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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

mir täglich neue Anstünde bemerklich werden, können Sie denken! Gott gebe bald
Besserung!

(Aus einem Briefe ohne Datum.).....Kürzlich hat die österreichische Re¬
gierung den Wunsch aussprechen lassen, die Kommission möge sich über die bezüg¬
lichen Prinzipienfragen gleich jetzt und bevor sie der Reihe nach dahin geführt
werde, ausspreche". Die Referenten sollen darüber Vortrag erstatten. Vor einigen
Tagen nun hat Hannover vertraulich eine Zusammenstellung gutachtlicher Äußerungen
der vornehmsten Praktiker des Landes mitgeteilt, die fast einstimmig für Beibehaltung
eines den Richter bindenden Beweisinterlotuts sind. Ich gestehe, daß mir ihre
materiellen Gründe nicht sonderlich erheblich scheinen. Die Stimmen in der Kom¬
mission sind in dieser Frage dergestalt geteilt, daß wahrscheinlich eine Stimme den
Ausschlag geben wird.

So weit diese Briefe. Es ist eine alte Geschichte, doch wird sie immer neu.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Bismarck und Bücher.

Durch Auszüge in verschiednen Zeitungen auf einen
Aufsatz über Lothar Buchers letzte Lebensjahre in "Schorers Familienblatt" auf¬
merksam geworden, haben wir uns dieses Blatt selbst verschafft. Im Zusammen¬
hange gelesen, machen die Mitteilungen weniger den Eindruck, als wäre es der
einzige Zweck ihrer Veröffentlichung, den Feinden des Fürsten Bismarck Wasser
auf die Mühle zu treiben. Wie stets in solchen Fällen, war es den Zeitungs¬
redakteuren darum zu thun, ihren Lesern das Pikanteste aus dem langen Aufsatze
vorzusetzen, und damit ist dem ungenannten Verfasser etwas verdientes widerfahren;
denn unverkennbar hat er dieselbe Methode gegenüber seinen Gesprächen mit Bucher
beobachtet. Daß es Bucher im amtliche" Verkehr nicht an Anlässen zur Ver¬
stimmung gefehlt hat, ist nach seinem Tode von Friedrichsruh her ausdrücklich be¬
stätigt worden, und man müßte es fast ein Wunder nennen, wenn dem nicht so
gewesen wäre; daß sich der Reichskanzler nicht selten in Personen getäuscht hat,
brauchte nicht erst "enthüllt" zu werden: manchen hat er selbst bald fallen lassen,
andre sollen seine lange Abwesenheit von Berlin benntzt haben, den Boden unter
seinen Füßen zu unterwühlen, noch andre warteten seinen Sturz ab, um ihn über
ihren Charakter nufzukläreu. Gelegentliche Äußerungen des Mißmuth sind ans
diesen und ander" Gründen, zumal bei eine"! einsamen Manne, wohl begreiflich.
Er wird freilich nicht vorausgesehn haben, daß jemand jedes Wort notiren oder,
noch schlimmer, aus dem Gedächtnis einmal für den Druck Herrichten würde; Inter¬
viewer verhehlen wenigstens diese Absicht nicht. Und deren Aussagen kann der
Interviewte berichtigen. Wuchers Mund aber ist geschlossen. Doch erheben That¬
sachen Widerspruch. Hätte er wirklich von Bismarck gedacht, wie hier behauptet
wird, so würde er uicht freiwillig zu ihm zurückgekehrt sein, als sich andre von
ihm zurückzogen. Hat er die Mitglieder der Familie erwähnt, so ist auch, das


Maßgebliches und Unmaßgebliches

mir täglich neue Anstünde bemerklich werden, können Sie denken! Gott gebe bald
Besserung!

(Aus einem Briefe ohne Datum.).....Kürzlich hat die österreichische Re¬
gierung den Wunsch aussprechen lassen, die Kommission möge sich über die bezüg¬
lichen Prinzipienfragen gleich jetzt und bevor sie der Reihe nach dahin geführt
werde, ausspreche». Die Referenten sollen darüber Vortrag erstatten. Vor einigen
Tagen nun hat Hannover vertraulich eine Zusammenstellung gutachtlicher Äußerungen
der vornehmsten Praktiker des Landes mitgeteilt, die fast einstimmig für Beibehaltung
eines den Richter bindenden Beweisinterlotuts sind. Ich gestehe, daß mir ihre
materiellen Gründe nicht sonderlich erheblich scheinen. Die Stimmen in der Kom¬
mission sind in dieser Frage dergestalt geteilt, daß wahrscheinlich eine Stimme den
Ausschlag geben wird.

So weit diese Briefe. Es ist eine alte Geschichte, doch wird sie immer neu.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Bismarck und Bücher.

Durch Auszüge in verschiednen Zeitungen auf einen
Aufsatz über Lothar Buchers letzte Lebensjahre in „Schorers Familienblatt" auf¬
merksam geworden, haben wir uns dieses Blatt selbst verschafft. Im Zusammen¬
hange gelesen, machen die Mitteilungen weniger den Eindruck, als wäre es der
einzige Zweck ihrer Veröffentlichung, den Feinden des Fürsten Bismarck Wasser
auf die Mühle zu treiben. Wie stets in solchen Fällen, war es den Zeitungs¬
redakteuren darum zu thun, ihren Lesern das Pikanteste aus dem langen Aufsatze
vorzusetzen, und damit ist dem ungenannten Verfasser etwas verdientes widerfahren;
denn unverkennbar hat er dieselbe Methode gegenüber seinen Gesprächen mit Bucher
beobachtet. Daß es Bucher im amtliche« Verkehr nicht an Anlässen zur Ver¬
stimmung gefehlt hat, ist nach seinem Tode von Friedrichsruh her ausdrücklich be¬
stätigt worden, und man müßte es fast ein Wunder nennen, wenn dem nicht so
gewesen wäre; daß sich der Reichskanzler nicht selten in Personen getäuscht hat,
brauchte nicht erst „enthüllt" zu werden: manchen hat er selbst bald fallen lassen,
andre sollen seine lange Abwesenheit von Berlin benntzt haben, den Boden unter
seinen Füßen zu unterwühlen, noch andre warteten seinen Sturz ab, um ihn über
ihren Charakter nufzukläreu. Gelegentliche Äußerungen des Mißmuth sind ans
diesen und ander» Gründen, zumal bei eine»! einsamen Manne, wohl begreiflich.
Er wird freilich nicht vorausgesehn haben, daß jemand jedes Wort notiren oder,
noch schlimmer, aus dem Gedächtnis einmal für den Druck Herrichten würde; Inter¬
viewer verhehlen wenigstens diese Absicht nicht. Und deren Aussagen kann der
Interviewte berichtigen. Wuchers Mund aber ist geschlossen. Doch erheben That¬
sachen Widerspruch. Hätte er wirklich von Bismarck gedacht, wie hier behauptet
wird, so würde er uicht freiwillig zu ihm zurückgekehrt sein, als sich andre von
ihm zurückzogen. Hat er die Mitglieder der Familie erwähnt, so ist auch, das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/156>, abgerufen am 27.04.2024.