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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Besitzung Nver wiederholt ein gern gesehener Gast gewesen. Mit dem frühern
Minister des Innern, Grafen Fritz Eulenburg, den er als einen der liebens¬
würdigsten Menschen schilderte, hat er ebenfalls freundschaftlich verkehrt, und
der preußische Gesandte z. D. Herr von Kusserow hat bis zuletzt zu seinen
wärmsten Freunden gehört. Beiläufig sei erwähnt, daß er auch eine in
Schlesien seßhafte Grafenfamilie gern besuchte und den kürzlich verstorbnen
W. von Siemers zu seinen nähern Bekannten zählte. Die Feindschaft mit
Abeken ist wohl auch nicht so schlimm gewesen, als in dem Aussatz angenommen
wird. Der frühere Theologe hatte natürlich für den alten Achtundvierziger
nichts übrig, und Bucher seinerseits konnte keinen großen Gefallen an einer
Persönlichkeit finden, von deren Eitelkeit er eine ganze Reihe ergötzlicher Ge¬
schichten zu erzählen wußte. Folgende Anekdote möge hier erwähnt werden.
Beide Herren arbeiteten in Versailles einige Zeit zusammen in einem kleinen,
meist überheizten Zimmer ueben dem Arbeitskabinet des Kanzlers. Bucher war
sehr für frische Luft und riß immer das Fenster ans, wogegen der sehr ängstliche
Geheimrat Abeken lebhaft Einspruch erhob. Am audern Morgen erschien
Vncher etwas früher und stieß mit seinem Stock ein Loch durch eine Ecke
des Fensters, um der unerträglichen Hitze ein Ende zu machen. Als Abeken
die etwas kühlere Temperatur bemerkte, suchte er nach der Ursache und kleisterte
sofort höchst eigenhändig das Loch mit Papier zu. Der harmlose Streit
wurde erst nach Übersiedlung in ein größeres Zimmer beendigt. Von wirk¬
licher Feindschaft habe ich nie etwas gehört; wenn Abeken feinen Kollege"
chikanirt hat, so war Bucher sicherlich zu vornehm, die Sache ernst zu nehmen.

Eine Zeit in der Geschichte des junge" deutschen Reiches hat Bucher
lebhaft bedauert, nämlich die, die den Kulturkampf und die Zentrumspartei
schuf. Eines Nachmittags -- wenn ich nicht irre, war es im Sommer 1891 --
hörten wir auf dem Kurplatz in Eins das Konzert an, als sich Windthorst in
Begleitung eines Geistlichen mit um unsern Tisch setzte, da kein andrer Platz
frei war. Der kleine Zcntrnmsführer war jsehr kurzsichtig und ahnte nicht,
wer sein Nachbar war. Bücher machte bei dieser Nachbarschaft ein ganz merk¬
würdiges Gesicht, es möchten wohl viele Erinnerungen dnrch seine Seele
ziehen. Als wir uns durch höflichen Gruß verabschiedet hatten, sagte er zu
mir: "Wir haben seiner Zeit einen großen Fehler gemacht! Wenn 1867
Windthorst preußischer Justizminister oder Oberpräsident von Hannover ge¬
worden wäre, dann hätten wir keine so mächtige Zentrumspartei, und das
deutsche Reich brauchte nicht mit Rom zu rechnen. Aber wer konnte das vor¬
her wissen!"

Eine schlimme Wendung in der Krankheit Buchers machte sich zuerst im
Sommer 1891 bemerkbar. Trotzdem arbeitete er noch viel und verlebte fast
den ganzen Winter in Friedrichsruh, bis ihn zunehmende Mattigkeit nötigte,
das mildere Klima von Baden-Baden und Wiesbade" aufzusuchen. Aber die


Besitzung Nver wiederholt ein gern gesehener Gast gewesen. Mit dem frühern
Minister des Innern, Grafen Fritz Eulenburg, den er als einen der liebens¬
würdigsten Menschen schilderte, hat er ebenfalls freundschaftlich verkehrt, und
der preußische Gesandte z. D. Herr von Kusserow hat bis zuletzt zu seinen
wärmsten Freunden gehört. Beiläufig sei erwähnt, daß er auch eine in
Schlesien seßhafte Grafenfamilie gern besuchte und den kürzlich verstorbnen
W. von Siemers zu seinen nähern Bekannten zählte. Die Feindschaft mit
Abeken ist wohl auch nicht so schlimm gewesen, als in dem Aussatz angenommen
wird. Der frühere Theologe hatte natürlich für den alten Achtundvierziger
nichts übrig, und Bucher seinerseits konnte keinen großen Gefallen an einer
Persönlichkeit finden, von deren Eitelkeit er eine ganze Reihe ergötzlicher Ge¬
schichten zu erzählen wußte. Folgende Anekdote möge hier erwähnt werden.
Beide Herren arbeiteten in Versailles einige Zeit zusammen in einem kleinen,
meist überheizten Zimmer ueben dem Arbeitskabinet des Kanzlers. Bucher war
sehr für frische Luft und riß immer das Fenster ans, wogegen der sehr ängstliche
Geheimrat Abeken lebhaft Einspruch erhob. Am audern Morgen erschien
Vncher etwas früher und stieß mit seinem Stock ein Loch durch eine Ecke
des Fensters, um der unerträglichen Hitze ein Ende zu machen. Als Abeken
die etwas kühlere Temperatur bemerkte, suchte er nach der Ursache und kleisterte
sofort höchst eigenhändig das Loch mit Papier zu. Der harmlose Streit
wurde erst nach Übersiedlung in ein größeres Zimmer beendigt. Von wirk¬
licher Feindschaft habe ich nie etwas gehört; wenn Abeken feinen Kollege»
chikanirt hat, so war Bucher sicherlich zu vornehm, die Sache ernst zu nehmen.

Eine Zeit in der Geschichte des junge» deutschen Reiches hat Bucher
lebhaft bedauert, nämlich die, die den Kulturkampf und die Zentrumspartei
schuf. Eines Nachmittags — wenn ich nicht irre, war es im Sommer 1891 —
hörten wir auf dem Kurplatz in Eins das Konzert an, als sich Windthorst in
Begleitung eines Geistlichen mit um unsern Tisch setzte, da kein andrer Platz
frei war. Der kleine Zcntrnmsführer war jsehr kurzsichtig und ahnte nicht,
wer sein Nachbar war. Bücher machte bei dieser Nachbarschaft ein ganz merk¬
würdiges Gesicht, es möchten wohl viele Erinnerungen dnrch seine Seele
ziehen. Als wir uns durch höflichen Gruß verabschiedet hatten, sagte er zu
mir: „Wir haben seiner Zeit einen großen Fehler gemacht! Wenn 1867
Windthorst preußischer Justizminister oder Oberpräsident von Hannover ge¬
worden wäre, dann hätten wir keine so mächtige Zentrumspartei, und das
deutsche Reich brauchte nicht mit Rom zu rechnen. Aber wer konnte das vor¬
her wissen!"

Eine schlimme Wendung in der Krankheit Buchers machte sich zuerst im
Sommer 1891 bemerkbar. Trotzdem arbeitete er noch viel und verlebte fast
den ganzen Winter in Friedrichsruh, bis ihn zunehmende Mattigkeit nötigte,
das mildere Klima von Baden-Baden und Wiesbade» aufzusuchen. Aber die


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[0192] Besitzung Nver wiederholt ein gern gesehener Gast gewesen. Mit dem frühern Minister des Innern, Grafen Fritz Eulenburg, den er als einen der liebens¬ würdigsten Menschen schilderte, hat er ebenfalls freundschaftlich verkehrt, und der preußische Gesandte z. D. Herr von Kusserow hat bis zuletzt zu seinen wärmsten Freunden gehört. Beiläufig sei erwähnt, daß er auch eine in Schlesien seßhafte Grafenfamilie gern besuchte und den kürzlich verstorbnen W. von Siemers zu seinen nähern Bekannten zählte. Die Feindschaft mit Abeken ist wohl auch nicht so schlimm gewesen, als in dem Aussatz angenommen wird. Der frühere Theologe hatte natürlich für den alten Achtundvierziger nichts übrig, und Bucher seinerseits konnte keinen großen Gefallen an einer Persönlichkeit finden, von deren Eitelkeit er eine ganze Reihe ergötzlicher Ge¬ schichten zu erzählen wußte. Folgende Anekdote möge hier erwähnt werden. Beide Herren arbeiteten in Versailles einige Zeit zusammen in einem kleinen, meist überheizten Zimmer ueben dem Arbeitskabinet des Kanzlers. Bucher war sehr für frische Luft und riß immer das Fenster ans, wogegen der sehr ängstliche Geheimrat Abeken lebhaft Einspruch erhob. Am audern Morgen erschien Vncher etwas früher und stieß mit seinem Stock ein Loch durch eine Ecke des Fensters, um der unerträglichen Hitze ein Ende zu machen. Als Abeken die etwas kühlere Temperatur bemerkte, suchte er nach der Ursache und kleisterte sofort höchst eigenhändig das Loch mit Papier zu. Der harmlose Streit wurde erst nach Übersiedlung in ein größeres Zimmer beendigt. Von wirk¬ licher Feindschaft habe ich nie etwas gehört; wenn Abeken feinen Kollege» chikanirt hat, so war Bucher sicherlich zu vornehm, die Sache ernst zu nehmen. Eine Zeit in der Geschichte des junge» deutschen Reiches hat Bucher lebhaft bedauert, nämlich die, die den Kulturkampf und die Zentrumspartei schuf. Eines Nachmittags — wenn ich nicht irre, war es im Sommer 1891 — hörten wir auf dem Kurplatz in Eins das Konzert an, als sich Windthorst in Begleitung eines Geistlichen mit um unsern Tisch setzte, da kein andrer Platz frei war. Der kleine Zcntrnmsführer war jsehr kurzsichtig und ahnte nicht, wer sein Nachbar war. Bücher machte bei dieser Nachbarschaft ein ganz merk¬ würdiges Gesicht, es möchten wohl viele Erinnerungen dnrch seine Seele ziehen. Als wir uns durch höflichen Gruß verabschiedet hatten, sagte er zu mir: „Wir haben seiner Zeit einen großen Fehler gemacht! Wenn 1867 Windthorst preußischer Justizminister oder Oberpräsident von Hannover ge¬ worden wäre, dann hätten wir keine so mächtige Zentrumspartei, und das deutsche Reich brauchte nicht mit Rom zu rechnen. Aber wer konnte das vor¬ her wissen!" Eine schlimme Wendung in der Krankheit Buchers machte sich zuerst im Sommer 1891 bemerkbar. Trotzdem arbeitete er noch viel und verlebte fast den ganzen Winter in Friedrichsruh, bis ihn zunehmende Mattigkeit nötigte, das mildere Klima von Baden-Baden und Wiesbade» aufzusuchen. Aber die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/192>, abgerufen am 12.05.2024.