich herankommen und nahm es nicht übel, wenn man in seiner
Person dem Genius des weltbeherrscheuden Roms und seiner Geschichte opferte.
Dazu kam sein Verhältnis zu zahlreichen historischen römischen Familien,
denen er sich bewußt war durch seine Geschichte Roms im Mittelalter einiger¬
maßen mit zur Unsterblichkeit verholfen zu haben.

Einen solchen Mann näher kennen zu lernen ist nicht bloß denen, die ihm
im Leben nahe getreten sind, ein Bedürfnis, sondern wird auch den zahlreichen
Lesern seiner Schriften willkommen sein. So hat sein langjähriger Freund
Friedrich Althaus ein verdienstvolles Werk durch die Veröffentlichung von
Gregvrovius Römischen Tagebüchern unternommen, die kürzlich im Ver¬
lage der Cvttaischen Buchhandlung in Stuttgart erschienen sind.

Freilich enttäuschen diese Aufzeichnungen insofern, als man kein Wort über
das vorrömische Leben des Geschichtschreibers erführe. Denn eine ausführ¬
liche Biographie von ihm — sagt Althaus in der Vorrede — wird wohl nie ver¬
öffentlicht werden. Er selbst war, statt Materialien zu einer solchen zu sammeln,
während seiner letzten Lebensjahre bemüht, die vorhandnen zu zerstören, indem
er sowohl seine eignen Papiere den Flammen übergab, als von Freunden, mit
denen er korrespondirt hatte, die Vernichtung seiner Papiere forderte.

So erfahren wir denn auch von Althaus nichts über den eigentlichen
Grund, der Gregvrovius uach Rom getrieben hat. In dem letzten Winter


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[0097] [Abbildung] Ferdinand Gregorovius ach dem Tode eines bedeutenden Mannes empfinden die Über¬ lebenden das leicht erklärliche Bedürfnis, genaueres über seinen Lebensgang, die Wurzeln seiner Thätigkeit, seine mit ihm zu Grabe getragnen Wünsche und Hoffnungen, kurz alles das zu erfahren, was er bei seinen Lebzeiten in seinen Werken der Welt nicht selbst mitgeteilt hat. Ferdinand Gregvrovius war uicht allein ein her¬ vorragender Schriftsteller, sondern er gehörte auch viele Jahre lang gewisser¬ maßen zur Staffage der Stadt Rom. Ans der kosmopolitischen Bühne, über die in jedem Winter große Scharen von Fremden aus allen gebildeten Nationen ziehen, nahm er eine feste, ganz eigentümliche Stellung ein. Er war nicht wie Winckelmann und seine Nachfolger der ^utiqrmrio mobil«, der vornehme Besucher in die Kenntnis der Denkmäler Roms einweihte, sondern er ließ die Fremden gemächlich an sich herankommen und nahm es nicht übel, wenn man in seiner Person dem Genius des weltbeherrscheuden Roms und seiner Geschichte opferte. Dazu kam sein Verhältnis zu zahlreichen historischen römischen Familien, denen er sich bewußt war durch seine Geschichte Roms im Mittelalter einiger¬ maßen mit zur Unsterblichkeit verholfen zu haben. Einen solchen Mann näher kennen zu lernen ist nicht bloß denen, die ihm im Leben nahe getreten sind, ein Bedürfnis, sondern wird auch den zahlreichen Lesern seiner Schriften willkommen sein. So hat sein langjähriger Freund Friedrich Althaus ein verdienstvolles Werk durch die Veröffentlichung von Gregvrovius Römischen Tagebüchern unternommen, die kürzlich im Ver¬ lage der Cvttaischen Buchhandlung in Stuttgart erschienen sind. Freilich enttäuschen diese Aufzeichnungen insofern, als man kein Wort über das vorrömische Leben des Geschichtschreibers erführe. Denn eine ausführ¬ liche Biographie von ihm — sagt Althaus in der Vorrede — wird wohl nie ver¬ öffentlicht werden. Er selbst war, statt Materialien zu einer solchen zu sammeln, während seiner letzten Lebensjahre bemüht, die vorhandnen zu zerstören, indem er sowohl seine eignen Papiere den Flammen übergab, als von Freunden, mit denen er korrespondirt hatte, die Vernichtung seiner Papiere forderte. So erfahren wir denn auch von Althaus nichts über den eigentlichen Grund, der Gregvrovius uach Rom getrieben hat. In dem letzten Winter Greuzboteii IV 1392 es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/97>, abgerufen am 27.04.2024.