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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Ferdinand Gregorovius

der alten päpstlichen Herrschaft (1868 auf 1869), in der Zeit, wo Gregorovius
auf der Höhe seines gesellschaftlichen Ansehens stand, war in Rom das Ge¬
rücht verbreitet, er sei in Königsberg mit seiner Stellung als Lehrer an einer
Mädchenschule unzufrieden gewesen und habe einer unglücklichen Ehe durch
Scheidung ein Ende gemacht; um diesen Verhältnissen zu entrinnen, sei er nach
Rom gekommen. Ob beide oder eins von beiden Gerüchten wahr gewesen sind,
vermochte niemand zu entscheiden, da das einzige, was Gregorovius über seine
Person zu sagen pflegte, die Mitteilung war, er stamme aus einer polnischen
eidlichen Familie und heiße eigentlich von Gregorowitsch,

Seine Tagebücher umfassen die Jahre 1852 bis 1874 und gewähren eine
höchst interessante Lektüre, da der Verfasser mit einer großen Anzahl hervor¬
ragender Männer verkehrte, das Papsttum aus nächster Anschauung kannte und
den Vorgängen im Konzil ebenso nahe stand wie der Politik des Königreichs
Italien. Außerordentlich wohlthuend berührt die warme Liebe zu Deutsch¬
land, die sich durch alle seine Äußerungen hinzieht. Seine politische Urteils¬
kraft bewährt er ebenso sehr in dem festen Vertrauen zu der preußischen Politik
und zu ihrem Erfolge wie z. V. in der unparteiischen Anschauung, die er über
Papsttum und Katholizismus hegt. So schreibt er am 29. Juni 1867: "Das
Papsttum ist eine lateinische Form und wird nur mit der lateinischen Rasse
selbst aufhören. Wenn Gervinus die vielen Tausende gesehen hätte, welche
bei diesem (dem Peter-Pauls-) Feste zusammenströmten, so würde er seine An¬
sicht über die Dauer des Papsttums geändert haben. Die Urteile der Pro¬
testanten leiden in dieser Beziehung alle an der falschen Auffassung der latei¬
nischen Welt, welche sie nicht kennen, und deren geistige Bewegung sie nach
germanischem Maße messen. Papsttum und Katholizismus sind aber der latei¬
nischen Nationalität fest eingeprägte Formen, und in ihnen wird sich ihr Leben
noch lange darstellen." Was würde Gregorovius erst gesagt haben, wenn er
die Schriften Tredes gelesen hätte!

Seinen klaren Blick bewährt er auch z. B. in Betreff der englischen Politik.
Die Liebe, die sich in England im Jahre 1860 plötzlich für Unteritalien zeigte,
veranlaßt ihn zu der kurzen Bemerkung: "Die Times wirft Liebesblicke auf
Sizilien und erinnert an die goldne Zeit der Insel unter dem Regiment des
Lord William Bentinck."

Auch was er am 8. September 1862 über München sagt, wird schwer¬
lich viel Widerspruch finden: "München ist die kulissenhafte Schöpfung einiger
Könige. Das Fürstenhaus hat diese Stadt zu einer großen und schönen Re¬
sidenz machen wollen. Riesige Entwürfe, voll Geist, sind hier verzwergt, weil
sie außer dem Verhältnis zum Volk und dessen Bedürfnissen stehen. Man
wollte die Münchner über Nacht zu Florentinern machen. Dieser Stadt fehlen
drei Dinge: Phantasie, Vornehmheit. Grazie."

Sehr interessant ist das Urteil, das nach Gregorovius Aufzeichnungen


Ferdinand Gregorovius

der alten päpstlichen Herrschaft (1868 auf 1869), in der Zeit, wo Gregorovius
auf der Höhe seines gesellschaftlichen Ansehens stand, war in Rom das Ge¬
rücht verbreitet, er sei in Königsberg mit seiner Stellung als Lehrer an einer
Mädchenschule unzufrieden gewesen und habe einer unglücklichen Ehe durch
Scheidung ein Ende gemacht; um diesen Verhältnissen zu entrinnen, sei er nach
Rom gekommen. Ob beide oder eins von beiden Gerüchten wahr gewesen sind,
vermochte niemand zu entscheiden, da das einzige, was Gregorovius über seine
Person zu sagen pflegte, die Mitteilung war, er stamme aus einer polnischen
eidlichen Familie und heiße eigentlich von Gregorowitsch,

Seine Tagebücher umfassen die Jahre 1852 bis 1874 und gewähren eine
höchst interessante Lektüre, da der Verfasser mit einer großen Anzahl hervor¬
ragender Männer verkehrte, das Papsttum aus nächster Anschauung kannte und
den Vorgängen im Konzil ebenso nahe stand wie der Politik des Königreichs
Italien. Außerordentlich wohlthuend berührt die warme Liebe zu Deutsch¬
land, die sich durch alle seine Äußerungen hinzieht. Seine politische Urteils¬
kraft bewährt er ebenso sehr in dem festen Vertrauen zu der preußischen Politik
und zu ihrem Erfolge wie z. V. in der unparteiischen Anschauung, die er über
Papsttum und Katholizismus hegt. So schreibt er am 29. Juni 1867: „Das
Papsttum ist eine lateinische Form und wird nur mit der lateinischen Rasse
selbst aufhören. Wenn Gervinus die vielen Tausende gesehen hätte, welche
bei diesem (dem Peter-Pauls-) Feste zusammenströmten, so würde er seine An¬
sicht über die Dauer des Papsttums geändert haben. Die Urteile der Pro¬
testanten leiden in dieser Beziehung alle an der falschen Auffassung der latei¬
nischen Welt, welche sie nicht kennen, und deren geistige Bewegung sie nach
germanischem Maße messen. Papsttum und Katholizismus sind aber der latei¬
nischen Nationalität fest eingeprägte Formen, und in ihnen wird sich ihr Leben
noch lange darstellen." Was würde Gregorovius erst gesagt haben, wenn er
die Schriften Tredes gelesen hätte!

Seinen klaren Blick bewährt er auch z. B. in Betreff der englischen Politik.
Die Liebe, die sich in England im Jahre 1860 plötzlich für Unteritalien zeigte,
veranlaßt ihn zu der kurzen Bemerkung: „Die Times wirft Liebesblicke auf
Sizilien und erinnert an die goldne Zeit der Insel unter dem Regiment des
Lord William Bentinck."

Auch was er am 8. September 1862 über München sagt, wird schwer¬
lich viel Widerspruch finden: „München ist die kulissenhafte Schöpfung einiger
Könige. Das Fürstenhaus hat diese Stadt zu einer großen und schönen Re¬
sidenz machen wollen. Riesige Entwürfe, voll Geist, sind hier verzwergt, weil
sie außer dem Verhältnis zum Volk und dessen Bedürfnissen stehen. Man
wollte die Münchner über Nacht zu Florentinern machen. Dieser Stadt fehlen
drei Dinge: Phantasie, Vornehmheit. Grazie."

Sehr interessant ist das Urteil, das nach Gregorovius Aufzeichnungen


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[0098] Ferdinand Gregorovius der alten päpstlichen Herrschaft (1868 auf 1869), in der Zeit, wo Gregorovius auf der Höhe seines gesellschaftlichen Ansehens stand, war in Rom das Ge¬ rücht verbreitet, er sei in Königsberg mit seiner Stellung als Lehrer an einer Mädchenschule unzufrieden gewesen und habe einer unglücklichen Ehe durch Scheidung ein Ende gemacht; um diesen Verhältnissen zu entrinnen, sei er nach Rom gekommen. Ob beide oder eins von beiden Gerüchten wahr gewesen sind, vermochte niemand zu entscheiden, da das einzige, was Gregorovius über seine Person zu sagen pflegte, die Mitteilung war, er stamme aus einer polnischen eidlichen Familie und heiße eigentlich von Gregorowitsch, Seine Tagebücher umfassen die Jahre 1852 bis 1874 und gewähren eine höchst interessante Lektüre, da der Verfasser mit einer großen Anzahl hervor¬ ragender Männer verkehrte, das Papsttum aus nächster Anschauung kannte und den Vorgängen im Konzil ebenso nahe stand wie der Politik des Königreichs Italien. Außerordentlich wohlthuend berührt die warme Liebe zu Deutsch¬ land, die sich durch alle seine Äußerungen hinzieht. Seine politische Urteils¬ kraft bewährt er ebenso sehr in dem festen Vertrauen zu der preußischen Politik und zu ihrem Erfolge wie z. V. in der unparteiischen Anschauung, die er über Papsttum und Katholizismus hegt. So schreibt er am 29. Juni 1867: „Das Papsttum ist eine lateinische Form und wird nur mit der lateinischen Rasse selbst aufhören. Wenn Gervinus die vielen Tausende gesehen hätte, welche bei diesem (dem Peter-Pauls-) Feste zusammenströmten, so würde er seine An¬ sicht über die Dauer des Papsttums geändert haben. Die Urteile der Pro¬ testanten leiden in dieser Beziehung alle an der falschen Auffassung der latei¬ nischen Welt, welche sie nicht kennen, und deren geistige Bewegung sie nach germanischem Maße messen. Papsttum und Katholizismus sind aber der latei¬ nischen Nationalität fest eingeprägte Formen, und in ihnen wird sich ihr Leben noch lange darstellen." Was würde Gregorovius erst gesagt haben, wenn er die Schriften Tredes gelesen hätte! Seinen klaren Blick bewährt er auch z. B. in Betreff der englischen Politik. Die Liebe, die sich in England im Jahre 1860 plötzlich für Unteritalien zeigte, veranlaßt ihn zu der kurzen Bemerkung: „Die Times wirft Liebesblicke auf Sizilien und erinnert an die goldne Zeit der Insel unter dem Regiment des Lord William Bentinck." Auch was er am 8. September 1862 über München sagt, wird schwer¬ lich viel Widerspruch finden: „München ist die kulissenhafte Schöpfung einiger Könige. Das Fürstenhaus hat diese Stadt zu einer großen und schönen Re¬ sidenz machen wollen. Riesige Entwürfe, voll Geist, sind hier verzwergt, weil sie außer dem Verhältnis zum Volk und dessen Bedürfnissen stehen. Man wollte die Münchner über Nacht zu Florentinern machen. Dieser Stadt fehlen drei Dinge: Phantasie, Vornehmheit. Grazie." Sehr interessant ist das Urteil, das nach Gregorovius Aufzeichnungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/98>, abgerufen am 09.05.2024.