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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Joel Dichter

Kräfte verfielen immer mehr, und als ich im August und September mit ihm
in Bad Elster zusammen war, fühlte er sein nahes Ende. Ich habe noch
manche wertvolle Stunde in Gesellschaft des unvergeßlichen Mannes verlebt,
der gerade in seinen letzten Tagen mitteilsamer war als sonst. Vor dem Kur¬
hause, auf einer Bank, die von der untergehenden Sonne warm beschienen
wurde, saßen wir fast jeden Nachmittag. Sein Geist lebte viel in der Ver¬
gangenheit, und seine Gedanken weilten oft bei Vismarck; er ahnte wohl nicht,
daß man ihn, den treuesten Freund, einst in so maßlos feindseliger Weise
gegen seinen alten Kanzler ausspielen würde.




Zwei Dichter
Gin Märchen

n einer großen Stadt des deutschen Vaterlandes, die hier den
Namen Jxingen tragen mag, ging man eben daran, ein großes
Fest zu feiern. In wenigen Wochen sollte der berühmte Mode¬
dichter Erwin Blumenstock, den die Stadt mit Stolz den Ihren
nannte, sein fünfnndzwanzigjähriges Dichterjubilnnm begehen.
Schon jetzt warf das große Ereignis seine Schatten voraus. Fast in allen
Nummern der Tagesblätter war bald unter deu Tagesneuigkeiten, bald unterm
Strich von Erwin Blumenstock die Rede, die Wochen- und Monatsschriften
bereiteten Festnummern mit dem Bildnis, der Lebensbeschreibung und Bei¬
trägen des großen Mannes vor, und die Schaufenster der Buchhandlungen,
Mode- und Galanteriewarenläden waren gefüllt mit Prachtausgaben der zahl¬
reichen Werke Erwin Blumenstocks, mit Photographien und Büsten des Ge¬
feierten, Blnmenstockkrawatten, Blnmenstockkragen, Blnmenstockhüten, Blumen¬
stockstöcken, Briefpapier mit Versen des Dichters und sonstigen "Blumenstvck-
artikelu."

Seit Monaten schon war der große "Blumeustocksubiläumsfestausschuiz"
bemüht, in zahllosen Sitzungen das Programm des Festes festzustellen und
es so glänzend wie möglich zu gestalte". Schon waren für den Vorabend
el" Fackelzug und ein Stündchen sämtlicher Musikkapellen und Gesangvereine
der Stadt und für deu Festtag selbst die Überreichung einer Unzahl von
Glückwuuschadresseu, eine Festversammlung, die Enthüllung einer Gedenktafel
am Geburtshause des Gefeierten, eine Festvorstellung im Theater, sowie ein
Bankett in Aussicht genommen; aber noch immer sann man darüber nach, wie


Joel Dichter

Kräfte verfielen immer mehr, und als ich im August und September mit ihm
in Bad Elster zusammen war, fühlte er sein nahes Ende. Ich habe noch
manche wertvolle Stunde in Gesellschaft des unvergeßlichen Mannes verlebt,
der gerade in seinen letzten Tagen mitteilsamer war als sonst. Vor dem Kur¬
hause, auf einer Bank, die von der untergehenden Sonne warm beschienen
wurde, saßen wir fast jeden Nachmittag. Sein Geist lebte viel in der Ver¬
gangenheit, und seine Gedanken weilten oft bei Vismarck; er ahnte wohl nicht,
daß man ihn, den treuesten Freund, einst in so maßlos feindseliger Weise
gegen seinen alten Kanzler ausspielen würde.




Zwei Dichter
Gin Märchen

n einer großen Stadt des deutschen Vaterlandes, die hier den
Namen Jxingen tragen mag, ging man eben daran, ein großes
Fest zu feiern. In wenigen Wochen sollte der berühmte Mode¬
dichter Erwin Blumenstock, den die Stadt mit Stolz den Ihren
nannte, sein fünfnndzwanzigjähriges Dichterjubilnnm begehen.
Schon jetzt warf das große Ereignis seine Schatten voraus. Fast in allen
Nummern der Tagesblätter war bald unter deu Tagesneuigkeiten, bald unterm
Strich von Erwin Blumenstock die Rede, die Wochen- und Monatsschriften
bereiteten Festnummern mit dem Bildnis, der Lebensbeschreibung und Bei¬
trägen des großen Mannes vor, und die Schaufenster der Buchhandlungen,
Mode- und Galanteriewarenläden waren gefüllt mit Prachtausgaben der zahl¬
reichen Werke Erwin Blumenstocks, mit Photographien und Büsten des Ge¬
feierten, Blnmenstockkrawatten, Blnmenstockkragen, Blnmenstockhüten, Blumen¬
stockstöcken, Briefpapier mit Versen des Dichters und sonstigen „Blumenstvck-
artikelu."

Seit Monaten schon war der große „Blumeustocksubiläumsfestausschuiz"
bemüht, in zahllosen Sitzungen das Programm des Festes festzustellen und
es so glänzend wie möglich zu gestalte«. Schon waren für den Vorabend
el» Fackelzug und ein Stündchen sämtlicher Musikkapellen und Gesangvereine
der Stadt und für deu Festtag selbst die Überreichung einer Unzahl von
Glückwuuschadresseu, eine Festversammlung, die Enthüllung einer Gedenktafel
am Geburtshause des Gefeierten, eine Festvorstellung im Theater, sowie ein
Bankett in Aussicht genommen; aber noch immer sann man darüber nach, wie


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[0193] Joel Dichter Kräfte verfielen immer mehr, und als ich im August und September mit ihm in Bad Elster zusammen war, fühlte er sein nahes Ende. Ich habe noch manche wertvolle Stunde in Gesellschaft des unvergeßlichen Mannes verlebt, der gerade in seinen letzten Tagen mitteilsamer war als sonst. Vor dem Kur¬ hause, auf einer Bank, die von der untergehenden Sonne warm beschienen wurde, saßen wir fast jeden Nachmittag. Sein Geist lebte viel in der Ver¬ gangenheit, und seine Gedanken weilten oft bei Vismarck; er ahnte wohl nicht, daß man ihn, den treuesten Freund, einst in so maßlos feindseliger Weise gegen seinen alten Kanzler ausspielen würde. Zwei Dichter Gin Märchen n einer großen Stadt des deutschen Vaterlandes, die hier den Namen Jxingen tragen mag, ging man eben daran, ein großes Fest zu feiern. In wenigen Wochen sollte der berühmte Mode¬ dichter Erwin Blumenstock, den die Stadt mit Stolz den Ihren nannte, sein fünfnndzwanzigjähriges Dichterjubilnnm begehen. Schon jetzt warf das große Ereignis seine Schatten voraus. Fast in allen Nummern der Tagesblätter war bald unter deu Tagesneuigkeiten, bald unterm Strich von Erwin Blumenstock die Rede, die Wochen- und Monatsschriften bereiteten Festnummern mit dem Bildnis, der Lebensbeschreibung und Bei¬ trägen des großen Mannes vor, und die Schaufenster der Buchhandlungen, Mode- und Galanteriewarenläden waren gefüllt mit Prachtausgaben der zahl¬ reichen Werke Erwin Blumenstocks, mit Photographien und Büsten des Ge¬ feierten, Blnmenstockkrawatten, Blnmenstockkragen, Blnmenstockhüten, Blumen¬ stockstöcken, Briefpapier mit Versen des Dichters und sonstigen „Blumenstvck- artikelu." Seit Monaten schon war der große „Blumeustocksubiläumsfestausschuiz" bemüht, in zahllosen Sitzungen das Programm des Festes festzustellen und es so glänzend wie möglich zu gestalte«. Schon waren für den Vorabend el» Fackelzug und ein Stündchen sämtlicher Musikkapellen und Gesangvereine der Stadt und für deu Festtag selbst die Überreichung einer Unzahl von Glückwuuschadresseu, eine Festversammlung, die Enthüllung einer Gedenktafel am Geburtshause des Gefeierten, eine Festvorstellung im Theater, sowie ein Bankett in Aussicht genommen; aber noch immer sann man darüber nach, wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/193>, abgerufen am 28.04.2024.