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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Gin Nachdrucksprozeß
O, Bähr von

n einem kleinen bairischen Orte war eil? zehnjähriger Knabe,
der Sohn eines katholischen Müllers aus einer gemischten Ehe,
angeblich von Teufeln besessen. Man wußte auch, woher es
kam. Eine protestantische Nachbarfran hatte dem Knaben Hutzeln
zu essen gegeben und ihn dadurch verhext. Nach mehrfachen
andern Versuchen, die Teufel auszutreiben, wurde die Angelegenheit an die
Kapuziner des Klosters Wemding gebracht. Der dortige Pater Aurelian nahm
nun eine umständliche Beschwörung der Teufel vor, und dadurch gelang es
ihm, die Teufel auszutreiben. Über das alles erstattete Pater Aurelinn einen
ausführlichen Bericht für die Archive der Klöster Wemding und Altöttiiig.
Den Entwurf des Berichts behielt der Pater zurück. Er gab ihn noch andern
zu lese", und diese gaben ihn wieder andern. So gelangte eine Abschrift des
Berichts auch an die Redaktion der Kölnischen Zeitung. Diese sandte zu¬
nächst einen ihrer Schriftleiter an Ort und Stelle, um Erkundigung einzu-
ziehn, ob uicht etwa eine Täuschung vorliege. Nachdem aber festgestellt war,
daß wirklich eine Teufelsbeschwvruug, so wie in dem Bericht erzählt war,
stattgefunden hatte, widmete im Mai v. I. die Zeitung dieser interessanten
Angelegenheit einen ausführlichen Artikel, worin der Bericht des Pater Aurelien
wörtlich aufgenommen wurde. Natürlich durchlief dieser Bericht alle Blätter.

Hierauf erhob der Staatsmiwalt gegen den Redakteur der Kölnischen
Zeitung Anklage, weil er durch Veröffentlichung des Berichts, ohne Zustim¬
mung des Urhebers, eine" strafbaren Nachdruck begangen habe. Auf gepflogene
Verhandlung beantragte der Staatsanwalt wegen dieses Nachdrucks gegen den
angeklagten Redakteur eine Geldstrafe von tausend Mark. Auch das Gericht
nahm einen strafbaren Nachdruck als begangen an, ließ es aber bei eiuer
Strafe von fünfzig Mark bewenden. Als strasmindernd wurde bezeichnet,
daß der Angeklagte geglaubt habe, durch Veröffentlichung des Berichts
eine Kulturaufgabe zu erfüllen. Eine ausführliche Darstellung der Verhand¬
lungen findet sich in den Blättern der Kölnischen Zeitung vom 29. und
30. November.

Der Prozeß giebt uns Veranlassung, die Frage zu stellen: War denn




Gin Nachdrucksprozeß
O, Bähr von

n einem kleinen bairischen Orte war eil? zehnjähriger Knabe,
der Sohn eines katholischen Müllers aus einer gemischten Ehe,
angeblich von Teufeln besessen. Man wußte auch, woher es
kam. Eine protestantische Nachbarfran hatte dem Knaben Hutzeln
zu essen gegeben und ihn dadurch verhext. Nach mehrfachen
andern Versuchen, die Teufel auszutreiben, wurde die Angelegenheit an die
Kapuziner des Klosters Wemding gebracht. Der dortige Pater Aurelian nahm
nun eine umständliche Beschwörung der Teufel vor, und dadurch gelang es
ihm, die Teufel auszutreiben. Über das alles erstattete Pater Aurelinn einen
ausführlichen Bericht für die Archive der Klöster Wemding und Altöttiiig.
Den Entwurf des Berichts behielt der Pater zurück. Er gab ihn noch andern
zu lese», und diese gaben ihn wieder andern. So gelangte eine Abschrift des
Berichts auch an die Redaktion der Kölnischen Zeitung. Diese sandte zu¬
nächst einen ihrer Schriftleiter an Ort und Stelle, um Erkundigung einzu-
ziehn, ob uicht etwa eine Täuschung vorliege. Nachdem aber festgestellt war,
daß wirklich eine Teufelsbeschwvruug, so wie in dem Bericht erzählt war,
stattgefunden hatte, widmete im Mai v. I. die Zeitung dieser interessanten
Angelegenheit einen ausführlichen Artikel, worin der Bericht des Pater Aurelien
wörtlich aufgenommen wurde. Natürlich durchlief dieser Bericht alle Blätter.

Hierauf erhob der Staatsmiwalt gegen den Redakteur der Kölnischen
Zeitung Anklage, weil er durch Veröffentlichung des Berichts, ohne Zustim¬
mung des Urhebers, eine» strafbaren Nachdruck begangen habe. Auf gepflogene
Verhandlung beantragte der Staatsanwalt wegen dieses Nachdrucks gegen den
angeklagten Redakteur eine Geldstrafe von tausend Mark. Auch das Gericht
nahm einen strafbaren Nachdruck als begangen an, ließ es aber bei eiuer
Strafe von fünfzig Mark bewenden. Als strasmindernd wurde bezeichnet,
daß der Angeklagte geglaubt habe, durch Veröffentlichung des Berichts
eine Kulturaufgabe zu erfüllen. Eine ausführliche Darstellung der Verhand¬
lungen findet sich in den Blättern der Kölnischen Zeitung vom 29. und
30. November.

Der Prozeß giebt uns Veranlassung, die Frage zu stellen: War denn


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[0100] [Abbildung] Gin Nachdrucksprozeß O, Bähr von n einem kleinen bairischen Orte war eil? zehnjähriger Knabe, der Sohn eines katholischen Müllers aus einer gemischten Ehe, angeblich von Teufeln besessen. Man wußte auch, woher es kam. Eine protestantische Nachbarfran hatte dem Knaben Hutzeln zu essen gegeben und ihn dadurch verhext. Nach mehrfachen andern Versuchen, die Teufel auszutreiben, wurde die Angelegenheit an die Kapuziner des Klosters Wemding gebracht. Der dortige Pater Aurelian nahm nun eine umständliche Beschwörung der Teufel vor, und dadurch gelang es ihm, die Teufel auszutreiben. Über das alles erstattete Pater Aurelinn einen ausführlichen Bericht für die Archive der Klöster Wemding und Altöttiiig. Den Entwurf des Berichts behielt der Pater zurück. Er gab ihn noch andern zu lese», und diese gaben ihn wieder andern. So gelangte eine Abschrift des Berichts auch an die Redaktion der Kölnischen Zeitung. Diese sandte zu¬ nächst einen ihrer Schriftleiter an Ort und Stelle, um Erkundigung einzu- ziehn, ob uicht etwa eine Täuschung vorliege. Nachdem aber festgestellt war, daß wirklich eine Teufelsbeschwvruug, so wie in dem Bericht erzählt war, stattgefunden hatte, widmete im Mai v. I. die Zeitung dieser interessanten Angelegenheit einen ausführlichen Artikel, worin der Bericht des Pater Aurelien wörtlich aufgenommen wurde. Natürlich durchlief dieser Bericht alle Blätter. Hierauf erhob der Staatsmiwalt gegen den Redakteur der Kölnischen Zeitung Anklage, weil er durch Veröffentlichung des Berichts, ohne Zustim¬ mung des Urhebers, eine» strafbaren Nachdruck begangen habe. Auf gepflogene Verhandlung beantragte der Staatsanwalt wegen dieses Nachdrucks gegen den angeklagten Redakteur eine Geldstrafe von tausend Mark. Auch das Gericht nahm einen strafbaren Nachdruck als begangen an, ließ es aber bei eiuer Strafe von fünfzig Mark bewenden. Als strasmindernd wurde bezeichnet, daß der Angeklagte geglaubt habe, durch Veröffentlichung des Berichts eine Kulturaufgabe zu erfüllen. Eine ausführliche Darstellung der Verhand¬ lungen findet sich in den Blättern der Kölnischen Zeitung vom 29. und 30. November. Der Prozeß giebt uns Veranlassung, die Frage zu stellen: War denn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/100>, abgerufen am 28.04.2024.