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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Dus Vermächtnis und die Prophezeiung Lenaus, daß Nordamerika dem
Deutschtum gehöre und gehören werde, verdient gerade jetzt, wo wir die
hundertjährige Entdeckung Amerikas gefeiert haben, von uus Deutschen ganz
besonders in Betracht gezogen zu werden dadurch, daß wir das geistvolle Buch
Kürnbergers studiren und jene Verhältnisse prüfen und mit der Gegenwart
vergleichen.


L, Below


Gin Blick in die Verhandlungen einer
Gesetzgebungskommission

ekanntlich war zu Anfang der sechziger Jahre in Hannover eine
von allen größern deutschen Staaten (mit Ausnahme Preußens)
beschickte Kommission versammelt, der die Aufgabe gestellt war,
eine deutsche Zivilprozeßordnung zu Stande zu bringen. Ein
Mitglied dieser Kommission schrieb nun an einen Freund in der
Heimat öfter Briefe, die das Treiben innerhalb der Kommission in sehr er¬
götzlicher, aber auch in sehr lehrreicher Weise schilderten. Wir glauben uns
den Dank mancher Leser zu verdienen, wenn wir die Briefe (unter Weglassung
alles Bedeutungslosen) hier mitteilen.

Hannover, 23. April 1863. . . . An die Frage des rechtskräftigen Beweis¬
urteils müssen wir nun bald kommen. Mit dem allgemeinen Teil sind wir fertig,
und gestern ist der letzte Paragraph redigirt worden. Ich kann nicht leugnen, daß
mich dieses Redaktionswerk gründlich gelangweilt und wiederholt an Juvcnals
UWoils sse Wtiram n<in LvriKcire erinnert hat. Die gelehrte Menschheit zerfällt
bekanntlich in Genies und Nichtgenies, und die erstere Klasse ist die seltenere, in
der Kommission auch, beim Licht besehen, gar nicht vertreten. Vielmehr hat man
auf jene Originalkräfte ganz zu verzichten, und ich wette darauf, in den 220 und
einigen Paragraphen des Entwurfs ist kein einziger originaler oder genialer Ge¬
danke zu finden. Sie werden, wenn Sie ihn lesen, mit Faust sagen: Du hast
wohl Recht; ich finde nicht die Spur von einem Geist, und alles ist Dressur. Ich
tröste mich mit Wagner: Dem Hunde, wenn er gut gezogen, wird selbst ein weiser
Mann gewogen. Die erste Hand an die Dressur des Hundes legt Leonhardt,
eine echte Tierbäudigergestalt. Der Hund ist nach hohem Beschluß des Deutschen
Bundes bekanntlich der hannoversche Schäferhund, ein Bastard des französischen
Wachtelhundes mit dem gemeinrechtlichen Spitz oder Haushund. Der Wachtelhund
ist schon nicht mehr ganz reine Rasse, sondern Genfer Abkunft; vom Spitz ist im
ganzen nichts Erhebliches übrig geblieben, allenfalls die Rute statt der Fahne.
Diese Rute ist nun der Gegenstand des Angriffs, zunächst der Korreferenten,
Baiern und Sachsen. Herr Leonhardt hat seinem hannöverschen Schoßhund einigen
Flitter angehängt, ein rotes Halsbändchen oder dergleichen. Baiern behauptet, eine


Dus Vermächtnis und die Prophezeiung Lenaus, daß Nordamerika dem
Deutschtum gehöre und gehören werde, verdient gerade jetzt, wo wir die
hundertjährige Entdeckung Amerikas gefeiert haben, von uus Deutschen ganz
besonders in Betracht gezogen zu werden dadurch, daß wir das geistvolle Buch
Kürnbergers studiren und jene Verhältnisse prüfen und mit der Gegenwart
vergleichen.


L, Below


Gin Blick in die Verhandlungen einer
Gesetzgebungskommission

ekanntlich war zu Anfang der sechziger Jahre in Hannover eine
von allen größern deutschen Staaten (mit Ausnahme Preußens)
beschickte Kommission versammelt, der die Aufgabe gestellt war,
eine deutsche Zivilprozeßordnung zu Stande zu bringen. Ein
Mitglied dieser Kommission schrieb nun an einen Freund in der
Heimat öfter Briefe, die das Treiben innerhalb der Kommission in sehr er¬
götzlicher, aber auch in sehr lehrreicher Weise schilderten. Wir glauben uns
den Dank mancher Leser zu verdienen, wenn wir die Briefe (unter Weglassung
alles Bedeutungslosen) hier mitteilen.

Hannover, 23. April 1863. . . . An die Frage des rechtskräftigen Beweis¬
urteils müssen wir nun bald kommen. Mit dem allgemeinen Teil sind wir fertig,
und gestern ist der letzte Paragraph redigirt worden. Ich kann nicht leugnen, daß
mich dieses Redaktionswerk gründlich gelangweilt und wiederholt an Juvcnals
UWoils sse Wtiram n<in LvriKcire erinnert hat. Die gelehrte Menschheit zerfällt
bekanntlich in Genies und Nichtgenies, und die erstere Klasse ist die seltenere, in
der Kommission auch, beim Licht besehen, gar nicht vertreten. Vielmehr hat man
auf jene Originalkräfte ganz zu verzichten, und ich wette darauf, in den 220 und
einigen Paragraphen des Entwurfs ist kein einziger originaler oder genialer Ge¬
danke zu finden. Sie werden, wenn Sie ihn lesen, mit Faust sagen: Du hast
wohl Recht; ich finde nicht die Spur von einem Geist, und alles ist Dressur. Ich
tröste mich mit Wagner: Dem Hunde, wenn er gut gezogen, wird selbst ein weiser
Mann gewogen. Die erste Hand an die Dressur des Hundes legt Leonhardt,
eine echte Tierbäudigergestalt. Der Hund ist nach hohem Beschluß des Deutschen
Bundes bekanntlich der hannoversche Schäferhund, ein Bastard des französischen
Wachtelhundes mit dem gemeinrechtlichen Spitz oder Haushund. Der Wachtelhund
ist schon nicht mehr ganz reine Rasse, sondern Genfer Abkunft; vom Spitz ist im
ganzen nichts Erhebliches übrig geblieben, allenfalls die Rute statt der Fahne.
Diese Rute ist nun der Gegenstand des Angriffs, zunächst der Korreferenten,
Baiern und Sachsen. Herr Leonhardt hat seinem hannöverschen Schoßhund einigen
Flitter angehängt, ein rotes Halsbändchen oder dergleichen. Baiern behauptet, eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/153>, abgerufen am 28.04.2024.